Die Kriegstreiber auf ihrem gemütlichen Sofa

In den Sozialen Netzwerken brodelt es. Vom heimischen Sofa aus fordern immer mehr Menschen den Einsatz von NATO-Truppen und andere kriegerische Handlungen in der Ukraine.

Natürlich - doch Frieden erreicht man nicht durch Kriegstreiberei. Foto: Bartosz Brzezinski / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – „Hitler wurde nicht von Pazifisten besiegt“, kann man heute in den Sozialen Netzwerken lesen, oder auch „Aufrufe“ von Privatpersonen an die westlichen Regierungen, sofort NATO-Truppen in die Ukraine oder am liebsten gleich nach Russland zu schicken, um dem Kreml-Fürsten den Garaus zu machen. Man merkt deutlich, dass „Krieg“ für uns Europäer (dankenswerterweise) in den letzten 80 Jahren ein sehr theoretisches Konzept geworden ist, denn diejenigen, denen der Krieg gar nicht schnell genug eskalieren kann, haben keine Ahnung, was „Krieg“ wirklich bedeutet.

Es stimmt, Hitler wurde nicht von Pazifisten besiegt, sondern von den Alliierten, die unter extrem hohen Verlusten die Welt vom übelsten Verbrecher befreiten, den es bis dahin gegeben hatte. Nur, die Geschichte wäre wohl anders verlaufen, hätte Hitler über nukleare Massenvernichtungswaffen verfügt, die er angesichts der drohenden Niederlage bereits 1941 ohne zu Zögern eingesetzt hätte. Insofern hinkt der Vergleich zwischen der Situation unter Hitler und der unter Putin gewaltig.

Diejenigen, die heute lauthals fordern, man möge doch den III. Weltkrieg starten, damit wir in der Ukraine die „europäischen Werte“ verteidigen können, müssen sich mehrere Fragen stellen lassen. Erstens, was für „europäische Werte“ meinen wir überhaupt? Die Freie Marktwirtschaft? Den heutzutage praktizierten Wild-West-Kapitalismus, der im Interesse der „Märkte“ 20 % der Bevölkerung in bitterer Armut leben lässt? Die hoch korrupte Verflechtung Politik-Wirtschaft-Finanzsektor, die uns als funktionierendes System verkauft wird? Das Ertränken von Flüchtlingen im Mittelmeer, die das Pech haben, nicht groß, blond und blauäugig zu sein? Zweitens, kann sich jemand vorstellen, wieviele Menschen elendig sterben werden, wenn Putin unter Druck einen nuklearen Angriff startet, ob durch das Sprengen von Tscherobyl oder die Atombombe? Auf Warschau, Berlin oder Paris?

Die überwiegend älteren Herren, die in den Sozialen Netzwerken nach Blut lechzen, gehören natürlich altersbedingt nicht zu denjenigen, die man zum Sterben in die Ukraine schicken würde, denn in Kriegen werden junge Männer zu Millionen verheizt. Da lässt sich vom Sofa aus so manches fordern…

Die Situation in der Ukraine ist völlig verfahren, täglich sterben Menschen, die Städte und Infrastruktur des Landes werden gerade dem Erdboden gleichgemacht, so, wie es Russland seit Jahren bei allen seinen Kriegen tut, die uns nur deshalb kaum interessiert haben, weil sie weiter weg und in ehemaligen Sowjetrepubliken stattfanden, zu denen wir keinen Bezug hatten. Wer demonstrierte denn schon, als die Rote Armee Georgien angriff oder die tschetschenische Hauptstadt Grosny verwüstete? Wer forderte damals, man müsse die NATO aktivieren? Als damals irgendwo weit weg im Kaukasus gebombt und gestorben wurde, rief niemand nach der NATO.

Die westliche Hoffnung, die Ukrainer würden ein Wunder bewerkstelligen und die Rote Armee aus dem Land jagen, ist leider nicht sehr realistisch. Auch, wenn sich Putin verkalkuliert hatte und sein Angriffskrieg nicht so verläuft, wie er sich das vorgestellt hat, steht die Wahrscheinlichkeit, dass er schon in den kommenden Tagen die großen ukrainischen Städte zerbombt und/oder eingenommen haben wird, leider sehr hoch.

So stellt der Politologe Professor Johannes Varwick, Professor für internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg die Frage, ob man nicht Millionen Menschenleben retten und einen Nuklearkrieg in Europa verhindern könnte, wenn Selenskyi nach Warschau oder Berlin ginge, um dort wenigstens symbolisch eine Exil-Regierung zu bilden. In der Tat, Putin würde dann eine pro-russische Marionetten-Regierung einsetzen und die Ukraine müsste bis zum Ableben des Kreml-Chefs in dieser unangenehmen Situation leben. Aber die Ukrainer würden leben, statt zu sterben oder in die Flucht gezwungen zu werden.

„Freiheit oder Tod“, tönt es von den westlichen Sofas, wo diejenigen sitzen, für die alles klar, eindeutig und einfach ist. „Es reicht, denen die NATO auf den Hals zu hetzen, Putin zu jagen und dann läuft wieder alles so, wie es soll.“ So etwas lässt sich vom heimischen Sofa aus einfach sagen, wenn die persönliche Hauptsorge der steigende Benzinpreis ist. Doch sollte man nicht leichtfertig fordern, die Welt zum dritten Mal in etwas mehr als einem Jahrhundert in einen Krieg zu treiben, der wieder Millionen Menschenleben kosten wird und dieses Mal mit deutlich „leistungsstärkeren“ Waffensystemen ausgetragen würde, als sie 1914-18 und 1939-45 zur Verfügung standen. Zweifelt irgendjemand im Jahr 2022 daran, dass eine unter Druck geratende Kriegsmacht zögern würde, alles an Waffen einzusetzen, was zur Verfügung steht?

Krieg, das hat nichts Heroisches, sondern ist dreckiges Sterben, Todesangst, Verlust von Eltern, Kindern und Freunden, von Heimat und einem „normalen“ Leben. Wer heute lauthals nach dem III. Weltkrieg ruft, hat seinen Geschichtsunterricht vergessen und denkt vermutlich, dass man, wie nach einem Videospiel, danach einfach die Reset-Taste drücken kann. Aber das stimmt nicht. So, wie sich die Situation entwickelt, gibt es nach wie vor nur zwei Prioritäten: Dass das Töten beendet wird und dass man diejenigen, die vor diesem Krieg (und anderen Kriegen) flüchten, menschenwürdig aufnimmt. In dieser Situation darf keine Überlegung tabu sein, doch das Gekrähe nach noch mehr Krieg vom heimischen Sofa aus, das sollte man sich schenken.

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