Aufstand der Problemviertel
Die Krawalle, Auseinandersetzungen mit der Polizei und Zerstörungen in Frankreichs Städten nehmen bedrohliche Ausmaße an. Selbst mit 40.000 mobilisierten Polizisten eskaliert die Lage immer weiter.
(KL) – Um es vorweg zu sagen: Die Unruhen unglaublichen Ausmaßes, die Frankreich gerade erschüttern, haben mit dem tragischen Tod eines 17jährigen Kleinkriminellen in Nanterre, der bei einer Polizeikontrolle beim Versuch den Beamten wegzufahren, aus kürzester Entferung erschossen wurde, nur bedingt zu tun. Der Vorfall, von dem Videoaufnahmen zeigen, dass es sich eher um eine Hinrichtung als um einen Unfall handelte, war der Auslöser, der die Problemviertel im ganzen Land in höchste Unruhe versetzt hat. Nur, der Polizist, der geschossen hat, sitzt in Untersuchungshaft, gegen ihn läuft ein Verfahren, das medial intensiv begleitet werden wird, doch seit Dienstag eskalieren die Ereignisse.
Alleine die Zahlen aus der Nacht von Donnerstag auf Freitag sind erschreckend. Landesweit wurden 1900 Autos abgefackelt, brannten Schulen und Bürgermeisterämter, wurden über 800 zumeist jugendliche Randalierer verhaftet und in Westfrankreich kam ein junger Mann bei einer Plünderung ums Leben. Täglich steigen die Zahlen und es ist kein Ende dieser Unruhen abzusehen. 40.000 Polizisten sind in ganz Frankreich im Einsatz, doch können diese die Lage nicht mehr in den Griff bekommen.
Erstaunlich ist, dass die Randalierer sehr jung sind. Unter den Verhafteten in Straßburg befindet sich gar ein 13jähriges Mädchen, viele der Randalierer (die man nicht als Demonstranten bezeichnen kann, denn sie demonstrieren nicht und haben auch kein formuliertes Anliegen) sind 14, 16 oder 18 Jahre alt. Diese Kinder legen ein enormes Gewaltanliegen an den Tag. So plünderten und verwüsteten gestern rund 100 dieser Jugendlichen den Apple Store am zentralen Kleberplatz in Straßburg, zerstörten später auch noch ein Lacoste-Geschäft, errichteten Straßensperren mit brennenden Mülltonnen und lieferten sich mit der Polizei ein Katz- und Mausspiel, bis die ganze Innenstadt in Tränengas eingenebelt war. In praktisch allen französischen Städten, im Elsass auch in Seléstat, Colmar, Mulhouse und sogar kleineren Gemeinden, kam es zu Ausschreitungen, wobei der Schwerpunkt wie immer in Paris liegt.
Was sich hier entlädt, ist die aufgestaute Ohnmacht der französischen Ghettos in den Vorstädten, in denen seit vielen Jahren eine Parallelgesellschaft entstanden ist, die gerade explodiert. In diesen Vierteln, in denen ein sehr hoher Prozentsatz an Einwanderern lebt, deren Nachwuchs fernab von Bildung, Erziehung und Integration perspektivlos und in einem Teufelskreis aus Drogen, Arbeitslosigkeit und Gewalt aufwächst, gärt es seit Jahrzehnten. Und jetzt randaliert eine Generation von Jugendlichen, die im Ghetto leben und sich so benehmen, wie sich Menschen im Ghetto eben benehmen. Gesellschaftliche Codes sind diesen Jugendlichen fremd und was für Vorbildern sollten sie auch nacheifern? Die heutigen „Helden“ sind bärtige Kriegsherren mit Vollbärten, talentfreie Sternchen in den sozialen Netzwerken und ab und zu bekommen diese Jugendlichen auch mit, wie korrupt die Welt der Erwachsenen ist, bei denen auf höchster Ebene gilt, dass man mit fast allem durchkommen kann, wenn man es nur dreist genug treibt.
Die Situation kann jederzeit weiter eskalieren. Ob es da nützt, dass Präsident Macron an die Eltern der Randalierer appelliert, diese doch möglichst im Haus zu behalten, als ob die Eltern in den Problemvierteln noch Einfluss auf ihren Nachwuchs und die „großen Brüder“ haben, die hier das Wort führen?
Erschwerend kommt hinzu, dass diese TikTik-Generation inzwischen eine Art Wettbewerb zwischen den Städten und Vierteln ausgelöst hat. Respekt erhalten diejenigen Viertel, in denen die meisten Autos brennen und in denen die härtesten Auseinandersetzungen mit der Polizei stattfinden. Auch das ist ein Umstand, der zu weiteren Eskalationen führen kann.
Frankreich bezahlt heute den Preis für eine verfehlte Einwanders- und Sozialpolitik seit 50 Jahren. Obwohl die Frage immer wieder thematisiert worden ist, schaute man weitestgehend tatenlos zu, wie sich in diesen Vierteln Parallelgesellschaften bildeten, in denen der Staat völlig abgemeldet ist und die Kriminalität blüht. Angesichts der Chancenlosigkeit der Jugendlichen in diesen Vierteln ist es wenig verwunderlich, dass Drogenhandel und Kriminalität florieren. Doch nun muss Frankreich erst einmal dringend diese Lage in den Griff bekommen, bevor diese völlig unkontrollierbar wird. Wie das gelingen soll, steht allerdings in den Sternen. Und wie es danach in diesen Vierteln weitergehen soll auch.
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