Gerade jetzt – der Mut, nach vorne zu blicken

Das Weltforum für Demokratie, das gestern offiziell in Straßburg eröffnet wurde, bietet eine großartige Gelegenheit, den Blick mutig und konstruktiv nach vorne zu richten. Genau das, was gerade gebraucht wird.

Strahlendes Wetter zur offiziellen Eröffnung des Weltforums für Demokratie in Straßburg. Als ob die Welt in Ordnung wäre. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Frankreich schaut nach Paris und zittert. Deutschland blickt nach Paris und Hannover und zittert mit. Zurecht, denn nur Dummköpfe haben keine Angst. Mut hingegen, das ist die Fähigkeit, seine Angst zu überwinden. Und genau die brauchen wir gerade, denn eines ist klar – wir können uns nicht unser Leben von fanatischen Terroristen diktieren lassen, denn das ist ja genau das, was sie wollen. Das IV. Weltforum für Demokratie (WFD), das gestern in Straßburg eröffnet wurde, ist eine großartige Chance, genau jetzt nach vorne zu schauen, gemeinsam mit Experten, Wissenschaftlern, Journalisten und Bürgern, die sich zum Thema „Freiheit oder Kontrolle“ austauschen, neue Ansätze zu entwickeln, wie man verhindern kann, in der aktuellen Situation in eine Art Überwachungsstaat einzuschwenken – doch brauchte es gestern die Rede der Generalsekretärin der Internationalen Organisation der Frankophonie (IOF) Michaëlle Jean, um die anwesenden Politiker daran zu erinnern, dass kriegerische Parolen nicht die einzigen Antworten sind, die man auf die aktuellen Bedrohungen geben kann.

Dass man um die aktuelle Thematik nicht herumkommt, das weiß jeder. Niemand kommt um die Anschläge und verschiedenen Bedrohungen herum. Nicht Sie, nicht wir, niemand. Und dennoch muss man überlegen, wie man aus dieser Situation herauskommt. Genau dazu dient das WFD in Straßburg – nicht zum Säbelrasseln, sondern zum Entwickeln von Strategien, wie man Bürgerrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit in einer sich rapide ändernden Welt gestalten kann, um sie durch schwere Zeiten zu retten.

Fast hätte der französische Europaminister Harlem Désir diese Absicht unterlaufen. Seine Eröffnungsrede war eine schwache Kopie der Rede, die François Hollande vor den beiden gesetzgebenden Kammern Frankreichs gehalten hatte, dem Kongress. So gut Hollandes Rede vor dem Kongress war, so unpassend war Harlem Désirs Rede vor den Teilnehmern des Weltforums für Demokratie – hier musste niemandem mitgeteilt werden, dass man sich im Krieg befindet, dass man sich nicht von Terroristen einschüchtern lassen darf, dass man entschlossen gegen die brutalen Mörderbanden des IS vorgehen will. In der Schule hätte man Harlem Désir vermutlich mit der Anmerkung „Thema verfehlt“ wieder auf seinen Platz geschickt, doch hätte diese vierte Ausgabe des WFD an dieser Stelle auch in die Bedeutungslosigkeit kippen können. Denn die Teilnehmer dieses Forums sind nicht nach Straßburg gekommen, um am allgemeinen Säbelrasseln mitzuwirken, sondern im Gegenteil, um Strategien zu entwickeln, wie man trotz dieser Bedrohungen, trotz der Ängste wichtige Werte der Gesellschaft retten kann.

Doch bevor Harlem Désir das Thema dieses Forums („Freiheit oder Kontrolle – für eine demokratische Antwort“) verwässern konnte, kam Michaëlle Jean ans Rednerpult. Die Kanadierin ist Generalsekretärin der Internationalen Organisation der Frankophonie, also der französischsprachigen Staaten, was vielleicht auch erklärt, warum sie in Deutschland praktisch unbekannt ist. Was schade ist, denn Michaëlle Jean erwies sich als große Humanistin.

Zu Beginn ihrer Rede ging sie, übrigens in Anwesenheit der jemenitischen Friedensnobelpreisträgerin Takkawul Karman, sehr sensibel auf die Ereignisse von Paris ein, wies aber auch darauf hin, dass es sich jetzt nicht nur um die Bekämpfung eines einzelnen Ereignisses geht, sondern um den Umgang mit grundlegenden Bürgerrechten weltweit. So erwähnte sie die Terroropfer in Beirut, in Nigeria, in Mali und schaffte es damit zu vermitteln, dass es sich um ein Problem mit weltweiter Tragweite handelt, auf das es auch weltweite Lösungen zu finden gilt – und damit brachte sie dieses Weltforum für Demokratie zurück auf die richtige Spur, von der Harlem Désir es beinahe weg geführt hätte.

Mit großartiger Rhetorik schlug Michaëlle Jean den Bogen von den aktuellen Problematik hin zur eigentlichen Frage, die bei diesem Forum besprochen werden soll – die Frage von Grundrechten wie Meinungs- und Pressefreiheit. In der aktuellen Lage das berühmte Zitat von Benjamin Franklin zu bringen („Ein Staat, der grundlegende Freiheiten zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit opfert, verdient weder die eine noch die andere. Und wird am Ende beide verlieren“), das erfordert Fingerspitzengefühl und Mut. Michaëlle Jean hatte beides und verhinderte damit, dass das WFD eine Art „Anti-Terror-Kongress“ wird.

Damit kann es jetzt mit dem Programm „IN“ losgehen, mit den „Labors“, Expertenrunden, Kolloquien, Gesprächen – und unser hierfür zusammengestelltes Team, das unter Leitung von Antoine Spohr für unsere großen Kollegen von Mediapart.fr und uns berichtet, wird Sie bis zum Wochenende informieren, was bei diesem Weltforum für Demokratie herauskommt. Dank Michaëlle Jean sicherlich mehr als nur die platte Feststellung, dass wir uns nicht das Leben von Terroristen diktieren lassen dürfen. Das wussten wir nämlich schon.

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