Ein europäischer Schuss in den Ofen

Beim Gipfel der EU und rund 60 lateinamerikanischen und karibischen Staaten wollten die Europäer ihren Gästen eine Erklärung gegen Russland „unterjubeln“. Doch das klappte nicht.

Olaf Scholz versuchte, die Ergebnisse des Brüsseler Treffens noch schönzureden; Foto: © European Union 2023

(KL) – Es wird immer deutlicher, dass eines der europäischen Probleme eine gestörte Wirklichkeits-Wahrnehmung ist. Nach wie vor hält sich Europa für den Arbiter elegantiarum der Weltpolitik, nach wie vor glaubt man in Europa, dass man weltweite Standards setzt und dabei eine internationale Führungsrolle einnimmt. Doch diese Zeiten sind längst vorbei und offenbar trauen sich die mehr als 30.000 Beamten in Brüssel nicht, ihren Chefs reinen Wein einzuschenken. Das Treffen der EU mit rund 60 Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika und der Karibik zeigte den Europäern einmal mehr ihre Grenzen auf. Knackpunkt war eine Schlusserklärung, von der die Europäer gehofft hatten, dass sie einfach so durchgewunken werden könnte. Doch das war nicht der Fall.

Die Schluβerklärung, die man in Brüssel für dieses Treffen vorbereitet hatte und die eben nicht einfach angenommen wurde, beinhaltete eine Resolution gegen Russlands Invasion in der Ukraine. Was man in Brüssel allerdings immer noch nicht verstanden hat, ist dass es zahlreiche Länder auf dieser Welt gibt, die den russischen Angriff auf die Ukraine aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht verurteilen. Im Gegenteil, Länder wie Nicaragua hatten in der UN-Vollversammlung als eines von sieben Ländern sogar gegen eine UN-Resolution gestimmt, in der Russland für diesen Angriffskrieg verurteilt werden sollte. Dazu saβen mit Brasilien ein aktuelles und mit Argentinien ein künftiges BRICS-Mitglied am Brüsseler Tisch und die europäische Vorstellung, dass es gelingen könnte, diese Länder gegen Russland „umzudrehen“, ist abenteuerlich und weltfremd.

Nicht einmal ein Viertel der Staaten der Welt beteiligt sich an den Sanktionen gegen Russland, nicht einmal alle EU-Mitgliedsstaaten sind dabei. Unsere westliche Vorstellung, dass sich die ganze Welt empört gegen Russland stellen würde, ist grundlegend falsch und sogar gefährlich. Denn wer die Lage so falsch einschätzt, wird Schwierigkeiten haben, passende Strategien zu entwickeln. Für solche realistischen Strategien ist europäisches und westliches Wunschdenken nicht gerade förderlich. Wie realitätsfremd die westlichen Einschätzungen sind, erkennt man auch daran, dass die Europäer tatsächlich dachten, dass man seit vielen Jahren Russland nahestehende Länder wie Kuba, Nicaragua oder Venezuela im westlichen Sinn „umdrehen“ könne. Haben wir um Westen wirklich vergessen, dass die USA in diesen Ländern Putschversuche organisiert hat, die dortigen Regierungen destabilisieren wollte und in Kuba sogar mehr als 700 erfolglose Mordanschläge auf den damaligen Staatschef Fidel Castro durchgeführt hatte? Hat der Westen vergessen, wie er Südamerika seit Jahrhunderten unterdrückt und ausgebeutet hat? Und heute erwarten wir, dass sich diese Länder gegen Russland stellen, das sie so lange Jahre unterstützt hat?

Das Ergebnis des Brüsseler Treffens ist für Europa und den Westen ein kompletter Schuss in den Ofen. In der Abschlusserklärung wird Russland nicht einmal erwähnt und man findet in dem Dokument keinerlei Verurteilung des Kriegs in der Ukraine.

Der Versuch, der Welt zu zeigen, dass Russland immer isolierter dasteht, ist gescheitert. Und langsam muss Europa aufpassen, will es nicht morgen selbst isoliert dastehen. Die EU versinkt in der politischen Bedeutungslosigkeit und das Schlimmste daran ist, dass sie es nicht einmal merkt.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste