Disziplin ist alles…

Der neue Strafen-Katalog für nicht geimpfte Menschen in Baden-Württemberg zeigt es deutlich – inzwischen geht es weniger um die Gesundheit der Menschen, als vielmehr um die Impf-Disziplin.

Ab sofort bekämpft Winfried Kretschmann nicht geimpfte Personen. Das ist auch einfacher, als gegen eine weltweite Pandemie vorzugehen. Foto: GRÜNE Baden-Württemberg / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die am Donnerstag in Kraft getretenen neuen Covid-Regeln präsentiert. „Es handelt sich keineswegs um Straf-Maßnahmen gegen nicht geimpfte Menschen“, erklärte er. Gut, dass er das gesagt hat, denn ansonsten hätte man das kaum gemerkt.

Was ändert sich nun in Baden-Württemberg bezüglich der Pandemie? Die erste Nachricht ist, dass in Baden-Württemberg nun die Infektions-Inzidenz abgeschafft wurde. Stattdessen agiert das Land nun mit zwei „Warnstufen“, die aus zwei Parametern errechnet werden, die niemand mehr nachvollziehen kann. Stufe 1 tritt in Kraft, sobald im Land 250 Menschen mit Covid-19 auf der Intensivstation liegen. Der zweite Parameter ist die Hospitalisierungs-Inzidenz – wenn 8 Personen von 100.000 Einwohnern im Laufe von 7 Tagen mit Covid ins Krankenhaus eingeliefert werden, ist auch dieser Parameter erfüllt. Das Ganze hat den Vorteil, dass ab sofort wirklich niemand mehr die Entwicklung der Pandemie nachvollziehen kann, man aber das Gefühl hat, dass etwas passiert. Wenn nun diese Warnstufe 1 erreicht ist, greifen Maßnahmen, ausschließlich gegen nicht geimpfte Personen. Diese dürfen dann bestimmte öffentliche Bereiche nur noch mit einem aktuellen PCR-Test betreten. Für geimpfte und genesene Personen, die sich in der Regel nicht mehr testen lassen, dafür aber nach wie vor das Virus einfangen und weitergeben können, gilt auch bei Warnstufe 1 – nichts. Sie können das Virus weiter verbreiten, ohne dass sie irgendjemand daran hindern würde.

Warnstufe 2 funktioniert nach dem gleichen Prinzip. 390 Menschen mit Covid-19 auf der Intensivstation oder eine „Hospitalisierungs-Inzidenz“ von 12 (statt 8 auf Warnstufe 1), und es greifen noch schärfere Maßnahmen. Selbstverständlich nur gegen nicht geimpfte Personen. Denn dann gilt die „G2-Regel“ für den Zutritt zu Restaurants, Sportveranstaltungen und Kulturevents. Die sind dann den nicht getesteten, dafür aber geimpften und genesenen, potentiellen Virenträgern vorbehalten. Das mag eine wunderbare Disziplinierungs-Maßnahme für die Bevölkerung sein, aus sanitärer Sicht macht sie keinen Sinn, zumindest nicht so lange, bis es einen Impfstoff mit hoher Wirksamkeit gegen die neuen Varianten oder eine kollektive Immunität gibt. Beides wird allerdings leider nicht eintreten, weswegen es sicherlich viel mehr Sinn macht, in der allgemeinen Ratlosigkeit erst einmal die nicht geimpften Personen zu bestrafen. Irgendjemand muss ja schuldig sein.

Nicht geimpfte Personen haben im Quarantäne-Fall ab sofort auch keinen Anspruch mehr auf Lohnfortzahlung. Zusätzlich zur Krankheit oder einer Zwangspause als Kontaktfall, entzieht man den nicht geimpften Personen damit auch die soziale Existenzgrundlage. Wie gut, dass Winfried Kretschmann unterstrichen hat, dass es sich nicht um „Straf-Maßnahmen“ handelt…

Da passt es auch wunderbar, dass nach der Bundestagswahl am 26. September, im Oktober, auch die PCR-Tests kostenpflichtig werden. Eine schlaue Maßnahme, denn so erfährt man wenigstens in den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten nicht, wer gerade aktuell Virusträger ist. Bei aller Hilflosigkeit der Politik hat man damit das sicherste Mittel gefunden, für eine weitere Verbreitung des Virus zu sorgen. Da sich Geimpfte und Genesene ja in der Regeln kaum noch testen lassen, entfällt damit das einzige Instrument, mit dem man zeitnah eine Erkrankung feststellen und entsprechende Quarantäne-Maßnahmen treffen kann.

Insofern dienen die neuen Maßnahmen wohl in erster Linie dazu, Menschen dazu zu zwingen, sich mit Impfstoffen impfen zu lassen, deren Wirksamkeit gegen die neuen Varianten mehr als rückläufig ist, und das, obwohl man weiß, dass selbst die „guten Bürger“, also die geimpften und genesenen Personen, nach wie vor höchst aktive Virenüberträger sein können und sind. Aber das verdrängt man lieber, ebenso wie den Gedanken, dass man auch nach 20 Monaten immer noch nicht verstanden hat, dass man eine Pandemie nicht lokal oder regional bekämpfen kann. Weltweit sind deutlich weniger als 20 % der Bevölkerung doppelt geimpft und es gibt Länder in Afrika, in denen nur 1 % der Bevölkerung (natürlich die reichsten) geimpft sind. Da nutzt es wenig, wenn bei uns dritte, vierte oder fünfte Dosen verabreicht werden, während das Virus weiterhin unvermindert durch die Welt irrt.

Dass Regierungen in einer solchen Situation vor Problemen stehen, das versteht jeder. Dass sich aber offensichtlich die Regierungen verständigt haben, das gesamte pandemische Geschehen den nicht Geimpften in die Schuhe zu schieben, ist mehr als problematisch.

Mit den neuen Maßnahmen vertieft Baden-Württemberg die Risse, die bereits heute durch die Gesellschaft laufen. Es steht zu befürchten, dass „Sündenbock-Strategie“ und „Straf-Maßnahmen“ die Pandemie nicht beenden werden. Dafür spielt die Politik gerade Zauberlehrling und wird sehr aufpassen müssen, dass sie die Geister, die sie gerade ruft, auch irgendwann wieder loswird. Und das wird alles andere als einfach werden.

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