Auch Frankreich hat jetzt seine Regierungskrise

In Deutschland bricht gerade die „Ampel“ auseinander, in Frankreich fliegt Innenminister Darmanin sein Einwanderungsgesetz im Parlament um die Ohren.

Innenminister Gérald Darmanin - sein Rücktrittsgesuch lehnte Präsident Macron ab. Foto: Pierrot75005 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Das ist unerhört. Im französischen Parlament hat eine Koalition aus Linksextremen, Grünen, Sozialisten, Konservativen und Rechtsextremen Innenminister Gérald Darmanin sein Einwanderungsgesetz um die Ohren geschlagen, indem diese seltsame Konstellation noch vor einer Aussprache über den Gesetzentwurf diesen und selbst eine Debatte darüber per Votum ablehnte. Nun steht das politische Frankreich Kopf, Präsident Macron lehnte das Rücktrittsangebot seines schwer angeschlagenen Innenministers ab, es wird eine „Gemischte paritätische Kommission“ mit jeweils sieben Vertretern des Senats und des Parlaments gebildet und die Opposition ruft nach Neuwahlen. Viel chaotischer geht es kaum noch.

Dass Links- und Rechtsextreme und Teile des bürgerlichen Lagers gemeinsame Sache im Parlament machen, ist ein Novum, das Macron zum ersten Mal deutlich spüren lässt, dass er bei der letzten Parlamentswahl zwar die stärkste Gruppierung stellte, aber eben auch die Mehrheit verfehlte. Ein wenig wie die PiS in Polen. Noch abstruser sind allerdings die Gründe, die zu diesem Schulterschluss zwischen Links- und Rechtsextremen geführt haben. Vereinfacht gesagt empfindet man im linken Lager den Gesetzentwurf als „rassistisch“, den Rechtsextremen geht er nicht weit genug. Dass dies dazu führt, dass die Extremen gemeinsam abstimmen, ist schon starker Tobak.

Der Gesetzentwurf sah die Möglichkeit vor, straffällige Ausländer schneller abschieben zu können, Einschnitte in die Krankenversicherung für Ausländer, dazu die Möglichkeit, den Status illegal eingereister Ausländer regularisieren zu können, falls diese Berufe ausüben, in denen Frankreich Bedarf hat. Der Senat, der bereits an diesem Text gearbeitet hatte, wollte ihn sogar noch weiter verschärfen, indem er den Strafbestand des „illegalen Aufenthalts“ einführen wollte, was dann allerdings von der Regierung entschärft wurde. Doch das alles half nicht, in der Assemblée Nationale wurde Innenminister Darmanin am Nasenring durch die Manege geführt. Und schon werden, wie auch in Deutschland, die Rufe nach Neuwahlen aus dem rechtsextremen Lager laut.

Viele Franzosen sind entsetzt, weniger über den Inhalt dieses Gesetzentwurfs, über den man kontrovers diskutieren kann, als vielmehr über die Tatsache, wer da alles zusammen mit den Rechtsextremen gestimmt hat. Zwar wurde über die Zurückweisung des Entwurfs und der Debatte nach einem Antrag der Grünen abgestimmt, doch war das eher Zufall, denn auch andere Fraktionen, unter anderem die Rechtsextremen, hatten den gleichen Antrag gestellt und so wurde per Los entschieden, über welchen der Anträge abgestimmt würde. Es hätte genauso gut der Antrag der Rechtsextremen sein können, der dann eben von den Linksextremen und den anderen unterstützt worden wäre.

In den sozialen Netzwerken geht es drunter und drüber. Angestammte Wähler der linken Parteien wie der PS, den Kommunisten oder den Grünen staunen, dass ihre Abgeordneten gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen machen, und noch dazu aus so unterschiedlichen Gründen. Natürlich reklamieren jetzt alle Parteien diesen „Erfolg“ als den ihren, doch ist es tatsächlich ein Erfolg, wenn Links- und Rechtsextreme gemeinsame Sache machen?

Vom Tisch ist das neue Einwanderungsgesetz allerdings noch lange nicht. Nun wird erst einmal in der „Gemischten paritätischen Kommission“ hinter verschlossenen Türen zwischen den Hardlinern des Senats und den etwas konzilianteren Abgeordneten der Nationalversammlung gekungelt und dann hat die Regierung ja auch noch ein Instrument, das Premierministerin Elisabeth Borne in ihrer kurzen Amtszeit bereits 23 Mal eingesetzt hat – den berüchtigten Artikel 49.3, der es der Regierung ermöglicht, Gesetze am Parlament vorbei zu verabschieden, wie bereits bei der Rentenreform oder dem aktuellen Haushalt geschehen. Doch die Belastbarkeit dieses zutiefst undemokratischen Instruments ist begrenzt. Der 49.3 kann nicht ständig gegen Mehrheiten im demokratisch gewählten Parlament eingesetzt werden, ohne dass sich die Regierung dem Vorwurf der „Diktatur“ ausgesetzt sieht.

Doch wo steht Frankreich seit Beginn der „Macronie“ wirklich? Die Rechtsextremen verbreiten ungeniert ihre Positionen, für die sie vor Jahren noch massiv angegriffen worden wären, während die Linksextremen immer abstrusere Dinge vertreten, die in Frankreich auch nicht mehrheitsfähig sind. Und über allem schwebt ein Präsident, der sich in erster Linie um das Denkmal sorgt, das er sich 2024 mit den Olympischen Spielen in Paris setzen will, die für die meisten Franzosen nur noch ein teures und gefährliches Ärgernis sind.

Die Situation ähnelt derjenigen in Deutschland mehr, als man denkt. Sollten die Forderungen nach Neuwahlen erhört werden, könnte man in beiden Ländern einen Erdrutsch nach ganz weit rechts erleben. Dass es so weit kommen kann, haben wir denjenigen zu verdanken, für die wir trotz ihrer erwiesener Unfähigkeit immer weiter stimmen. So lange, bis die Schlimmsten an der Macht sind.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste