Einer alten Tante einen Brief schreiben…

... ist oft ein lästiges Unterfangen. Und schwierig. Denn man weiß nie, ob es der letzte sein wird. Da muss man ganz besonders behutsam sein. Zumal, wenn diese eine Tante gar keine ist, sondern ganz viele – eine ganze Partei nämlich... ist oft ein lästiges Unterfangen. Und schwierig. Denn man weiß nie, ob es der letzte sein wird. Da muss man ganz besonders behutsam sein. Zumal, wenn diese eine Tante gar keine ist, sondern ganz viele – eine ganze Partei nämlich.

Schade, alte Tante SPD, du warst uns ans Herz gewachsen... Foto: SPD.DE

(Von Michael Magercord) – So kurz vor dem Ableben möchte ich noch einmal ein paar Worte an dich richten, auch um zum Ausdruck zu bringen, dass es mir ein wenig leid tut, dich aus dem politischen Leben scheiden zu sehen.

Sicher, du bist schon ziemlich alt und hast schon viele Stürme durchgemacht oder überstanden. Aber jetzt wird es leider ziemlich eng. Nicht, dass du schon komplett debil geworden bist, etwas senil vielleicht. Altersstarr – das trifft es vermutlich eher. Man könnte auch sagen, du hast den Zug der Zeit verpasst. Dazu aber hättest du erst einmal versuchen müssen, ihn überhaupt zu kriegen. Das erforderte ein Minimum an Mobilität, damit steht es ja in diesem Alter meist nicht mehr so gut.

So, nun wären noch ein paar warme Worte zum Abschied angebracht und Schluss. Doch nein, dabei will ich es nicht belassen! Nicht bei dir, denn ein wenig bist du uns in all den Jahren ans Herz gewachsen. Es war nicht einfach mit dir, wie gesagt: etwas stur, sobald was Neues auf dich zukam, bist du schon gewesen. Und ausgestattet mit einem seltsamen Mut, den eigenen Untergang herbeizuführen – oder wie sonst soll man es verstehen, wenn du immer mal wieder deine Freunde, Unterstützer und sogar jene, die auf dich hofften, vor den Kopf stößt?

Hilft noch Hoffen? Dem derzeitigen Koalitionär ergeht es ja auch nicht prächtig. Wenn die in ihrer Verzweiflung ihren alten schwarzen Mann aus dem Sauerland präsentieren, statt dem Provinzmädel, könntest du wieder jünger aussehen. Aber ehrlich: besser, das geschieht nicht. Und die einstigen Mitregenten billig abzukanzeln, nur weil sie dir nun nicht mehr so grün sind, bringt erst recht nichts. Guter Stil geht jedenfalls anders. Die sagen nämlich einfach vieles, was du schon lange hättest aussprechen müssen.

Das wär’s dann fast gewesen. Aber weil ich so mit dir nicht verbleiben will, und man den zweiten Frühling nie aufgeben sollte, hier noch einen – vielleicht – letzten Tipp. Und wie alles, was auf dieser Webseite erscheint, ist der Rat zwar nicht umsonst, aber kostenlos! Auch fast ohne Hintergedanken, denn so richtig viel zu vererben hast du ja nicht mehr. Forsa und Emnid taxieren dich derzeit auf 11 und 12 Prozent. Also liebe alte Tante SPD, um das Ableben doch noch hinauszögern, gibt es ein Mittel, das immer wirkt in Zeiten wie diesen, in denen sich alles ändert: Heutzutage muss man nämlich die Systemfrage stellen!

Ach ja, ich hatte es geahnt. Bei dem Wort siehst du rot und liest nicht weiter. Voilà: Chance vertan. Oder doch? Du bist noch dabei? Plötzlich mutig geworden? Dann folgt die nächste Enttäuschung, denn ich meine nicht, dass nun das ganze System infrage gestellt werden soll, also die repräsentative Demokratie und wer oder was dazu gehört. Nein, es geht um die vielen kleinen Systeme, die sich im Laufe deines Lebens herausgebildet haben, und an deren Weiterentwicklung du zum Teil maßgeblich beteiligt warst. Im Guten – zunächst – und nun – leider – eben auch im Schlechten. Nennen wir sie beim Namen: Sozialsystem, Gesundheitssystem, Verkehrssystem – und am Beispiel eines Systems, von deren Veränderung du dir ja gerade dein Heil versprichst, werde ich dir dein Problem kurz erläutern: dem Rentensystem.

Grundrente, klingt toll, aber so, wie du sie angehst, geht es auch nur wieder schief und bleibt Klientelpolitik, wie schon diese unsägliche Mütterrente. Okay, ich weiß, die ist nicht auf deinem Mist gewachsen, aber immerhin die Rente mit 63. Ist schon besser, aber auch nicht gut. Also zumindest kein Ansatz, der weiterführt. Und dieses neue heilversprechende Konzept mit der Verdoppelung der Rentenpunkte bei 35 Beitragsjahren macht nur wenige wirklich glücklich. Was dies dir vor allem bringt, ist die Wut über das Pech der vielen alten Leute mit nur 34 Jahren, 11 Monaten und 29 Tagen – bätschi!

