Embedded. Ausgangssperre, Tag 20. Kippt die Stimmung?

Die Leute haben die Nase gestrichen voll. Von dem Virus, vom Eingesperrtsein, von der Aktualität und den Perspektiven. Am 20. Tag erwischt gerade viele der Lagerkoller.

Eine unwirkliche Stimmung - der zentrale Kléber-Platz in Strasbourg menschenleer... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 20. Gestern Abend kam plötzlich das Fieber, das eigentlich das einzige Symptom war, das mich 14 Tage lang in Ruhe gelassen hatte. Es kam schnell. Plötzlich spürt man, wie man von innen heraus anfängt zu glühen. Die Nacht war unruhig. Doch als ich aufwachte, war das Fieber wieder weg. Der berühmte Jojo-Effekt. Zum ersten Mal in diesen zwei Wochen hatte ich Angst. Angst, dass es doch noch schlimmer kommen könnte. Das tat es aber nicht. Bis auf den üblichen Morgenhusten, das Gewicht auf der Brust und die immer noch fehlenden Sinne für Geschmack und Geruch war alles OK.

Die Stimmung kippt gerade. Viele kommen mit der Situation nicht mehr klar. Hatte das Eingesperrtsein anfangs noch etwas vom Pfadfinder-Jugendlager, so hat sich jetzt die „Normalität“ der Situation eingestellt. Und viele fordern bereits, dass das „Confinementé“ jetzt wieder aufgehoben wird. Nur, das geht nicht. Obwohl das alles schon unzumutbar lang dauert, ist diese Krise immer noch im Anfangsstadium. Viele Regionen und große Städte Frankreichs sind noch nicht im Krisenmodus, was einen natürlich freut, was aber leider nur eine Momentaufnahme ist. Dort, wo das Virus noch nicht ist, wird es noch hinkommen. Und sich genauso verhalten wie bei uns.

Die Franzosen schimpfen mittlerweile auf alles und jeden. Verständlich, denn es gibt kein Ventil, über das man seiner Frustration und seinen Ängsten Lauf lassen könnte. Es gibt noch nicht einmal richtige Verantwortliche. Klar, das Krisenmanagement in Frankreich ist nicht berauschend und man merkt, dass die  Regierung dem entspricht, was Präsident Macron vor wenigen Monaten noch stolz verkündet hatte – sie besteht aus Amateuren. Doch statt des berühmten „unverbauten Blicks“ verhalten sich die Amateure an der Macht eben wie – Amateure. Aber Schuld ist auch die Regierung nicht an dieser Krise. In Abwesenheit eines echten Sündenbocks, dem man alles in die Schuhe schieben kann, bahnt sich die Wut eben andere Wege.

Die Ausgangsbestimmungen werden bis zum letzten ausgereizt, als ob es ein Sport wäre. Das kollektive Bewusstsein, dass diese Ausgangssperre dazu dient, die weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und im Idealfall zu stoppen, wird zweitrangig. Man schaut halt, wie weit man gehen kann, beim Spazierengehen oder beim Einkaufen. Das ist der rebellische Esprit der unbeugsamen Gallier, die gegenüber der Obrigkeit immer schauen, wie weit sie gehen können. Ein (französischer) Kommentator beschrieb das so: „Auf den Landstraßen darf man 90 km/h fahren. Also fahren wir alle mit 99 km/h, weil wir wissen, dass die Blitzer erst ab 100 km/h auslösen.“ Nur, bei diesem Virus ist jede Überschreitung der Vorgaben wie eine Einladung an das Virus, sich doch weiter auszubreiten.

Die mentale Verfassung vieler Menschen ist auf dem Nullpunkt. Die Vorgaben und Ankündigungen sind oft wirr und vor allem widersprüchlich und die daraus resultierenden Unsicherheit nagen weiter an der Moral der Menschen. Hieß es zuerst, dass die Schulen am 4. Mai wieder öffnen sollten, verlautete danach, dass man wohl bis September warten müsse, bis dann wieder zurückgerudert wurde, mit der Ankündigung, doch Anfang Mai den Schulbetrieb wieder aufnehmen zu wollen. Gleiches gilt für die Schutzmasken, zu denen die Regierung alle drei Tage eine neue Information herausgibt – zwischen „Masken sind unnötig“ und „wir überlegen, ob man künftig noch ohne Maske das Haus verlassen darf“. In dieser Kakophonie verlieren die Menschen nicht nur den Überblick, sondern vor allem das Vertrauen in diejenigen, die heute „schwarz“ und morgen „rot“ sagen.

Es wird Zeit, wie bereits gestern geschrieben, das Thema der psychologischen Verfassung von über 60 Millionen eingesperrten und verängstigten Franzosen und Französinnen ernst zu nehmen – denn wenn es so weitergeht wie in den ersten 20 Tagen, dann wird es richtig ernst, sobald das „Confinement“ wieder aufgehoben wird. Tag 20, die Stimmung kippt. Da sollte jetzt gegengesteuert werden.

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