Die Reise nach Jerusalem

In der französischen Politik geht es zu wie beim Spiel „Die Reise nach Jerusalem“. Die Politiker springen von Partei zu Partei und schaffen sich selber ab.

Niemand versteht mehr, warum es im kleinen Stadtrat von Strasbourg inzwischen 10 Fraktionen gibt. Weimar lässt grüssen... Foto: Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Das Leitmotiv der französischen Politik ist seit 2 Jahren der Verrat. Es begann mit dem damaligen Premierminister Manuel Valls, der nach seinem Scheitern bei der Vorwahl zur Präsidentschaftswahl erst dem Sieger Benoît Hamon die Gefolgschaft verweigerte, dann die PS verließ um sich En Marche anzuschließen und als er bei En Marche auch nichts mehr werden konnte, erinnerte er sich an seine französisch-spanische Doppelstaatsangehörigkeit und bewarb sich um den Posten als Bürgermeister von Barcelona. Wenn ein solcher Mann von „politischen Werten“ spricht, möchte man nur noch lachen. Doch Valls ist kein Einzelbeispiel, sondern absolut typisch für das, was gerade in Frankreich passiert – der Ausverkauf politischer Werte.

Auf nationaler Ebene ist dieses politische Stühlerücken in vollem Gange. Der gerade zurückgetretene Innenminister Gérard Collomb war gegen den Willen seiner Partei (PS) in die Regierung Macron/Philippe (En Marche) eingetreten und dankte nach nur einem Jahr wieder an, um als „Parteiloser“ in Lyon Bürgermeister zu werden. Und es gibt Dutzende, wenn nicht Hunderte solcher Beispiele, wie französische Politiker wie Schmetterlinge von Partei zu Partei flattern, um dort zu schnuppern, ob nicht ein kleines Pöstchen frei wäre, oder eine Kandidatur oder irgendetwas, mit dem man Ruhm ernten und Geld verdienen kann.

Doch wenn dann die hohen Damen und Herren, nachdem sie alles und jeden verraten haben, auf der lokalen Ebene ankommen, um dort eine ruhige Kugel zu schieben, dann müssen sie feststellen, dass es dort auch nicht besser ist. Wie beispielsweise in Straßburg. Vor einem Jahr gab es im dortigen Stadtrat vier Fraktionen: Grüne, PS und andere Linke, die Zentrumspartei UDI und den rechtsextremen Front National. Übersichtlich. Heute, ein Jahr später, gibt es in dem gleichen Stadtrat nicht weniger als 10 Fraktionen, wobei die Lokalzeitung DNA permanent salbungsvolle Stellungnahmen einzelner PolitikerInnen oder Grüppchen veröffentlicht, die sich selbstständig machen oder anderen Grüppchen anschließen, da sie urplötzlich die einzig selig machende politische Wahrheit anderswo als in ihrer eigenen politischen Familie ausgemacht haben.

Abgesehen davon, dass niemand in der Bevölkerung mehr versteht, wer da gerade warum mit wem ‚rummacht, sich gegenseitig politische Dolche in den Rücken steckt und den nächsten „Miniputsch“ vorbereitet, erreichen alle diese „Politiker“, dass sich die Menschen entweder vollständig von der Politik abwenden (das sind die rund 50 % der Menschen, die gar nicht mehr an Wahlen teilnehmen) oder in den Armen der Extremisten landen.

Der Rückenwind, den die Extremisten haben, ist nicht etwa das Ergebnis davon, dass diese extremistischen Parteien irgendein überzeugendes Konzept oder gar Programm hätten, sondern davon, dass die Menschen die Nase von einem politischen Establishment voll haben, dass für keinerlei Werte außer der eigenen Karriere steht.

Frankreich versinkt im politischen Chaos – und folgt damit dem Beispiel seines Präsidenten. Denn der hatte den „politischen Verrat“ ebenso früh hoffähig gemacht wie sein Kumpel Manuel Valls. Zwei Jahre vor seiner Wahl hatte der Wirtschaftsminister von François Hollande seinen politischen Ziehvater im Regen stehen lassen, sich mit einer katastrophalen Bilanz aus dem Wirtschaftsministerium verabschiedet, um sich fortan als politischer Gegner Hollandes und der PS und als Hoffnungsträger Frankreichs zu präsentieren. Mit riesigem Erfolg. Kein Wunder also, dass alle ihren Babo imitieren und genau wie er von politischer Überzeugung zu politischer Überzeugung wechseln. Dass sie dabei das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler verspielt haben, scheinen sie alle zusammen immer noch nicht zu merken.

Damit beginnt dann das Zeitalter der Extremisten, die deshalb früher oder später an die Macht kommen werden, weil sich die politischen Helden von heute ins Abseits von morgen manövrieren. Da könnte man sich glatt fragen, wofür sich die Politik auf allen Ebenen, national, regional und lokal Heerscharen von Beratern hält und diese durchfüttert – und diese Berater sind offenbar nicht mehr als Hofschranzen und Ohrenbläser, die sich nicht trauen, ihren Chefs reinen Wein einzuschenken. Wie sagt das Sprichwort? Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken…

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