Die Oberrheinkonferenz will die Pandemie bekämpfen…

… und plant dafür, im Herbst 2022 (!) einen Handlungsrahmen zu beschließen. Den Ernst der Lage und die Notwendigkeit, pragmatisch und grenzüberschreitend gegen die Pandemie vorzugehen, haben immer noch nicht alle begriffen.

Am schönen Oberrhein versuchen wir es jetzt mit einer neuen Strategie - wir verwalten das Virus zu Tode! Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Morgen findet eine „virtuelle“ Sitzung der Oberrheinkonferenz statt, bei der, Punkt A.4 auf der Tagesordnung, über die Ergebnisse des Kongresses „Pandemie am Oberrhein“ gesprochen werden soll, der am 26. November gemeinsam mit dem Oberrheinrat organisiert wurde. Und – das ist die sensationelle Nachricht, bei diesen endlosen Sitzungen und Debatten all dieser Organisationen und Einrichtungen kommen sogar Beschlüsse heraus. Die im Idealfall sogar dazu führen könnten, dass man beschließt, künftig noch mehr Beschlüsse zu fassen. Highlight dieser verwaltungstechnischen Sternstunde ist der angestrebte (aber natürlich noch nicht gefasste) Beschluss, im Herbst 2022 (!) einen „Handlungsrahmen“ vorzustellen. Im Herbst 2022!

Doch erst einmal wird das stattfinden, was Rudi Dutschke einst mit anderer Bedeutung als den „langen Marsch durch die Institutionen“ bezeichnet hatte. Über mehrere Verwaltungsstufen sollen die regionalen und nationalen Regierungen darüber informiert werden, was man sich dann als „Handlungsrahmen“ vorstellt.

Immerhin, in aufgeplustertem Verwaltungsdeutsch erklären die Mitglieder dieser Gremien, dass sie verstanden haben, dass gerade etwas nicht so richtig rund läuft. So steht in den Beschlussvorlagen: „Der trinationale Handlungsrahmen ist ein Integrationsinstrument im Grenzraum. Er soll grenzüberschreitende Gesundheitsprojekte am Oberrhein fördern und dazu beitragen, dass die steigende grenzüberschreitende Mobilität im Grenzraum stärker berücksichtigt wird. Der Handlungsrahmen bietet Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung eine Übersicht über die Strategien und Prioritäten im Bereich Gesundheitspolitik in den Teilregionen am Oberrhein sowie eine Vision der grenzüberschreitenden Entwicklungsachsen. Jede Teilregion hat ihre eigenen Dynamiken, Infrastrukturen, Akteursnetzwerke, Arbeitsschwerpunkte usw., und dennoch bleiben die Anknüpfpunkte zwischen den Gesundheitssystemen noch verbesserungsbedürftig.“ Dass man sich den Luxus leistet, Menschen dafür zu bezahlen, solche Allgemeinplätze zu formulieren, ist schon grenzwertig. Dass in der aktuellen Situation die Arbeit der eingebundenen Akteure offenbar nur darauf abzielt, im Laufe der nächsten Jahre Visionen, nationale Prioritäten und „Handlungsrahmen“ zu definieren und auszutauschen, ist unglaublich. Die Pandemie ist jetzt unterwegs und erfordert Antworten und Strategien jetzt und nicht irgendwann in ferner und fernster Zukunft. Es sei denn, die Strategie dieser seltsamen Organisationen wie Oberrheinrat und Oberrheinkonferenz besteht darin, das Virus zu Tode zu verwalten. Aber – das werden sie nicht schaffen.

Immerhin, in zahlreichen Arbeitsgruppen, Meetings, virtuellen und „richtigen“ Treffen konnte man einen sehr ambitionierten Zeitplan erarbeiten. Und der sieht im Original so aus (und wird bestimmt morgen bei der großen, virtuellen Sitzung verabschiedet werden):

* November-Dezember 2021: Erarbeitung einer Übersicht der Gesundheitsstrategien in den Teilräumen des Oberrheins und Identifizierung von Schnittmengen, Bedarf und Potenzial für grenzüberschreitende Gesundheitskooperation

* Frühjahr 2022: Organisation einer Information-Veranstaltung mit den Stakeholders und operativen Akteuren zur Abstimmung von priorisierten Handlungsfeldern für den Oberrhein

* Herbst 2022: Präsentation des Handlungsrahmens in einer größeren Veranstaltung

Das ist ein höchst ambitionierter Plan, der zwar voraussetzt, dass das Virus und seine Varianten die gleichen Feiertage und Ferienzeiten einhalten wie die Beamten in Baden, dem Elsass und der Nord-West-Schweiz, aber dennoch zumindest von so etwas wie gutem Willen zeugt. Auch, wenn neben dem guten Willen vor allem eine unglaubliche Realitätsferne und eine Mentalität durchschimmern, die zeigen, dass sich diese Organisationen mittlerweile im luftleeren Verwaltungsraum bewegen und mit dem Leben der Menschen am Oberrhein nicht mehr viel zu tun haben.

Ein kleiner Beitrag für die sicherlich sehr angeregten Debatten morgen: Nein, man kann eine Pandemie nicht zu Tode verwalten. Nein, das Virus wird nicht darauf warten, dass auch die 27. Arbeitsgruppe Ergebnisse gezeitigt hat, die dann irgendwann von irgendeinem Plenum verabschiedet werden, bevor sie sich auf den unendlichen langen Weg durch x Verwaltungen machen können, auf dem die Chancen groß sind, dass sie in den Schubladen irgendwelcher Beamten versanden.

Die pandemische Entwicklung findet heute statt. Seit zwei Jahren versucht jede Region und jedes Land, mit hausgemachten und immer auf das eigene Land begrenzten Maßnahmen ein weltweites Phänomen in den Griff zu bekommen. Das Ergebnis dieser zweijährigen Krise ist und dass die Pandemie gerade explodiert, weil alle bisher ausprobierten Strategien gescheitert sind.

Aber wir am Oberrhein müssen uns keine Sorgen machen. Wir haben das unendliche Glück, über Verwaltungen zu verfügen, die ihre Prioritäten richtig setzen. Dass bereits im Herbst 2022 über einen Handlungsrahmen entschieden werden soll, den dann regionale und nationale Instanzen prüfen, kommentieren und irgendwann beschließen müssen, macht große Hoffnung, dass man schon 2024 oder 2025 anfangen kann, sich ernsthaft Gedanken über ein gemeinsames Vorgehen gegen diese Pandemie zu machen. Aber dann geht’s dem Virus richtig an den Kragen. Falls es dann überhaupt noch da ist.

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