Entschuldige, liebe alte Tante, den losen Umgangston. Aber ich nutze diesen schnoddrigen Jargon deiner kürzlich verblichenen nicht ganz so großen Vorsitzenden, weil sich darin die Arroganz widerspiegelt, die mit solchen Stichtagsrentenkonzepten einhergeht. Lebensleistung, tolles Wort, aber nicht, wie du sie definierst. Ich habe sie jedenfalls nicht erbracht, denn bis zum prognostizierten Tag des Renteneintritts tickte meine Beitragsuhr lediglich 33 Jahre und 8 Monate. Für dich zählen diese Jahre nun soviel wie Null. Danke schön!

Ganz ehrlich, was erlaubst du dir eigentlich, du alte Schachtel? Aus dem Tag des Renteneintritts das Jüngste Gericht auf Erden zu machen: Wer gut gelebt hat und fortlaufend beschäftigt war, den weist der SPD-Petrus ins Respektrentenparadies, wer aber verschiedene Tätigkeiten ausgeübt hat und vielleicht noch zwischendrin freiberuflich tätig war, wandert in die Hartz 4-Grundrentenhölle. Dabei sind diese beiden Niedriglöhner doch bloß Niedrigrentner. Denen hilft auch dein schöner Gerechtigkeitsdiskurs nicht weiter, denn welche „Gerechtigkeitslücke“ wird mit deinem Konzept bloß geschlossen? Im Gegenteil: zwei arme Schweine – und du reißt unter ihnen erst eine Lücke auf. Und wenn man schon mit so großen Worten um sich wirft, sollte man dann nicht endlich den Mangel an Gerechtigkeit zwischen Unten und Oben verorten, als immer nur mit jeder vermeintlichen Schließung einer klitzekleinen Lücke fünf neue aufzureißen?

Stattdessen werden bei deiner Grundrente Rentenpunkte verdoppelt und verrechnet mit Kinder- und Pflegezeiten. Das alles kumuliert sich an einem bestimmten Abrechnungsdatum zu einem neuen Punktwert. Puh, das ist eher ein Konzept für gewiefte Arithmetiker – und eben auch für Zyniker. Arm bleiben die meisten Alten nämlich trotzdem. Glaubt man den Berechnungen durch verschiedenen Sozialinstitute sogar vierzig Prozent der Menschen, die heute Mitte fünfzig und jünger sind. Ganz toll, liebe Tante!

Das findest doch nicht einmal du wirklich gut, oder? Deshalb nun nochmal dieser Tipp: Systemfragen stellen! Und zwar immer die kleinen, damit das große System, unsere Demokratie, den unausweichlichen Wandel übersteht. Bei der Rente heißt das: eine ganz andere Art der Altersvorsorge andenken. Etwa so: Alle zahlen ein und egal wie lange, rauskommt immer eine garantierte Mindestrente, die ausreicht für alles Nötige und dem Erhalt des Erarbeiteten. Auf der anderen Seite werden hohe Altersgelder gedeckelt, zum Beispiel solche wie von Parlamentsabgeordneten, schon wird alles wieder finanzierbar. Siehst du: ginge doch!

Aber um dahin zu kommen, musst du zuallererst etwas viel Wichtigeres tun: Das Menschenbild, das all deinen Konzepten bisher zugrunde liegt, musst du ändern! Also weg vom Idealbild des abhängig beschäftigten Industriearbeiters, hin zur Achtung vor einem freibestimmten Lebensentwurf. Wer, bitte schön, ist heute noch lebenslang fest beschäftigt? Und wer hat in seiner Regierungszeit dafür gesorgt, dass es immer weniger sind? Nun sollte man dem Rechnung tragen, aber nicht, in dem man ein Rad zurückdreht, das sich in Anbetracht der technischen und globalen Entwicklungen kaum mehr zurückdrehen lässt, sondern diesen Umstand auch als ein Stück von Freiheit begreifen.

Doch Freiheit braucht Absicherung, um nicht zur Scheinfreiheit zu mutieren – das bedeutet, dass ein Rentensystem nicht nur dazu da ist, jetzige Rentner zu versorgen, sondern bei jungen Menschen Vertrauen und Zuversicht ins Heute zu schaffen, indem man ihr Alter vorausschauend absichert. Bisher aber sagen die Jungen: Ich krieg ja sowieso nichts mehr. Und sie haben Recht, wenn immer nur weiter am derzeitigen System herumgedoktert wird – siehe oben. Also, liebe alte Tante: systemisch denken, nicht nur ans untertänige Industriearbeiterklientel. Das schwindet sowieso. Und sich der Frage aller Fragen stellen: Was ist der Mensch?

So, das war’s soweit, jetzt bist du dran. Ich gebe zu, es ist ein hartes Stück Arbeit für eine überalterte Partei in einer alternden Gesellschaft zu neuen Ufern aufzubrechen. Und dann erst die Details, oh je, aber dafür sind ja deine Gremien da. Und es gibt ja Partner, die, wenn man sie nicht gerade unflätig beschimpft, mitziehen würden. Wäre schön, noch mal was Besseres von dir zu hören. Aber wenn du das nicht mehr willst, dann geht es vermutlich auch ohne dich.

Das war’s jetzt aber wirklich, mach’ was draus… oder lass es bleiben und genieße wenigstens deinen Ruhestand, wohlverdient hast du ihn dir – so oder so.

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