Embedded. Ausgangssperre, Tag 45. Auf dem Weg zur Zensur?

Die französische Regierung hat eine prächtige Idee. Ist zwar bei Viktor Orban geklaut, aber das macht sie nicht schlechter. Endlich übernimmt die Regierung die Steuerung der Medien...

2007 kippte Sturm Kyrill die Statue der Pressefreiheit vom Sockel - heute machen das Regierungen. Foto: User:Ben2 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Tag 45, das nervt. Seit Beginn des „Confinements“ gehen die Leute abends um 20 Uhr auf den Balkon und klatschen für die Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte, als Zeichen der Dankbarkeit für deren Einsatz beim Retten von Menschenleben. Ich wohne in einem Wohnblock in der Innenstadt, rings um mich herum müssen das so 60 oder 70 Wohnungen sein. Und heute ist es passiert – ich habe zum ersten Mal völlig alleine geklatscht. Ansonsten sind wir immer nur zu dritt oder zu viert, was schon traurig genug ist, aber heute war ich der einzige Klatscher. Den Leuten scheint inzwischen alles egal zu sein. Und das nervt.

Aber davon wollte ich eigentlich gar nicht reden. Denn was viel mehr nervt, ist dass diese Art Auszeit in Frankreich genutzt wird, um allen möglichen Unsinn einzuführen. Wie jetzt die Zensur. Verkündet von der unsäglichen Regierungssprecherin Sibeth Ndaye, der Fleischwerdung der Missachtung dieser Regierung für ihre Bevölkerung, ist eine Internet-Site eingerichtet worden, auf der den Französinnen und Franzosen die einzig gültige Wahrheit zum Thema Covid-19 verkündet wird. Auf diese Site kommen die Artikel, die regierungsseitig als „wahr“ eingestuft werden.

Unter dem hübschen Titel „Désinfox Coronavirus“ dürfen regierungsnahe Medien, die sich ausnahmslos im Besitz großer Finanzgruppen, Banken und superreicher Familien befinden, ihre Artikel mit dem Regierungsstempel „wahr“ verbreiten. Das bedeutet natürlich im Umkehrschluss, dass wer nicht auf dieser regierungstreuen Site vertreten ist, automatisch als „unwahr“ gilt – und da hört es jetzt langsam auf.

Voraussetzung für den Eintrag auf dieser „Edelliste“ der französischen Medien ist es, über einen eigenen „Fact Check“ zu verfügen und zwar seit zwei Jahren. Diese „Fact Checks“ sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn das System, nach dem regierungstreue Medien selbst definieren, was wahr und was unwahr ist, hat seine Grenzen. Das haben wir bei Eurojournalist(e) auch bereits erlebt, letztes Jahr rund um den G8-Gipfel in Biarritz.

Damals waren drei junge Deutsche, die „linke Literatur“, eine Sturmhaube und einen Hammer im Auto hatten, auf dem Weg zu einem Zeltlager im spanischen Baskenland kontrolliert, verhaftet und in einem wenig rechtsstaatlichen Verfahren (als Übersetzerin fungierte eine nicht dazu bestellte Polizistin, der Kontakt zur Botschaft wurde verweigert, die Jugendlichen durften tagelang ihre Eltern nicht kontaktieren etc.) zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt worden. Wir berichteten damals darüber, hatten uns bei einem spontan gebildeten Unterstützerkomitee, den Eltern und einem Bundestagsabgeordneten der Linken erkundigt, und umfassend berichtet. Zeitgleich hatte „Libération“, die einstmals unabhängige und heute von einem Großinvestor kontrollierte Tageszeitung ebenfalls einen Artikel veröffentlicht, der hauptsächlich aus der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bestand, die logischerweise nicht kommunizieren konnte, dass sie völlig über das Ziel hinaus geschossen war.

Der Autor dieses Artikels war dann auch der Inquisitor für den „Fact Check“ – im Gespräch stellte sich heraus, dass er nicht darüber informiert war, dass die Jugendlichen aufgrund einer illegal von der deutschen Polizei geführten Datei verhaftet worden waren, gegen deren Existenz und Nutzung der Bundestagsabgeordnete der Linken eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte. Der „Kollege“ war über herzlich wenig Dinge informiert, veröffentlichte aber dennoch, vermutlich um seinen ziemlich schwachen Artikel besser aussehen zu lassen, einen „Fact Check“ zu unserem komplett dokumentierten Artikel und stufte diesen als „Fake News“ ein.

Gleichzeitig Partei und Richter zu sein, gibt diesem „Fact Check“-System einen  ziemlich faden Beigeschmack. Dass nun die Medien, die dieses Praxis durchführen, zu „Staatsorganen“ gemacht werden, an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Medien, ist nicht nur ungesund, sondern erinnert stark an die neue Regelung in Ungarn, wo der frisch gebackene Alleinherrscher Orban ab sofort definiert, welche Medien „Fake News“, also Kritik gegen den großen Meister veröffentlichen.

Es kann und darf nicht Aufgabe einer Regierung sein, „gute“ und „schlechte“ Medien zu unterscheiden. Alleine, dass es in Frankreich eine „Präsidentenpresse“ gibt, ist schon schlimm genug – das sind die Medien, die praktisch exklusiv aus den Pariser Regierungspalästen berichten dürfen und das sind natürlich diejenigen Medien, die brav das schreiben, was die Regierung gerne liest. Eine demokratische Regierung hat die Existenz aller Medien zu erdulden, ob diese nun schleimen oder kritisieren – die Politik hat sich nicht in die Medienlandschaft einzumischen. Tag 45, was kommt als nächstes? Das Verbot kritischer Medien? Das, was gerade in Frankreich passiert, ähnelt immer mehr den ungarischen Verhältnissen. Langsam muss man genauer hinschauen…

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