Die französische Regierung in der Sackgasse

An der Frage der geplanten Rentenreform könnte die französische Regierung scheitern. Zum dritten Mal waren gestern Hunderttausende, vermutlich mehr als eine Million Franzosen auf der Straße.

Die französische Regierung versteht nicht, dass sie es nicht mit Chaoten, sondern mit ganz normalen Bürgern zu tun hat. Foto: Eurojournalist.eu / CC-BY 2.0

(KL) – Die französische Regierung macht gerade einen riesigen Fehler. Denn sie versteht nicht, dass die Tausenden und Abertausenden Demonstranten, die gegen die geplante Rentenreform auf die Straße gehen, nicht etwa „Gelbwesten“ und „Black Blocks“ sind, die man mal eben von seinen Prätorianern vermöbeln lassen kann, sondern dass da das „Frankreich von unten und aus der Mitte“ demonstriert. Einmal mehr bezahlt Frankreich nun das praktisch nicht existente Verhältnis zwischen den Sozialpartnern und dass die Regierung nun versucht, mit Gewalt und Autorität eine Reform durchzudrücken, die von über 70 % der Franzosen und sogar 93 % der aktiven Bevölkerung abgelehnt wird, das hat mit „Demokratie“ nichts mehr zu tun.

Grundsätzlich haben die Franzosen das Gefühl, dass ihnen mit dieser Reform zwei Jahre ihres Lebens genommen werden, da das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll. Im europäischen Vergleich liegt Frankreich damit zwar deutlich hinter den meisten anderen Ländern, doch wurde jeglicher Dialog zu dem Thema von vornherein abgewürgt, indem Präsident Macron und seine Premierministerin Elisabeth Borne ankündigten, die Reform notfalls am Parlament vorbei mit dem höchst undemokratischen Paragraphen 49.3 durchzudrücken. Eine Debatte damit zu beginnen, dass man das Ergebnis als „nicht verhandelbar“ verkündet, das ist politisch ungeschickt und kommunikations-technisch ein Desaster.

Interessant war gestern eine höhere Polizeipräsenz als bei den ersten beiden Demonstrationen am 19. und 31. Januar und viele der Polizisten trugen, anders als bei den beiden ersten Großdemonstrationen, Kampfmontur. Offensichtlich will man dem Rest der Bevölkerung suggerieren, dass die Demonstranten eben doch gefährlich seien, doch das ist definitiv nicht der Fall. Die Demonstrationen sind absolut friedlich, der Ordnungsdienst der Gewerkschaften funktioniert besser als jede polizeiliche „Absicherung“ von Demonstrationen und die Menschen, die dort demonstrieren, sind eben keine Chaoten, sondern Bürgerinnen und Bürger, die inzwischen die Nase voll von einem Präsidenten haben, der glaubt, über sein Volk herrschen zu müssen, statt dessen Anliegen zu managen.

Zeitgleich mit den Demonstrationen fand eine hitzige Debatte im französischen Parlament statt, bei der die bemitleidenswerte Elisabeth Borne auf verlorenem Posten stand. Dass sie sich allerdings dazu verstieg, der Opposition „undemokratisches Verhalten“ vorzuwerfen, während ihre Regierung ein Schulbeispiel eines „autokratischen Verhaltens“ an den Tag legt, war starker Tobak.

Die Forderung der Demonstranten ist geradezu basisdemokratisch. Generell wird gefordert, die Frage der Rentenreform per Referendum vom französischen Volk entscheiden zu lassen. Eine Zwickmühle für die Regierung, die genau weiß, dass ein solches Referendum zum Plebiszit gegen Präsident Macron, seine Regierung und seine Rentenreform würde, gleichzeitig ist aber auch klar, dass die autokratische Art und Weise, wie diese Reform erzwungen werden soll, nicht unbemerkt bleibt.

In der französischen Regierung sitzen momentan 19 Millionäre, also Entscheidungsträger, die von der geplanten Reform persönlich nicht im Geringsten betroffen wären. Und da ist es wieder, das ewig alte „Ihr da oben, wir da unten“. Doch schreiben wir das Jahr 2023 und die Zeiten dieses anachronistischen, geradezu neofeudalen Regierungssstils sind vorbei. Die einzigen Orte, an denen man das noch nicht gemerkt hat, sind die Paläste der Macht in Paris, wo man inzwischen so abgehoben unterwegs ist, dass man gar nicht mehr mitbekommt, wie sich die Stimmung im Land entwickelt.

Niemand macht sich Illusionen, dass dies die Reform der Elisabeth Borne sein könnte. Es ist die Reform des Emmanuel Macron, der sich allerdings momentan, wie es sich für einen Monarchen gehört, fein aus der Debatte heraushält. Das könnte man taktisch nennen, oder einfach feige, doch so ungeschickt, wie sich die Regierung gerade anstellt, wäre es wenig verwunderlich, würde sie über ihren eigenen Amateurismus stolpern. Die Franzosen wollen verständlicherweise von ihrer Regierung ernstgenommen werden, doch dafür ist es inzwischen zu spät. Selbst, wenn Macron & Co. heute ihre unsägliche Arroganz abstellen würden, es würde ihnen niemand mehr glauben.

Nur knapp ein Jahr nach seiner Wiederwahl ist Emmanuel Macron schon am Ende. Ob er mit seinem tief sitzenden Hass auf alle Franzosen, die nicht wie er Millionäre sind, seine zweite Amtzeit bis 2027 durchsteht, wird täglich fraglicher. Am Samstag werden wir den nächsten Akt erleben, mit einer Mobilisierung, die sich erneut nicht abschwächen wird.

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