Dinge, an die Sie heute während der Schweigeminute denken können

Heute, am 27. Januar 2015, jährt sich zum 70. Mal die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee. Um 12 Uhr findet daher in Baden-Württemberg eine Schweigeminute statt.

An der heutigen Schweigeminute zum Andenken an die Opfer des Faschismus und des KZ Auschwitz sollte man sich einige Gedanken machen. Foto: Trizek / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0

(KL) – Angesichts der aktuellen Debatten um religiöse Toleranz, aufkeimende xenophobe und neonazistische Tendenzen, ist die Anweisung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), heute in allen Verwaltungen und Schulen des Landes um 12 Uhr eine Schweigeminute zum Andenken an die Opfer von Auschwitz und des Faschismus durchzuführen, nur zu begrüßen. Während dieser Schweigeminute sollten alle diejenigen, die heute am Stammtisch murmeln, dass die „Pegida“ sooo Unrecht gar nicht habe, an ein paar Dinge denken.

Zum ersten sollten sie sich daran erinnern, was Menschen anderen Menschen antun können, wenn sie meinen, in irgendeiner Form wertvoller zu sein als diese anderen. Die Nazis prägten den Begriff des „Untermenschen“ und das bedeutete, dass alle, die nicht dem willkürlich definierten Bild des „guten Deutschen“ entsprachen, Menschen zweiter Klasse waren. Heute sind wir wieder dabei, Menschen zu kategorisieren – in Sachsen, Deutsche, Christen, Abendländler, Europäer, Flüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge, Moslems und Juden. Wollen wir das wirklich? Heute, am 27. Januar 2015 und im Gedenken an die nur 7.500 Überlebenden von Auschwitz, kann die Antwort nur „Nein“ lauten.

Da man diese Antwort in nur 10 Sekunden geben kann, bleiben noch 50 Sekunden der Schweigeminute. Nun könnte man darüber nachdenken, ob man nicht selber irgendeiner Minderheit angehört. Sie werden feststellen, dass JEDER einer Minderheit angehört. Vielleicht haben Sie Vorfahren, die aus einem anderen Land stammen, vielleicht gehören Sie einer Glaubensgemeinschaft an, die abseits des Mainstreams glaubt, vielleicht haben Sie ein ausgefallenes Hobby oder einen seltenen Beruf – und alles, was Sie anders macht und Ihre Individualität ausmacht, kann Sie im Faschismus in den Tod führen. Wollen Sie wirklich zusehen, wie sich der Faschismus wieder in Deutschland und Europa ausbreitet? Sind Sie wirklich der Ansicht, „das Boot sei voll“ und es gäbe keinen Platz für Menschen, die anders sind?

Das war jetzt schon schwieriger und Sie haben nur noch 30 Sekunden Schweigeminute. Denken Sie in den kommenden 20 Sekunden bitte daran, was heute, im Januar 2015, auf der Welt passiert. Überall herrscht Krieg, Ukraine, Syrien, Irak, Nigeria – um nur diese zu nennen. Wie zerbrechlich ist doch der Frieden! Dürfen wir wirklich so sorglos mit dem umgehen, was wir in Europa seit 70 Jahren den Gründervätern Europas verdanken? Dürfen wir wirklich die europäische Einheit in Frage stellen, weil die großen Spekulanten und das diktieren wollen? Müssen wir nicht im Gegenteil alles daran setzen, den Aufbau eines humanen und humanistischen Europas voran zu bringen? Nutzen Sie bitte diese 20 Sekunden, um auch darüber nachzudenken, was Sie ganz persönlich tun können, um europäisch zu handeln. Stellen Sie Ihre Kompetenzen humanitären oder karitativen Projekten zur Verfügung, engagieren Sie sich in europäischen Initiativen, laden Sie Ihren türkischen Nachbarn auf einen Kaffee ein – es gibt keine „kleinen“ richtigen Aktionen – es gibt nur richtige und falsche Aktionen.

Und nutzen Sie nun die verbleibende Zeit der Schweigeminute für ein ehrendes Andenken an die unzähligen Opfer des Faschismus. Und auch daran, dass diese vielen Opfer nie ausreichend geehrt und dass die Täter nie betraft wurden. An die 500.000 Deutsche wirkten direkt oder indirekt an der Tötungsmaschinerie der Nazis und damit an vielleicht dem größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit – von den tausenden Henkern in Auschwitz wurden gerade einmal 22 verurteilt. Denken Sie an die Opfer und versprechen Sie ihnen, dass auch Sie alles dafür tun werden, dass sich so etwas nie wieder wiederholen kann. Nie.

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