Europa muss nun zeigen, wie „Charlie“ es wirklich ist

Kleingeisterei, Gewalt, Fremdenhass und dumpfer Nationalismus oder im Gegenteil, Humanismus, Zusammenleben und gegenseitiger Respekt? Wir werden es sehen.

Die beste Antwort auf die Attentate von Paris sind - Karikaturen! Foto: Etudiants du CESAN / Johann Kuder / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Europa wird in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten zeigen müssen, wie “Charlie” wir wirklich alle sind. Dass heute die ganze Welt hinter Frankreich und “Charlie Hebdo” steht, ist eine Sache. Eine gute Sache. Aber der wirkliche Kampf um “Liberté, égalité, fraternité” steht uns noch bevor. Und dieser Kampf betrifft ganz Europa genau so wie Frankreich.

Die Ausländerhasser, christlichen Fundamentalisten, Rechtsextreme wetzen schon die Messer. Die barbarischen Attentate von Paris sind Öl auf ihren Mühlen und noch bevor die Tränen getrocknet waren, kamen sie schon aus ihren Löchern gekrochen, um aus diesen Verbrechen politisches Kapital zu schlagen. In Frankreich erklärte der knorrige Jean-Marie Le Pen: „Beim besten Willen, ich bin nicht Charlie!“ und seine Tochter beeilte sich, eine Volksabstimmung zur Wiedereinführung der Todesstrafe zu fordern. In Deutschland meint die “Pegida”, dass die Ereignisse von Paris ihr Recht gäben, wobei sie völlig übersieht, dass es sich um die Tat geisteskranker und perspektivloser Verbrecher handelte und nicht etwa um die Konsequenz der Anwesenheit Andersgläubiger in unseren Ländern.

Dabei ist dies durchaus auch ein Moment, zu dem man zugeben muss, dass es freie und unabhängige Medien in Europa fast genauso schwer haben wie anderswo auf der Welt. Was die Frage aufwirft, ob nicht nur heute die ganze Welt „Charlie“ ist, sondern auch noch morgen. Und übermorgen.

Wenn der erste Schock vorbei sein wird, wenn das Unbegreifliche von anderen Aktualitäten überholt werden wird, dann wird die Stunde der Extremisten schlagen. Schon heute wollen uns überall in Europa Rechtsextreme glauben machen, wir wären von einer „Islamisierung“ bedroht, wobei ein Vokabular bemüht wird, das wir seit der Zeit der Kreuzzüge nicht mehr verwendet haben. Werden wir stark genug sein, den Sirenengesängen der Volksverhetzer zu widerstehen? Wird am Ende die Vernunft oder der Stammtisch die Oberhand behalten?

Es gibt ermutigende Zeichen – wie die Demonstration am Samstag in Dresden, der Hochburg der Fremdenhasser und Neonazis, wo 35.000 Menschen auf die Straße gingen und sich dagegen wehrten, ihre Stadt eben diesen Neonazis zu überlassen. Ebenso ermutigend sind die zahllosen Demonstrationen in der ganzen Welt, bei denen die Menschen für die Freiheit auf die Straße gingen und ihr Mitgefühl mit den Opfern von Paris ausdrückten. Dieses Gefühl „Wir sind Charlie“ gilt es nun, mit in die Zukunft zu nehmen.

Wir alle, zusammen, müssen uns dagegen wehren, dass die Hassprediger jedweder Couleur aus den tragischen Ereignissen von Paris Kapital schlagen. Die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ haben dafür gekämpft, dass eine offene Gesellschaft ohne Diskriminierung entsteht – und was hätten ein Wolinski oder Cabu mit der Forderung von Marine Le Pen nach der Todesstrafe angestellt?!

In Deutschland werden wir schon in diesen Tagen ermessen können, welche Auswirkungen die Attentate von Paris haben werden. Am heutigen Montag, falls die Pegida wieder ihre unsäglichen Aktionen starten sollte, müssen die Gegenproteste weitergehen, sich intensivieren und die Neonazis und ihre Freunde müssen schleunigst wieder nach Hause geschickt werden. Die größte Gefahr für Europa sind nicht Anschläge von Geisteskranken, sondern der Versuch von Rechtsextremen, diese Tragödie für ihr eigenes Süppchen auszuschlachten. Auf jeden Einzelnen von uns kommt nun in ganz Europa eine echte Verantwortung zu – nämlich diejenige, über den eigenen Schatten zu springen und offen Farbe zu bekennen. Für Freiheit, für Brüderlichkeit und für soziales Gleichgewicht. Für „Liberté, égalité, fraternité“.

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