„Bitte bestraft nicht die Franzosen!“

Regierung und Gewerkschaften haben seltsamerweise die gleiche Bitte, bevor am nächsten Donnerstag ein richtig heftiger Streik Frankreich lahmlegen wird. Kompromisse zeichnen sich nicht ab.

Bereits 2019 protestierten die Franzosen gegen die geplante Rentenreform... Foto: Jean-Marc Claus / CC-BY 2.0

(KL) – Der am Donnerstag, den 19. Januar, beginnende Streik in Frankreich wird in einem konfliktgeladenen Format beginnen. Nicht nur, dass verschiedene Berufssgruppen gegen die geplante (und im Grunde bereits beschlossene) Rentenreform protestieren, dazu werden die Konsequenzen für die Bevölkerung hart sein – Verkehrsbetriebe (und natürlich die Staatsbahn SNCF) werden streiken, dazu die Lehrer, aber auch Ministerien und andere Einheiten des öffentlichen Dienstes, was einmal mehr das tägliche Leben der Franzosen schwierig machen wird. „Bitte bestraft nicht die Franzosen!“, appelliert Regierungschefin Elisabeth Borne und meint damit den Streik. „Bitte bestraft nicht die Franzosen!“, lautet die Antwort der Gewerkschaften, die damit die Rentenreform meinen, die für die meisten Franzosen zur Folge haben wird, dass sie zwei Jahre länger arbeiten werden müssen.

Regierung und Gewerkschaften tauschen sich überwiegend über die Medien aus und im Parlament, das ohnehin bei der abschließenden Entscheidung nichts zu sagen hat, da die Regierung diese Reform mit dem Paragraphen 49.3 am Parlament vorbei durchsetzen wird, sollte sie nicht die erforderliche Mehrheit erhalten, versucht die Opposition gehört zu werden. Die Abgeordneten wollen in der am 23. Januar startenden Diskussion im Parlament „pro Abgeordneten 1000 Änderungsanträge“ einreichen und versuchen, somit die Debatte in die Länge zu ziehen, so, wie es die Amerikaner mit ihrem „Filibuster“ kennen, wenn Angeordnete stunden- und tagelange Reden halten, mit denen Entscheidungen verzögert werden können. Viel bringen wird das allerdings auch nicht.

Der Streik, so die Gewerkschaften, beginnt mit dem ersten Streiktag am 19. Januar. Sollte die Regierung dann nicht ihre Position ändern (was nicht wahrscheinlich ist), wird ab dem 26. Januar für zwei Tage gestreikt. Wenn das auch nichts bringt, geht es am 6. Februar mit einem dreitägigen Streik weiter – von Woche zu Woche wird ein Streiktag hinzugefügt werden. Und das könnte dauern.

Um gleich einmal Farbe zu bekennen, haben die Gewerkschaften angekündigt, eventuell erneut die Erdöl-Raffinerien blockieren zu wollen, was dazu führen wird, dass Frankreich erneut zum Stillstand kommt. Züge werden ausfallen und die Franzosen werden immer mehr Mühe haben, auf das Auto umzusteigen, da erneut das Benzin an den Tankstellen ausgehen wird. Besonders schwierig für viele Familien werden die Streiks in den Schulen sein, da sie dann Ausweichlösungen für die Betreuung der Kinder finden müssen.

Doch statt gegenseitig mit dem Finger aufeinander zu zeigen, wären Regierung und Gewerkschaften besser beraten, nicht übereinander, sondern miteinander zu sprechen. Denn ein erneuter, langer und intensiver Streik wird Frankreich viel Geld kosten, den Graben zwischen Regierung und Bevölkerung weiter vertiefen und letztlich eine Regierung, die bereit ist, offen gegen die eigene Bevölkerung zu arbeiten, noch unglaubwürdiger machen, als sie es ohnehin schon ist.

Inzwischen heißt es „wir da unten gegen die da oben“ und man hat nicht das Gefühl, dass die Regierungsmitglieder Angestellte des Volks sind, so, wie es in einer Demokratie eigentlich sein soll. Die französische Regierung organisiert nicht etwa im Konsens das Allgemeinwohl, sondern sie herrscht über die Franzosen, was ein Anachronismus ist und nicht viel mit dem Jahr 2023 zu tun hat.

Dass beide Seiten bis zum nächsten Donnerstag noch eine Lösung finden, ist schwer vorstellbar. Während die Herrscher des Landes wohl nicht kompromiss-fähig sind, gilt das gleiche für die Gewerkschaften, die sich ihrerseits der Macht über die Straße sicher sein können, denn in die Proteste der Gewerkschaften werden sich auch andere Protestgruppen einklinken, wie die Gelbwesten (hoffentlich ohne Black Blocks), die Klimaschützer, die Wokisten und alle, die momentan gute Gründe haben, mit der Situation und ihrer Regierung unzufrieden zu sein.

Der Satz „Bitte bestraft nicht die Franzosen!“, den man auf beiden Seiten hört, bleibt so lange ein frommer Wunsch, wie beide Seiten nicht gemeinsam am Verhandlungstisch eine Lösung ausarbeiten. Doch davon scheinen wir sehr weit entfernt zu sein.

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