Eine „offene“ Grenze, die geschlossen ist…

Der neue „Lockdown“ in Frankreich ist eine Art Etikettenschwindel. Man erzählt uns, dass die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland offen bleibt – nur kann man sie in der Praxis von Frankreich aus nicht überqueren...

Pressekonferenz der französischen Regierung? Foto: Grand Parc, Bordeau, France, from France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Das klang schön, als Präsident Macron und am nächsten Tag sein Premierminister Jean Castex verkündeten, dass die innereuropäischen Grenzen offen bleiben. „Wir haben“, so Jean Castex salbungsvoll, „aus den Fehlern des ersten ‘Lockdowns’ gelernt…“. Prima! Nur – so „offen“ diese Grenze auch offiziell bleiben mag, für praktisch alle Elsässer bleibt sie geschlossen. Denn wie beim ersten „Lockdown“ dürfen sich die Franzosen nur für eine Stunde am Tag in einem Umkreis von 1 km von ihrer Wohnung bewegen. Und damit ist der kurze Ausflug nach Kehl zum Einkaufen in unerreichbare Ferne gerückt.

In der Praxis ändert sich also nicht viel im Vergleich zum ersten „Lockdown“ zwischen März und Mai. Damals wie heute konnten Grenzgänger die Grenze auf dem Weg zur Arbeit und zurück überqueren, damals wie heute können Arztbesuche und ähnliche Grenzübertritte auf „triftigem Grund“ erfolgen, wobei die Anerkennung eines „triftigen Grunds“ nach wie vor im Ermessen der Grenzbeamten liegt. Und auch, wenn an der Grenze nicht systematisch kontrolliert wird, so haben die deutschen Behörden bereits „Schleierfahndungen“ im Umkreis von 30 km zur Grenze angekündigt, um bei diesen „Schleierfahndungen“ zu überprüfen, ob die Einreisebestimmungen auch eingehalten werden. Soviel zum Thema „offene“ Grenze.

Auch die Aussage, dass dieser zweite „Lockdown“ weniger heftig ausfallen würde als der erste, stimmt nicht. Es handelt sich um genau die gleiche Maßnahme, mit dem einzigen Unterschied, dass die Schulen und Kindergärten geöffnet bleiben, damit die Kinder in der Zeit dort untergebracht werden können, in der die Eltern arbeiten gehen sollen. Der Versuch, gleichzeitig die Belange der Gesundheit UND der Wirtschaft zu bedienen, wird dazu führen, dass beides an die Wand gefahren wird. Tagsüber kann das Virus weiterhin munter im Dreieck Schule-Arbeitsplatz-Familie zirkulieren, ansonsten haben alle daheim zu bleiben.

Im Brustton der Überzeugung verkündeten sowohl Präsident Macron als auch Premierminister Castex, dass an diesem „Lockdown“ nichts Ungewöhnliches sei, schließlich würden die gleichen Maßnahmen auch in anderen europäischen Ländern angewandt. Doch auch das stimmt nur teilweise. Denn in den meisten Ländern sind beispielsweise die Geschäfte weiterhin geöffnet, was in dieser Vorweihnachtszeit das Überleben zahlreicher kleiner Geschäfte sichert. In Frankreich sind nun die kleinen Geschäfte geschlossen, dafür dürfen die Riesen-Einkaufszentren auf der grünen Wiese weiterhin mit allen ihren Abteilungen öffnen und eben nicht nur „lebensnotwendige“ Waren, sondern ihr ganzes Sortiment verkaufen. Und jede Wette, auch, wenn diese Einkaufszentren mehr als einen Kilometer von der nächsten menschlichen Behausung entfernt liegen, so werden die kontrollierenden Polizisten in der näheren Umgebung dieser Einkaufszentren beide Augen zudrücken, auch wenn theoretisch niemand dort hinfahren darf, der mehr als 1 km entfernt wohnt.

Ebenso wenig kennt man in anderen europäischen Ländern das Konzept der „Ausgangs-Genehmigungen“ – wer abends eine Runde mit dem Hund drehen will, muss diese Genehmigung ebenso ausfüllen wie alle, die Einkaufen gehen wollen, die zur Arbeit müssen oder die einen Arzttermin oder einen anderen „triftigen Grund“ haben, das Haus zu verlassen. Da die meisten Französinnen und Franzosen diese Genehmigung online ausfüllen, entsteht einmal mehr ein wunderbares Überwachungsinstrument – und dann wundert sich die Regierung, dass sich die Französinnen und Franzosen in ihrer großen Mehrheit weigern, die Anti-Covid-App auf ihren Smartphones zu installieren?

Die landläufige Meinung in Frankreich ist, dass auch zur Dauer des „Lockdowns 2.0“ nicht die Wahrheit gesagt wird. Viele sind der Ansicht, dass dieser erneute „Lockdown“ zwei bis drei Monate dauern wird, wobei durchaus nachvollziehbar ist, dass die Regierung nach erfolgtem „Lockdown“ die Bevölkerung nicht zu den Festen zum Jahresende aufeinander loslässt. Dennoch stellt sich die Frage, wieso es der französischen Politik so schwer fällt, die Wahrheit zu sagen.

Nein, zwischen den beiden „Wellen“ wurden weder neue Krankenhaus-Kapazitäten geschaffen (im Gegenteil, in Krankenhäusern wie in Nancy wurden Betten geschlossen!), nein, die Pflege- und Medizinberufe wurden in keiner Form aufgewertet, nein, die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal wurden nicht verbessert, auch, wenn sich Gesundheitsminister Véran selbst auf die Schulter klopft und ganz begeistert von der tollen Arbeit ist, die seine Verwaltungen leisten.

Dass die französische Regierung auf die explodierenden Infektionszahlen reagieren musste, ist klar. Doch dadurch, dass die Regierung ihrer Bevölkerung ständig Halbwahrheiten erzählt, sinkt das ohnehin schon angeschlagene Vertrauen der Bevölkerung in diese Regierung immer weiter. Schade, denn vieles könnte man ohne großen Aufwand deutlich besser managen.

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