Deutsche Sprache, schwere Sprache, böse Sprache?

Im Europawahlkampf haben wir Dinge zu hören bekommen, die einem die Sprache der Dichter und der Denker verleiden kann.

Wer Wörter wie "Stacheldrahtzaun" erfindet, der baut sie am Ende auch... Foto: © Kai Littmann

(KL) – Liebe Kinder, was war einmal ein Land, das hatte sich, gleich zweimal hintereinander, ziemlich böse gegenüber seinen Nachbarn benommen. Dieses Land hatte überall den Krieg hingetragen und beide Male gleich viele, viele Millionen toter Menschen zu verantworten. Nur wenige, die noch rechtzeitig das Unheil nahen sahen, konnten fliehen. Beim zweiten Mal folgt das Land einem von Hass zerfressenen König, der alle ins Unglück stürzte. Aber nach einigen Jahren, die ganze Welt war von Feuer, Bomben und den Schreien der Sterbenden erfüllt, da kam der Krieg dorthin, wo er herkam – ins Schloss des Königs. Der brachte sich um und der Krieg war vorbei.

Das Volk des von Hass zerfressenen Königs und alle Länder rings um die Welt standen vor einem Scherbenhaufen. Alles war dem Erdboden gleichgemacht und die Handwerker, die alles hätten reparieren können, die Maurer und die Zimmerleute, die Lastenträger und die Bauplaner und alle anderen waren im Krieg getötet worden.

Da überlegten die anderen Länder, wie man es anstellen könne, dass dieses Land, das die Welt gleich zweimal in Katastrophen gerissen hatte, das kein drittes Mal tun könnte. „Man sollte aus diesem Land einen riesigen Acker machen und die Menschen Weizen und Kartoffeln anbauen lassen“, schlug ein Land vor. „Man könnte sie auch einfach ihrem Schicksal überlassen, nachdem wir ihre Waffen weggenommen haben“, sagte ein anderer. „Nein“, sagte ein Dritter, „das ist nicht gut. Dann sind die Menschen auf lange, lange Jahre, über viele Generationen hinweg am Boden und wir haben auch nichts davon.“ Die Länder überlegten und überlegten und beschlossen am Ende, das Land, das kurz zuvor von einem von Hass zerfressenen König regiert wurde, gemeinsam wieder auf die Beine zu stellen.

Was war das für ein Schaufeln und Baggern, ein Planieren und Planen, ein Zimmern und Bauen und alle, alle packten mit an! Dabei war es auch in den anderen Ländern nicht leicht, denn schließlich hatte das Land des von Hass zerfressenen Königs ja furchtbare Schäden in den anderen Ländern angerichtet. Doch alle zusammen schafften sie es, bis das Land wieder auf eigenen Beinen stehen konnte und alle freuten sich. Sie gründeten sogar einen Verein und versprachen sich feierlich, dass nie wieder Krieg herrschen solle, dass man zusammen Handel treiben und den Austausch zwischen den Menschen fördern wolle.

Doch nach ungefähr 65 Jahren, der böse König versank in Vergessenheit, da ging es plötzlich den anderen Ländern schlecht. Ihre Kämmerer waren von Schlangenzungen beraten worden, ließen sich bestechen und eines Tages herrschte Not in den anderen Ländern.

Ja, liebe Kinder, jetzt würde man sich als Ende der Geschichte doch wünschen, dass das einstmals vom bösen König regierte Land seine Kornspeicher öffnete, den anderen Ländern für die selbst erfahrene Hilfe dankte und alle zusammen wieder zu glücklichen Zeiten gelangten. Aber nein! Das Land des bösen Königs sagte: „Nein, wir haben hart gearbeitet, unseren Arbeitern nur das Nötigste gegeben und alles beiseite für schlechte Zeiten gelegt.“ „Klasse“, antworteten die Länder, denen es schlecht ging, „das passt ja. Wir haben gerade schlechte Zeiten!“ „Na jaaaa“, sagte das Land des bösen Königs gedehnt, „aber wir nicht. Und das soll eigentlich auch so bleiben. Seht zu, dass ihr so hart arbeitet, euren Arbeitern nur das Nötigste gebt und dann wird es euch genauso prima gehen wir uns. Der Tipp kostet übrigens ein paar Milliarden Taler.“ Die Länder schauten sich verdutzt an und schwiegen.

Doch dann schlug die deutsche Sprache zu. Im Europawahlkampf. Gnadenlos. Begriffsmonster wie „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ machten die Runde. Wie entsetzlich! Eine Invasion! Wie die Invasion der chinesischen Wollhandkrabbe durch die Elbemündung bis hin zu Fulda und Werra. Wobei die chinesische Wollhandkrabbe, merkt euch das gut, Kinder, auf ihrem Weg in kleinere Gewässer alles platt macht, was ihr in den Weg kommt! So ähnlich muss man sich wohl die „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ vorstellen. Horden seitwärts krebsender Bulgaren und Rumänen, die auf ihrem Weg nach Deutschland unterwegs alles kahl fressen! Das wäre schlimm.

„Einwanderung in unsere Sozialsysteme“… stellt euch einmal diesen Begriff in der schnarrenden Sprache des vom Hass zerfressenen Königs vor. Mal richtig hinhören. „Ainwantärrunk in unzärä Sotzialsüstämä“, in einem Rhythmus, der wie Maschinengewehrfeuer klingt. Huh. Na gut, zugegeben, in diesem schnarrenden Tonfall klingt auch schon eine Bestellung in der Pizzeria lebensgefährlich. „Einmal Gnocchi mit Gorgonzolasauce“ – genauso huh. Vor allem die Gorgonzolasauce.

Da war von „Wirtschaftsflüchtlingen“ die Rede, vor denen man sich natürlich in Acht nehmen muss. Diese Menschen flüchten vor der Wirtschaft. Da stimmt doch was nicht. Die wollen wir hier nicht haben. Was für ein Glück, dass die paar wenigen, die es geschafft hatten, vor dem von Hass zerfressenen König zu flüchten, in den anderen Ländern nicht aufgrund ihres Fluchtgrunds abgewiesen und wieder zurückgeschickt wurden. Auch „Wirtschaftsflüchtlinge“ klingt übrigens im schnarrenden Ton außerordentlich hässlich.

„Sozialschmarotzer“, ebenfalls eines dieser zusammengesetzten Hauptwörter, mit denen die deutsche Sprache ebenso spröde wird wie das Gedankengut, das dahinter steckt. Aber das, liebe Kinder, ist das wirkliche Problem. Das Gedankengut.

Die Sprache ist gleichzeitig Medium und Opfer. Nie hätte sich die deutsche Sprache träumen lassen, einmal mit solchen Begriffen vergewaltigt zu werden. Wer derart denkt, der spricht eben auch leider so. Nicht die Sprache müssen wir ändern, sondern das Denken, dass es auch auf Deutsch ausgedrückt schön klingt. Denn eigentlich ist die deutsche Sprache eine wunderbare Sprache. Und überhaupt nicht böse. Das sind nur die Menschen, die solche Wörter erfinden.

1 Kommentar zu Deutsche Sprache, schwere Sprache, böse Sprache?

  1. Peter Cleiss // 29. Mai 2014 um 8:39 // Antworten

    Und wie alle Märchen so erzählt auch dieses die Wahrheit!

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