Ein Wahnsinniger, der sich im Elysée-Palast verschanzt hat?

Der Chef der Sozialisten im französischen Parlament Boris Vallaud findet keine netten Worte für seinen Präsidenten. Die Eskalation in der französischen Politik findet kein Ende.

Vermutlich könnte nur noch ein Rücktritt Macrons und seiner Minister die Lage in Frankreich beruhigen. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Der Graben zwischen Präsident Macron und seiner Regierung einerseits und den Franzosen andererseits, wird täglich tiefer. Während es Präsident Macron auch nach fast drei Monaten der größten Sozialproteste seit 40 Jahren nicht für nötig hält, in irgendeiner Form mit seinen Landsleuten zu kommunizieren, sondern lieber den Weltpolitiker in China gibt, wo er allerdings ebenso wenig erfolgreich ist wie daheim, kocht die Stimmung in Frankreich langsam über. So sagte der Chef der Sozialisten im französischen Parlament Boris Vallaud über Macron: „Er ist ein Wahnsinniger, der sich im Elysée-Palast verschanzt hat und eine demokratische Krise ausgelöst und einen demokratischen Gewaltakt begangen hat, indem er das Parlament brutal ausgeschaltet hat und nicht auf die Straße [zum Thema Rentenreform] hört.“ Mit der Meinung steht Boris Vallaud nicht alleine da.

Dabei liegt er nämlich auf der gleichen Linie wie der Chef der eher moderaten Gewerkschaft CFDT Laurent Berger, der ebenfalls von einer „demokratischen Krise“ gesprochen hatte. Für Vallaud befindet sich Frankreich nicht nur in einer demokratischen Krise, sondern in einer „demokratischen, politischen, institutionellen und sozialen Krise“ und man mag sich nicht ausmalen, was am Ende dieser Woche passiert, wenn der Verfassungsrat den per §49.3 durchgeboxten Gesetzestext zur Rentenreform bestätigen sollte, was angesichts der Zusammensetzung dieses Verfassungsrats mehr als wahrscheinlich ist.

Dass CFDT-Chef Laurent Berger sauer ist, kann man verstehen. Er war derjenige, der sich für den Dialog mit der Regierung stark gemacht hatte, doch als nach Monaten des Zögerns endlich eine Einladung zum Gespräch mit Premierministerin Elisabeth Borne kam, teilte diese den Gewerkschaftsvertretern kühl mit, dass man über alles reden könne, nur nicht über die Rentenreform. Dies hielt Borne allerdings nicht davon ab, dieses schon in der Planung zur Farce mutierte Treffen für ihre Kommunikation zu nutzen, um den Franzosen vorzumachen, dass diese Regierung dialogbereit und bürgernah sei. Dass Laurent Berger nicht so sehr begeistert war, dass dieses Treffen nur zur Verbreitung neuerlicher „Fake News“ auf Kosten der Gewerkschaften genutzt wurde, ist auch verständlich.

Und Präsident Macron? Der tourt durch China, gibt den Weltpolitiker, den allerdings auf internationaler Bühne niemand so richtig ernstnimmt, schwadroniert in fernen Asien davon, dass Europa eine „Supermacht“ auf Augenhöhe mit den USA und China sein sollte und dabei merkt er nicht einmal, dass die Welt einen Präsidenten kaum für voll nehmen kann, der es nicht einmal schafft zu verhindern, dass seit 2018 (nur unterbrochen von den Lockdowns in der Coronakrise) einmal pro Woche seine Hauptstadt und die großen Städte des Landes brennen. Genauso wenig wie bei der „Gelbwesten-Krise“ hat die Regierung auch jetzt keinerlei politische Antworten auf die Unzufriedenheit und die Forderungen der Bevölkerung.

