Das Twittern der Vögel – Zwitschern in der Rheinoper

Den Auftakt ins neue Opernjahr macht ein Meisterwerk der frühen 20er Jahre – des vorherigen Jahrhunderts wohlgemerkt: „Die Vögel“ von Walter Braunfels erleben einhundert Jahre nach der Premiere endlich ihre französische Erstaufführung ab Mittwoch in Straßburg.

Tweet, tweet... immer schön drauflos zwitschern. Macht's nur wie die Menschens-Kinder... Foto: OnR Strasbourg

(Michael Magercord) – Vor etwas mehr als 2.400 Jahren lernen die Vögel das Twittern. Hatten unsere gefiederten Freunde zuvor mehr oder weniger lieblich gezwitschert und oftmals zur Freude ihrer menschlichen Zeitgenossen ihre geheimnisvollen Liedchen geträllert, so hatte der griechische Theaterdichter Aristophanes auf die offene Bühne gezerrt.

Im Grunde hatte der versierte Kenner der menschlichen Natur eigentlich nur offenbart, was sich die Vögel den lieben langen Tag in ihrem Gezwitscher tatsächlich um die Ohren hauen: „Haut alle ab aus meinem Revier, das hier ist meine Blase, hier bin nur ich und meines gleichen zu Hause“. Und wem das jetzt vorkommt wie der Jargon aus den sozialen Netzwerken, von denen eines ja sogar zwitschert – zu Neudeutsch: „twittert“ –, der hat den Kern des antiken Theaterwerkes „Die Vögel“ und der davon inspirierten Oper von Walter Braunfels schon erfasst.

Denn was treiben die Vögel unter der menschlicher Anweisung und Betrachtung? Lebten sie zuvor friedlich und zufrieden in ihrem Reich der Lüfte, so werden sie schon bald missgünstig und anmaßend. Schließlich wagen sie die Machtübernahme und ziehen in den Krieg gegen die Götter – oder anders gesagt: Sie regieren die Welt und werden sie sogleich verlieren.

Der alte Grieche nahm mit seinem Gleichnis die Überheblichkeit seiner Landsleute aufs Korn. Er warnte die Athener vor nationistischen Kriegsabenteuern, die einem so kleinen Stadtstaat nicht anstünden. Man solle sich nicht über seine Grenzen erheben, sondern – so seine Botschaft an seine Mitbürger und Politiker seiner Zeit – sie erkennen. Besser, sein doch alles in allem gar nicht so schlechtes, göttergegebenes Schicksal anzunehmen, als es anmaßend selbst bestimmen zu wollen, was oft darin endet, es durch den eigenen Untergang nun erst recht zu erfüllen.

Über zweitausend Jahre später herrschte Krieg, dieses Mal gleich ein ganzer Weltkrieg. Der Komponist Walter Braunfels hatte schon kurz vor seinem Ausbruch 1913 mit der Arbeit an seiner Oper begonnen. Doch dann musste der junge Mann selbst in den Krieg ziehen, aus dem er verwundet zurückkehrte. Nun erst vollendete er sein Werk.

Darin machen sich zwei zivilisationsfrustrierte junge Männer namens Ratefreund und Hoffegut auf ins Reich der so lieblich zwitschernden Vögel. Finden wollen sie darin die Schönheit und etwas Liebe. Aber oh Schreck, sie müssen lernen, dass der Himmel gar nicht den Vögeln untertan ist. Also hopp hopp, spornen die beiden ungefiederten Freunde die vermeintlichen Könige der Lüfte an, übernehmt endlich das Regiment des Himmels. Der Versuch wird kläglich scheitern, die Götter wissen ihr angestammtes Recht als Schicksalsmacht nur allzu gut zu verteidigen. Ihr „Wolkenkuckucksheim“ wird zerstört, die Größe der Götter müssen die sich durch ihren Übermut selbst zu Piepmätzen degradierten Vögel schließlich uneingeschränkt anerkennen.

Dem Komponisten ging es 1920 nicht mehr um die Verhinderung nationalistischer Abenteuer, die hatte die Welt gerade hinter sich gebracht, sondern um das Scheitern der großen Menschheitsutopien. Die waren eigentlich ebenfalls auf den Schlachtfeldern gestorben, und doch tauchen sie wie untote Wiedergänger auf, um immer aufs Neue die Schlachtfelder der Zukunft abzustecken. Aber es lag dem sensiblen Künstler nicht daran, nur die Unbelehrbarkeit der Menschheit anzuprangern. Fast schon zärtlich lässt er die Zuschauer auf das menschliche Streben schauen und erweckt im Zuhörer eine tiefe Wehmut für dessen Aussichtlosigkeit. Die Oper hilft bei der Trauerarbeit, allerdings nicht nur zur Bewältigung der Trauer über den Krieg und seine Opfer, sondern auch über der wenig trostreichen Erkenntnis, dass in allem Streben nach großen Idealen das Scheitern daran schon angelegt ist.

