Eine Notbremse (ohne Bremsscheiben)

Emmanuel Macron hat seinen 4-Stufen-Plan heraus aus der sanitären Krise präsentiert. Am 30: Juni ist es dann soweit – die französische Regierung wird das Virus völlig unter Kontrolle haben.

Kann dank göttlicher Eingebung das Virus unter Kontrolle bringen - Emmanuel Macron. Foto: Jacques Paquier / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Angela Merkel hat sie schon eingeführt, die „Notbremse“ in der Pandemie. Ab einer Inzidenz von 100 gelten schärfere sanitäre Maßnahmen. Dann werden geöffnete Geschäfte wieder geschlossen, Schulklassen machen dicht, abendliche und nächtliche Ausgangssperren greifen, Treffen mit anderen sind extrem reduziert. Damit soll verhindert werden, dass sich das Virus in seinen zahlreichen Varianten weiter schnell ausbreitet. Das ist die Notbremse. Eine solche führt nun auch Präsident Macron in Frankreich ein. Nur dürfte die französische Notbremse im Falle einer erforderlichen Notbremsung kaum greifen, denn der auslösende Schwellenwert liegt in Frankreich bei einer Inzidenz von 400 (!).

Diese „Notbremse“ ist Teil eines vom Präsidenten präsentierten Vier-Stufen-Plans, mit dem Macron den Franzosen bis zum 30. Juni die Freiheit wiedergeben will. Los geht’s bereits am nächsten Montag mit Stufe 1. Dann darf man wieder zwischen den Regionen reisen, braucht tagsüber keine selbst ausgefüllte Ausgangserlaubnis mehr (aber abends und nachts), die meisten Schulklassen öffnen wieder im Wechselunterricht und ansonsten bleibt erstmal alles, wie es ist.

Aber in drei Wochen, am 19. Mai, wird’s auf Stufe 2 schon fast freiheitlich. Die Ausgangssperre beginnt abends erst um 21 Uhr, die Terrassen öffnen wieder (maximal 6 Personen am Tisch), Geschäfte dürfen unter Auflagen wieder öffnen, ebenso Kultureinrichtungen wie Theater und Kinos mit Sitzplätzen sowie Museen.

Dann schaltet Emmanuel Macron einen weiteren Gang hoch. Mit Vollgas geht’s am 9. Juni auf Stufe 3. Ausgangssperre erst ab 23 Uhr, Cafés und Restaurants dürfen wieder öffnen (klar, unter Auflagen), bei Sportveranstaltungen können wieder bis zu 5000 Zuschauer ins Stadion und – ausländische Touristen dürfen wieder ins Land, wenn sie einen gültigen Impfnachweis vorlegen. Aber welcher Tourist reist bitteschön in ein Land, das eine Inzidenz erst ab 400 so ernst nimmt, das es bereits ist, ein wenig die Maßnahmen anzuziehen? Momentan fährt ja auch niemand nach Indien oder in andere Hochinzidenz-Länder. Bei einer „Notbremse“ von 400 dürften die meisten Touristen schon vor der französischen Grenze ihre persönliche Notbremse und lieber anderswo hinfahren.

Das Timing für diese Stufe 3 ist allerdings prima festgelegt, unmittelbar vor den wichtigen Regional- und Departementswahlen, die der letzte richtige Test vor dem Superwahljahr 2022 sind, wenn Präsident und Parlament neu gewählt werden. Sich rechtzeitig zum Ende eines ohnehin kurzen und durch die Pandemie ziemlich geprägten Wahlkampfs als „Retter der Freiheit“ feiern lassen zu können, das ist schon eine glückliche Fügung des Kalenders…

Auf Stufe 4 und ab dem 30. Juni enden dann alle sanitären Maßnahmen und Beschränkungen, wobei die sanitären Gesten beibehalten werden sollen. Und somit ist dann die Pandemie in Frankreich rechtzeitig zu dem Sommerferien unter Kontrolle und alle leben glücklich und zufrieden bis an das Ende ihrer (Urlaubs-)Tage.

In ihren ersten Reaktionen zeigten sich zahlreiche Virologen und Klinikchefs geradezu bestürzt. Die seit über einem Jahr am Anschlag der materiellen und menschlichen Ressourcen arbeitenden Krankenhäuser ahnen, was da auf die zukommt.

Doch niemand muss sich in Frankreich Sorgen machen, wie der Präsident erklärte. Denn seine Entscheidungen basieren nicht etwa auf den windigen Einschätzungen vertrottelter Professoren, sondern sie sind göttlicher Natur. „Ich gehe abends mit Zweifeln schlafen und wache morgens mit gestärkten Überzeugungen auf“, sagte Macron. Und das kann ja nur bedeuten, dass ihm eine göttliche Macht im Schlaf die richtigen Strategien einhaucht. Da könnten die anderen Länder fast neidisch werden. Man darf gespannt sein, wie viele Länder die 400er-Notbremse kopieren. Oder aber die Einreise aus Frankreich ganz verbieten.

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