Die Ebenen, auf denen Regierung und Bevölkerung überhaupt noch kommunizieren können, werden immer weniger. Genauer gesagt, gibt es keine solchen Ebenen mehr, denn nach dem skandalösen „Gespräch“ zwischen Elisabeth Borne und den Gewerkschaftsvertretern ist klar, dass diese Regierung das Land nicht im Interesse der Franzosen regieren, sondern nur über die Franzosen herrschen will. Für eine solche Nummer haben sich Macron & Cie. allerdings das falsche Volk ausgesucht.

Am Donnerstag steht der nächste Aktionstag in Frankreich an. Dabei werden sicherlich weniger Demonstranten unterwegs sein, denn die „verbale Kriminalisierung“ der Protestler hält durchaus den einen oder anderen davon ab, auch zum 12. Mal gegen eine taubstumme Regierung zu demonstrieren. Dafür werden diese Demonstrationen aber von Woche zu Woche gewalttätiger werden, was hätte vermieden werden können, hätte die Regierung auf die Proteste von Millionen von Franzosen reagiert. Zum besseren Verständnis: Demonstrationen dieser Größenordnung hat es in Deutschland noch NIE gegeben.

Man stelle sich vor, ein politisches Projekt, das die Bundesregierung durchsetzen will, löst Proteste von bis zu 3,5 Millionen Demonstranten aus, die dagegen auf die Straße gehen. Statt darauf zu reagieren, zieht Olaf Scholz ein paar Verfassungstricks, mit denen die erforderlichen Abstimmungen im Bundestag und im Bundesrat verhindert werden (der Senat durfte in Frankreich zwar abstimmen, aber keinerlei Änderungen am Gesetzestext vornehmen, sondern musste in einem Verfahren über den Text abstimmen, das man „vote bloqué“ nennt) und setzt das Gesetz eigenmächtig in Kraft. Selbst in dieser Situation weigert sich Olaf Scholz tapfer weiter, mit der Bundesbevölkerung zu reden. Stattdessen lässt er Arbeitsminister Hubertus Heil einen Termin mit den Gewerkschaften ansetzen, bei dem dieser den Gewerkschaftsvertretern mitteilt, dass es kein Gespräch über das bereits durchgeboxte politische Projekt geben wird. Unvorstellbar? Eigentlich ja. Aber das ist genau das, was gerade in Frankreich passiert. Und wenn dann Olaf Scholz noch durch die Welt reisen würde, um dieser zu erklären, wie sie zu funktionieren habe, dann würde das auch in Deutschland nicht viel Freude auslösen.

Die Fronten sind heute nicht verhärtet, sondern geradezu betonniert. In den Palästen der Macht in Paris sollte man sich allerdings nicht wundern, dass die Situation immer weiter außer Kontrolle gerät. Denn genau darauf legt man es offensichtlich an. Oder aber die Regierung ist so unglaublich schlecht besetzt, dass man dort einfach nicht versteht, was im Land vor sich geht. Doch beide Optionen sind nicht sonderlich vielversprechend.

Am Donnerstag wird also wieder demonstriert werden, es wird wieder Auseinandersetzungen mit der Polizei geben, die wiederum ein wenig härter als in der Vorwoche ablaufen werden und dann kann es sogar sein, dass es am Freitag und am Wochenende erneut heftig zugeht, nämlich falls das Gesetz vom Verfassungsrat validiert werden sollte. Dann dürfte es auch mit disziplinierten Demonstrationen der Gewerkschaften vorbei sein und das riesige Protestpotential wird sich auf andere Weise seinen Weg bahnen.

Die Regierung und ihr Präsident haben sich in eine Lage manövriert, in der nur noch ihr geschlossener Rücktritt die Situation beruhigen könnte. Da dies aber nicht zur verschrobenen Psychologie der Macht in Frankreich passen würde, läuft alles auf eine weitere Eskalation hinaus. Was an deren Ende passieren wird, steht in den Sternen. Doch die Geschichte Frankreichs zeigt, dass Staatenlenker, die es sich mit dem Volk verscherzen, am Ende immer den Kürzeren ziehen. Man wird sehen, was diese Woche in Frankreich passiert – allerdings gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich die Lage entspannen könnte. Das Gegenteil ist der Fall.

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