Ach je, werden sich nun die zeitgenössischen Zeitgenossen wehmütig eingestehen müssen, auch unsere Utopien sind wohl endgültig dahin; und zwar spätestens, seit sie sich in den sozialen Netzwerken verfangen haben und in deren groben Schlingen zappeln. In jedem Tweet, in dem heute Freiheit oder Gerechtigkeit eingefordert wird, stirbt genau dies, Freiheit und Gerechtigkeit. Wer könnte die einst so schönen Worte heute noch freudig und unschuldig vor sich her trällern, ohne immer auch Rücksichtslosigkeit und Selbstgerechtigkeit mitdenken zu müssen.

Was bleibt? Die Poesie. Und die lyrische Schönheit dieser Oper, die solange nicht gespielt wurde. Nicht nur ihre Musiksprache schien lange Zeit veraltet zu sein, nein, auch ihr Hintersinn war schlicht aus der stürmischen Zeit gefallen, die schon bald nach ihrer Uraufführung die Welt im Griff haben würde. Im Dritten Reich schließlich war die Aufführung dieser Oper verboten. Wenn die Götter auf Erden sich zu Herren der Welt erklären, lauschen sie keinen Vögeln mehr, um sich über die Vergeblichkeit ihrer Anmaßung bewusst zu werden. Doch heute, wo so manche selbst zu twitternden Vögeln geworden sind, kann das zarte und gleichsam wuchtige Werk uns wieder in schöner Weise daran erinnern, wie vergeblich alles Streben um des Strebens willen ist.

Vor hundert Jahren schrieb Alfred Einstein, der Albert Einstein der damaligen Opernkritik, dass zu seiner Zeit kaum ein Bühnenstück notwendiger gewesen sei als dieses: „Ich glaube nicht, dass über die deutsche Opernbühne je ein so absolutes Künstlerwerk gegangen ist“. Der Musikkritiker setzte es in eine Reihe mit Wagners Meistersingern und der Monumentaloper „Palestrina“ des damaligen Straßburger Operndirektor Hans Pfitzner.

Alain Perroux, der Theaterdirektor in Straßburg unserer Tage, den ja auch immer Sorge plagt, das Publikum anzulocken, hatte „Die Vögel“ vor einigen Jahren in Genf inszenieren lassen. Zur Premiere des weithin unbekannten Stückes sei der Saal halb leer gewesen, am Ende des Aufführungszyklus, als es sich nämlich herumgesprochen hatte, welcher Bühnenschatz dortgehoben wurde, waren keine Karten mehr zu haben.

Nun könnte man anmerken, dass es dann wohl sein Schicksal gewesen sei, wenn ein saumseliger Operngänger diese Aufführung verpassen sollte. Trotzdem wäre es durchaus eine Überlegung wert, es dieses eine Mal nicht darauf ankommen zu lassen und dem Schicksal einen Streich zu spielen – zumal der junge amerikanische Regisseur Ted Huffman für die szenische Umsetzung verantwortlich sein wird, der schon des Öfteren einen besonders sensiblen Umgang mit eher seltenen Werken bewiesen hat.

DIE VÖGEL
Ein lyrisch-phantastisches Spiel in zwei Aufzügen
von Werner Braunfels aus dem Jahr 1920

Musikalische Leitung: Sora E. Lee, Aziz Shokhakimov
Regie: Ted Huffman
OPS Philharmonie Straßburg
Chor der Rheinoper

Straßburg – Opéra
MI 19. Januar, 20 Uhr
SA 22. Januar, 20 Uhr
DI 25. Januar, 20 Uhr
DO 27. Januar, 20 Uhr
SO 30. Januar, 15 Uhr

Mülhausen – La Filature
SO 20. Februar, 15 Uhr
DI 22. Februar, 20 Uhr

Informationen und Tickets: www.operanationaldurhin.eu

Weitere Veranstaltungen:

Rezital mit Konstantin Krimmel und Lambert Wilson
Lieder und Melodram von Schubert, Loewe, Schumann und Liszt
SA 29. Januar, 20 Uhr / Opera Straßburg

Alice – Ballett nach Musik von Philip Glass
Ab 11. Februar in Mülhausen und 18. Februar in Straßburg

HINWEIS:
Und nun das Übliche im Unüblichen, der Corona-Hinweis. Es gelten in Frankreich seit dem 15. Januar nun die strengeren Regeln zur Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen. Das heißt: Wessen zweite Impfung mehr als sieben Monate zurückliegt, muss nun dreifach-geimpft sein – neudeutsch: „geboostert“ –, um Zugang zu geschlossenen Veranstaltungsräumen zu erhalten. Also Impfnachweis bereithalten und am besten als QR-Code, egal ob im Smartphone oder als Ausdruck, denn der gelbe Impfpass hat in Frankreich keine Gültigkeit.

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