Der Pyrrhus-Sieg des Emmanuel M.

Frankreichs Präsident hat seine Bevölkerung besiegt und eine Rentenreform durchgedrückt, die von 90 % der französischen Arbeitnehmer abgelehnt wird. Ein Sieg, der ihn teuer zu stehen kommen kann.

Mit einem Wort, "Colère", "Wut", lässt sich ausdrücken, was die Franzosen von ihrem Präsidenten halten... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Der Verfassungsrat, das oberste Organ der V. Französischen Republik, hat das abschließende Urteil zu Macrons Rentenreform getroffen und sich dafür entschieden, nicht etwa das Land zu befrieden, sondern weiter Öl ins Feuer zu gießen. Die kleinen, kosmetischen Änderungen, die der Verfassungsrat an Macrons Gesetz zur Rentenreform vornahm, waren nur ein müder Kompromiss, denn ansonsten winkte der Rat Macrons Gesetz in seinen entscheidenden Punkten durch. Und damit ja nicht das französische Volk seine Rolle als oberster Souverän einer Demokratie wahrnehmen kann, wurde auch gleich vom Verfassungsrat das beantragte Referendum zu dieser Rentenreform abgelehnt, was einmal mehr zeigte, dass in Frankreich alle Macht nicht etwa vom Volk ausgeht, sondern von den plüschigen Etagen der Macht in den Pariser Palästen.

Mit der ihm eigenen Arroganz hielt es Macron dann auch noch für nötig, die Gewerkschaften und damit die Franzosen in der Stunde seines Sieges zu provozieren und zu verhöhnen. Er kündigte an, das Gesetz „innerhalb von 48 Stunden“ zu verkünden und damit in Kraft zu setzen, lud dann aber die Gewerkschaften für Dienstag zu dem Gespräch ein, das er ihnen dreieinhalb Monate lang verweigert hatte. Wieder ein völlig überflüssiger Schlag ins Gesicht der Gewerkschaften und Franzosen, wieder diese unglaubliche Verhöhnung seiner Landsleute, doch der Preis für seinen vermeintlichen Sieg ist hoch – Macron hat jegliches Vertrauen seiner Landsleute verloren, er wird in den verbleibenden vier Jahren seiner Amtszeit zu jedem Thema Gegenwind bekommen. Das Ende der „Macronie“ ist der Preis dafür, dass der Präsident den Franzosen seinen Willen aufgezwungen hat, unter Aushebelung der demokratischen Instanzen, in einer Orgie der Falschmeldungen und der manipulativen Kommunikation, für die der ansonsten nur im Ausland gesprächige Macron seine dritte und vierte Ministergarde an die heimische Kommunikationsfront schickte, denn es ist eindeutig unter seiner präsidialen Würde, mit denen zu sprechen, die nach seinem bekunden „nichts sind“. Ergebnis: Seine Minister sind inzwischen genauso unbeliebt wie er selbst.

Dass Macron diese von einer riesigen Mehrheit der Franzosen abgelehnte Rentenreform durchsetzen konnte, lag am inzwischen berühmten §49.3, der ihm ermöglichte, das Parlament auszuschalten und das Gesetz ohne Abstimmung als beschlossen zu erklären. Dass die Macron’schen Truppen dabei mantramäßig wiederholten, dass dieser Text das „Ergebnis eines demokratischen Prozesses“ sei, zeigte den Franzosen, dass Präsident und Regierung sie für ausgemachte Schwachköpfe halten, die zu dumm seien, diese plumpen „Fake News“ als solche zu identifizieren.

Bereits am Abend begann die nächste Eskalationsstufe dieses sozialen Konflikts, den die Regierung amateurhaft und auf die schlechtestmögliche Weise gehandhabt hat. In Rennes brannte gestern Abend ein Kommissariat und in Paris tobten erneut heftige Straßenschlachten, bei denen die Polizeikräfte offenbar Anweisung hatten, besonders hart vorzugehen. Überall in Frankreich kam es zu kleineren Demonstrationen, doch ab sofort werden sich auch die Aktionsformen der Macron-Gegner verschärfen. Denn die Institutionen der V. Republik haben bei dieser Rentenreform gezeigt, dass die Demokratie in Frankreich nicht mehr funktioniert, auch, wenn Macron und seine Regierung versuchten, durch Verfassungstricks und viel Kommunikation den Eindruck zu erwecken, dass diese Reform demokratisch zustande gekommen sei.

Ja, Macron hatte durch eine gewagte Interpretation der Verfassung das Recht, den Willen der großen Mehrheit der Franzosen mit Füßen zu treten. Doch ein Präsident und eine Regierung, die mit Verfassungstricks gerade noch in einer Grauzone der Verfassung bleiben, dafür aber ihre Bevölkerung der demokratischen Grundrechte berauben, werden bei den Franzosen keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen.

Allerdings ist es auch eine, gelinde gesagt, seltsame Idee, wenn ein Präsident ein politisches Projekt mit Gewalt durchsetzt, dass dem erklärten Willen der Bevölkerung entgegenläuft. Faktisch bedeutet das, dass Macron nicht das Land regiert, sondern gegen seine Landsleute kämpft.

Frankreich wird wochen-, vielleicht monatelang nicht zur Ruhe kommen. Zumal dieser Präsident auch künftig keine Gelegenheit auslassen wird, die Bevölkerung zu provozieren und weiter zu verhöhnen. Die Eskalation wird weitergehen, es wird zu vielen, sehr radikalen Aktionen kommen, es wird wilde und weniger wilde Streiks geben und am 1. Mai wird Frankreich für die wohl größte Demonstration in der Geschichte des Landes auf die Straße gehen. Das Frankreich seit nunmehr fünf Jahren praktisch jedes Wochenende militante Demonstrationen und Auseinandersetzungen erlebt, die immer härter werden, hat das Land einem einzigen Mann zu verdanken, der sich offenkundig daran ergötzt, wenn er seine Landsleute beleidigen kann. Diejenigen, die bei Macron eine Multi-Pathologie vermuten, werden immer zahlreicher. Frankreich steht vor einem heißen Sommer, was 2023 nicht nur am Klimawandel liegt.

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