Gewalt: Das Drama findet vor unserer Nase statt

Eine Studie der EU zur Gewalt gegen Frauen bringt Schockierendes zu Tage. Und trotzdem scheinen wir uns nicht sonderlich für dieses Thema zu interessieren.

Gewalt gegen Frauen ist keine Domäne, die muslimischen Ländern vorbehalten ist - bei uns ist es keinen Deut besser. Foto: Flaggezeigen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Im Moment ist es so einfach sich zu empören. In Indien werden immer mehr Vergewaltigungsfälle bekannt, die Terrorgruppe Boko Haram entführt Mädchen und verschachert diese als Bräute an selbst ernannte Gotteskrieger, in Syrien wurde eine Art „Sex-Djihad“ ausgerufen, in den Mädchen aus verschiedenen Ländern gepresst werden – die Liste der Misshandlungen und gröbsten Verletzungen der Menschenrechte von Frauen könnte leider beliebig fortgeführt werden. Doch es reicht nicht, sich darüber aufzuregen, was anderswo passiert. Eine Studie der EU-Agentur für Grundrechte zeigt auf, dass Gewalt gegen Frauen auch in Europa nach wie vor eine „Alltäglichkeit“ ist.

Mehr als jede fünfte Frau in Europa wurde bereits Opfer körperlicher oder seelischer Gewalt durch ihren Partner. 55 % der Frauen in Europa wurden in den letzten 12 Monaten sexuell belästigt. 5 % der Europäerinnen wurden in den letzten 12 Monaten gestalkt. 40 bis 50 % der Europäerinnen wurden bereits am Arbeitsplatz sexuell belästigt. 7 von 10 Europäerinnen wurden bereits Opfer sexueller oder körperlicher Gewalt. Und diese Zahlen könnte man auch beliebig fortschreiben.

Gewalt war immer schon ein gesellschaftliches Phänomen, vor allem gegen Frauen. Doch haben wir die Aufklärung des Mittelalters hinter uns, wir leben im Informationszeitalter und dennoch scheinen wir gesellschaftlich kaum Fortschritte gemacht zu haben. Bleibt also die große Frage, wo man einen Hebel ansetzen kann, um die Zustände zu ändern.

„Man müsste die Gesetze entsprechend ändern“, meinen die einen. International gesehen mag das eine gute Idee sein. Immerhin leben weltweit deutlich über 600 Millionen Frauen in Ländern, in denen häusliche Gewalt nicht einmal verboten ist. Doch auch, wenn die Gesetzeslage Gewalt verbietet, bedeutet das noch lange nicht, dass sie deswegen auch eingedämmt wird. In Deutschland wird nur einer von zehn angeklagten Vergewaltigern verurteilt und nach wie vor ist die Dunkelziffer nicht zur Anzeige gebrachter Vergewaltigungen oder Gewaltakte bedrückend hoch.

„Man müsste die Strafen verschärfen“, sagen andere. Auch das ist nicht das Problem. Die Möglichkeiten der Justiz sind gegeben und würden vermutlich ausreichen, wenn sie ernsthaft zur Anwendung kämen. Doch so lange Vergewaltiger freigesprochen werden, weil, wie neulich in Berlin geurteilt, das jugendliche Opfer nur „Nein“ gesagt, sich aber in Todesangst nicht traute, sich körperlich zu wehren, so lange ist die Praxis der Justiz oft so etwas wie ein Freifahrschein für Vergewaltiger.

Änderungen an diesen erschreckenden Zahlen wird es erst dann geben, wenn ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet. Unsere Gesellschaft ist auf vielen Ebenen gewalttätig, oft subtil, manchmal offen und Gewalt zählt immer noch zu den Dingen, mit denen man in dieser Gesellschaft Erfolg hat. Dazu fehlt es eindeutig an niederschwelligen Angeboten und Programmen für Männer, die zu Gewalt neigen. Die bestehenden Angebote richten sich an Täter, die bereits Gewalttaten verübt haben – die Prävention ist unglaublich schwierig, zumal die Zielgruppe gewaltbereiter Männer nicht unbedingt die Gruppe ist, die sich in Männerkreisen trifft, um über Strukturen der Gewalt zu sprechen.

Eines ist klar, ohne einen gesellschaftlichen Wandel wird sich nichts ändern. Männer müssen sich hinterfragen und wir brauchen dringend Plattformen, auf denen das auch passieren kann. Ansonsten bleiben wir eine genauso barbarische Zivilisation wie diejenigen, auf die wir gerade empört mit dem Finger zeigen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste