Besuch in Straßburg: Friede – Freude – Eierkuchen

Ministerpräsident Kretschmann und Oberbürgermeister Kuhn besuchen die Europahauptstadt

Dieses Foto mit Prof. Baasner (dfi), Winfried Kretschmann, Fritz Kuhn, Roland Ries und Generalkonsul Julius Georg Luy musste hart erkämpft werden... Foto: © Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

(Bernd Hatesuer) – Schon am frühen Morgen, bei ihrem Treffen auf der „Passerelle“, mitten über dem Rhein, zwischen dem Straßburger und Kehler Ufer, herrscht gute Laune und beste Stimmung. Das sieht nicht nur echt aus, sondern ist ganz authentisch. Auf den ersten Blick läuft die grenzüberschreitende Zusammenarbeit schon seit Jahrzehnten bestens. Da haben Politiker, wie der inzwischen verstorbenen Adrian Zeller, sehr gute Arbeit geleistet. Dass es in dieser lange hin- und her gerissenen Region, heute so einvernehmlich zugeht, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das große Verdienst aller, die sich mit hohem persönlichem Engagement, auch gegen massive Widerstände, für Aussöhnung und ein friedliches Miteinander eingesetzt haben. Insofern ist es zweifellos ein gutes Zeichen und auch die richtige Symbolik, wenn sich deutsche und französische Politiker so gut verstehen und diese freundschaftliche Leichtigkeit ausstrahlen.

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg befand sich in der vergangenen Woche auf Grenz-Regio-Tour bei den europäischen Nachbarn Baden-Württembergs. Seine Reise stand unter dem Motto, „den persönlichen Austausch mit den Regierenden der Grenzregionen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stärken.“ Nach seinem Besuch bei den schweizer Nachbarn, stand nun am Freitag die Europahauptstadt auf dem Programm. Mit dabei war Fritz Kuhn, Oberbürgermeister Stuttgarts, mit der Strasbourg seit 52 Jahren eine Städtepartnerschaft unterhält.

Der Stuttgarter Bürgermeister zeigte sich von Orten und Projekten, die er in Strasbourg präsentiert bekam begeistert. Die deutsch-französische Kinderkrippe, die die Delegation besuchte, sieht er „als vorbildlich gelebtes Europa.“ Ebenso das geplante Projekt der Trambahnverlängerung nach Kehl. Da kann man ihm zunächst auch zustimmen. Aber, ob das Neubauviertel auf der französischen Seite, das er ebenso als vorbildlich bezeichnet, dieses Prädikat wirklich verdient und ob diese Bewertung seiner Diplomatie oder vielleicht auch seiner Unkenntnis wesentlicher Details zu verdanken ist, bleibt ungeklärt. Die Tatsache, dass die Sicht auf das Straßburger Münster von Kehler Seite, die mehrere hundert Jahre bestand, nun versperrt ist, mag für so manchen Pragmatiker banal klingen. Jedem Betrachter mit etwas Geschichtsbewusstsein, wird die negative Symbolik nicht entgehen können.

Zu wünschen ist daher, dass nach der netten Begegnung auf der Brücke, im Rathaus von Strasbourg und beim gemeinsamen Public Viewing, eine Fortsetzung, in Form einer ernsthaften und vertieften Auseinandersetzung über die zukünftige Entwicklung dieser geschichtsträchtigen europäischen Region folgt.

So gut, wie grenzüberschreitende Aktivitäten und Verständigung am Oberrhein, angesichts der kriegerischen Vergangenheit, heute funktionieren mögen, so mangelhaft sind nämlich gleichzeitig fast alle Versuche verlaufen, in dieser Region die vertiefte Integration Europas, modellhaft zu entwickeln. Diese Aufgabe, deren Bedeutung und Wichtigkeit von politischer Seite auf allen Ebenen in den letzten Jahren nicht ernst genug genommen wurde, müsste jetzt dringend angegangen werden.

Sollte vom Besuch der beiden Grünen aus Stuttgart, nun auch am Oberrhein ein neuer Wind ausgehen, könnte man die Konsultationen vom letzten Freitag vielleicht einmal als historisches Datum bezeichnen. Immerhin befindet sich in ihrem politischen Gepäck eine neue Spielkarte: Beide, Kretschmann und Kuhn haben die Bürgerbeteiligung als bedeutendes Element ihrer Politik im jeweiligen Regierungsprogramm stehen. Wenn sie es schaffen sollten, diese Karte am Oberrhein ins Spiel zu bringen, wäre dies ein Impuls, der nicht nur der Entwicklung der hiesigen Grenzregion gut tun würde, sondern der demokratischen Entwicklung in allen Grenzregionen und damit in der ganzen EU, eine Dynamik verleihen könnte, die das Europäische Projekt dringend benötigt.

Dann könnten Eurodistrikt und Metropolregion Oberrhein doch noch gelingen. Zwei Projekte, die sowohl die regionale als auch die europäische Integration nachhaltig voran bringen könnten, derzeit jedoch keinerlei Schwung und keinerlei Verwurzelung bei Bürgern und Zivilgesellschaft besitzen. Ziel einer solchen gemeinsamen Politik muss es sein, eine integrative Entwicklung anzustreben, in der neue Formen des Zusammenlebens der europäischen Bürger in dieser innereuropäischen Grenzregion gemeinsam erlernt, erforscht und erarbeitet werden. Das ist das besondere Potential von Grenzregionen allgemein, aber der Oberrheinregion im Besonderen, weil hier die ehemaligen Erbfeinde und heutigen bedeutsamsten Träger der EU aneinander treffen, weil im Elsass das kulturelle Erbe ein beidseitiges ist und nicht zuletzt, weil hier Strukturen vorhanden sind, die die gesamte Region zu einer besonders reichen Region gemacht haben.

Herr Ministerpräsident Kretschmann und Herr Oberbürgermeister Kuhn! Obwohl es sich nicht um eine vernachlässigte Region handelt, verdient ihr Besuch mehr, als nur als Stippvisite abgehandelt zu werden. Drehen sie sich noch einmal um und investieren sie Gedanken und Zeit, um dieser wichtigen Entwicklung, mit überregionalem Wirkungspotential, die notwendige Dynamik zu verleihen. Eine koordinierte Entwicklung, bei der Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in die gleiche Richtung ziehen, würde sowohl den Menschen in der Region einen nachhaltigen Zuwachs an Lebensqualität bringen, nebenbei einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des Sitzes des Europäische Parlaments in Strasbourg leisten; aber vor allem, wäre das Gelingen dieser beiden Vorhaben ein nachhaltiger Beitrag zur Überwindung von Kernproblemen, die zu den Ursachen der Krise Europas gehören.

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