Der europäische „Bauernkrieg“

Überall in Europa stehen die Bauern auf den Barrikaden. Gestern kam es in Brüssel zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und der Polizei. Und was kommt dann?

Bauernproteste in Brüssel - der Ton wird deutlich schärfer. Foto: European Commission (Christophe Licoppe) / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Die Bauern in Europa haben die Nase voll. Und zwar überall. Ob es Polen und Rumänen sind, die ihre Grenzen zur Ukraine dicht machen, um sich gegen Billigimporte zu wehren; ob es die Bauern in Frankreich sind, die Präsident Macron nach wochenlangen Protesten einen heißen Empfang auf der gerade stattfindenden Landwirtschaftsmesse bereitet haben; ob es die Bauern in Deutschland, Holland oder Belgien sind, die zu immer drastischeren Protestformen übergehen; ob es die Bauern in Südeuropa sind, die ebenfalls unzufrieden sind; ob es die Bauern auf den britischen Inseln sind, die nicht mehr über die Runden kommen – der Unmut der Bauern, oder besser gesagt, ihr Kampf um ein würdiges Dasein, hat ganz Europa erfasst.

Eigentlich hatten die Landwirtschaftsminister gestern in Brüssel vor, in aller Ruhe über die letzten Proteste und über neue Ansätze zur Befriedung der Bauern und in der Landwirtschafts-Politik zu sprechen. Doch vor den Tagungsräumen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und wütenden Demonstranten, deren mächtige Traktoren selbst die schweren Polizeifahrzeuge vor ganz neue Probleme stellen. Nicht sehr elegant war es dabei, dass die Demonstranten Gülle über die Polizisten schütteten, Feuer legten und sich heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten. Diese musste wieder einmal den Kopf für die Politik hinhalten und es wäre wenig verwunderlich, würden auch die Polizisten demnächst auf die Barrikaden gehen.

Stehen wir vor einem neuen „Bauernkrieg“? Nein, denn der „Bauernkrieg“ im 16. Jahrhundert war eher eine allgemeine Sozialrevolte, weswegen er auch den Beinamen „Krieg des gemeinen Mannes“ trug. Doch auch, wenn die Bauern von Nord nach Süd und von West nach Ost in Europa protestieren, so haben sie alle unterschiedliche Probleme. Doch es gibt einen gemeinsamen Nenner dieser Proteste – die Bürokratie, die sich die Brüsseler Kommission ausgedacht hat und die permanent von den Beamten in Brüssel noch ein wenig komplizierter gemacht wird, so lange, bis die Bauern am Papierkram verzweifeln.

Dabei liegt das Hauptproblem der europäischen Bauern woanders, nämlich in den marktbeherrschenden Einkaufszentralen, die auch noch den letzten halben Cent aus den Bauern herauspressen und diese zwingen, am Rande des Existenzminimums zu arbeiten, während der Handel die Margen einstreicht.

Ebenfalls im Visier der europäischen Bauern – die Freihandelsabkommen. Zwar erklärte der französische Präsident Macron am Samstag vor den aufgebrachten Bauern in Paris, dass er „immer schon gegen das Mercosur gekämpft hat“ (was seine Parteifreunde im Europäischen Parlament wohl nicht so richtig verstanden hatten, haben sie doch immer für die Freihandelsabkommen gearbeitet…), doch hier sehen inzwischen die Bauern in allen europäischen Ländern rot, denn der zollfreie Import landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die ohne den Brüsseler Papierkram und die entsprechenden Vorschriften und Normen deutlich billiger produziert werden, stellt die europäischen Bauern vor riesige Probleme.

Brüssel wird nun korrigierend eingreifen müssen und seine PAC (gemeinsame Landwirtschaftspolitik) komplett überarbeiten müssen, denn diese nützt in der Praxis in erster Linie den großen agro-alimentären Riesengruppen, die genau die Art Landwirtschaft betreiben, von der man sich in Europa lösen will und bei der die kleinen, regionalen und Bio-Bauern auf der Strecke bleiben.

Viele Bauern haben heute das Gefühl, dass sie nichts mehr zu verlieren haben und das sollte die Politik ernstnehmen. Denn hier handelt es sich nicht um jugendliche Demonstranten, die sich auf der Straße festkleben, sondern um gestandene Bauern, die mit ihren landwirtschaftlichen Maschinen nicht nur ganze Länder lahmlegen, sondern sich auch mit gut ausgerüsteten Ordnungskräften anlegen können, wie man gestern in Brüssel sah.

Die Politik wird liefern müssen, denn die Zeiten, in denen sich die Bauern mit Versprechungen im Technokraten-Sprech abspeisen ließen, sind vorbei. Die Bauern wollen eine konkrete Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitssituation sehen, was unbedingt erfordert, dass die Bürokratie abgebaut wird. Aber geben Sie mal einem Beamten den Auftrag, Bürokratie abzubauen…

Die Auseinandersetzungen in allen europäischen Ländern werden härter und wir stehen erneut vor einem Schulbeispiel, in dem der Wild West-Kapitalismus nicht mehr funktioniert. Denn die Preise, die Verbraucher für Lebensmittel bezahlen, teilen sich in erster Linie der Groß- und der Einzelhandel, zuweilen auch die Unternehmen, die Rohprodukte transformieren. Für die Erzeuger, also die Bauern, bleibt zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben übrig.

Doch in den letzten Wochen ist etwas passiert – die Bauern, fast überall in Europa, sind sich plötzlich ihrer Stärke bewusst geworden und dass sie, sofern sie sich solidarisch verhalten, den Staat zum Reagieren zwingen können. Mit diesem Bewusstsein werden die Bauern nicht mehr locker lassen und die Regierungen müssen sich daran halten, schnell etwas Besseres als leere Versprechungen abzuliefern. Ansonsten könnte alles noch härter.

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