Jedem seinen Mahler – die Sechste Symphonie im PMC

In dieser Spielzeit haben sich die Straßburger Philharmoniker den Symphonien von Gustav Mahler verschrieben. Am Donnerstag und Freitag kommt es zu einem Höhepunkt, wenn eine der wichtigsten Symphonien in der Musikgeschichte im PMC zu hören sein wird.

Gustav Mahler, der die Musik lebte und erlebbar machte... Foto: Karikatur Hans Schliessmann / PD

(Von Michael Magercord) – Welches ist das wichtigste, bedeutendste und umwerfendste Werk eines Künstlers? Wen sollte man fragen, um genau das zu erfahren: den Künstler selbst, seine Wegbegleiter und Kollegen, doch die Kritiker – oder eher mich und dich?

Die Sechste Symphonie von Gustav Mahler aus dem Jahre 1906 ist so ein Werk, dem dieser höchste Anspruch zugewiesen wird. Was für ein Œuvre! Schon die üppige Instrumentierung, dazu die Länge von 85 Minuten – allein der Finalsatz dauert dreißig Minuten und gehört damit zu den längsten Symphoniesätzen der Musikgeschichte. Und trotzdem kann beides kaum als Maßstab für die Bedeutung eines Werkes gelten. Dafür ist mehr gefragt als Materialeinsatz und Ausdauer.

Gustav Mahler schrieb neun Symphonien, zehn, zählt man die letzte unvollendet gebliebene hinzu, drei davon sind ausschließlich instrumental besetzt. So auch diese Sechste, dessen Leitmotiv im ersten Satz mit einem a-Moll-Dreiklang beginnt, sich dann bei der Überleitung zum Nebenmotiv aus einem A-Dur-Klang in Kombination mit einem markanten Rhythmus entwickelt. Es ist dieses Motiv, das sich durch die Symphonie zieht und am Ende unter Hammerschlägen zerborsten wird, das nun oft als „Schicksalsmotiv“ bezeichnet wird. Und es sei diese Symphonie, die als die „Tragische“ nun das Lebensmotiv des Komponisten abbilde. Frage: Wie gelangt man zu diesem Urteil?

Der Komponist selbst scheint das Motiv seiner jungen Frau Alma gewidmet zu haben: „Ich habe versucht dich in einem Thema festzuhalten – ob es mir gelungen ist weiß ich nicht, Du musst dirs schon gefallen lassen.“ Nach Scherzo und glückseligem Andante beenden im Finale der Symphonie drei dumpfe, aber kräftige Hammerschläge das Leitmotiv. Das monumentale Werk verklingt in einer düsteren Klangfolge – Gustav Mahler: „Meine VI. wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen und verdaut hat.“

Erste Ansprechpartnerin, um die Rätsel zu lösen, war natürlich die Motivgeberin, Ehefrau Alma: „Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen. Die Sechste ist sein allerpersönlichstes Werk und ein prophetisches obendrein.“ Ihr Ehemann habe durch die drei mächtigen Hammerschläge auf seine Schicksalsschläge verwiesen. Beginnend mit dem Tod seiner Tochter, verweisen sie als eine Art Vorausdeutung auf das spätere Schicksal Gustav Mahlers, der fünf Jahre später nur 51-jährig an einer bakteriellen Herzkrankheit verstarb. Alma erinnerte sich ans erste Klaviervorspiel des Motivs durch Gustav: „Wir weinten damals beide. So tief fühlten wir diese Musik und was sie vorahnend verriet.“ Auf Bitten Almas entfernte ihr Ehemann den dritten Hammerschlag und trug damit, wie es später hieß, auch dem eigenen Aberglaube Rechnung. Nun ist noch ein langsam verklingender Paukenschlag zu hören.

Wegbegleiter und zeitgenössische Interpreten, wie der Dirigent Bruno Walter, erkennt in der sechsten Symphonie eine ausgesprochen pessimistische Grundrichtung: „Sie sagt ein emphatisches Nein und sagt es vor allem in ihrem letzten Satz, in dem die Unerbittlichkeit des Kampfes aller gegen alle Musik geworden zu sein scheint.“ Und gerade weil sie so dunkel erscheine, wird sie nicht so häufig aufgeführt wie andere Werke seines Freundes Gustav Mahlers.

Die Kritiker seinerzeit lobten die Klarheit des Ausdrucks und die klassische Form der Komposition und die innovativen Verwendungen des Schlagwerkes. Später wiederum wurde in der Sechsten Symphonie der Beginn des Weges von Gustav Mahler ins Transzendente einer „außerhalb des tonalen Raumes stehenden Musik“ markiert. Heute gar sieht man im Finale die Vorwegnahme der kommenden historischen Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges, den Mahler freilich nicht mehr erleben musste. Und so mancher empfindet im Andante eine „süß-zarte Erotik“. Allerdings gab es auch schon damals Zeitgenossen, die das tiefe Werk ironisch kommentierten und lediglich viel tiefschürfendes Getöse darin erkannten…

Ja doch, Kritiker mögen es leicht haben – ich weiß, wovon ich spreche – und nicht so leicht zu gleich – auch da weiß ich, wovon ich spreche. Denn ja, es ist natürlich immer leichter etwas zu kritisieren, als es zu machen. Aber es ist eben auch schwer, wirklich in eine Haltung zu einem Kunstwerk – zumal wenn es so gewichtig daher kommt, wie diese Sechste Symphonie von Gustav Mahler – einzunehmen, die sich wenigstens ansatzweise als objektiv bezeichnen ließe. Wäre ich nun ein Kritiker, müsste ich es versuchen.

Bin ich aber nicht, so wenig wie der überwiegende Teil der Konsumenten von Kunstwerken. Und trotzdem: auf die kommt es ja letztlich an. Es kommt also auf uns an, die wir uns immer wieder und immer wieder gerne dem Werk eines Künstlers aussetzen, die aber oft gar nicht sagen könnten, warum es uns mal kaltlässt oder eben doch überwältigt. Spielt es dazu eine Rolle wirklich zu wissen, was den Schöpfer bei seinem Schöpfungsakt bewegte? Wirkt ein wirkliches Werk nicht einfach aus sich heraus? Das müssen wir dann immer noch selbst in Erfahrung bringen – kurz: nun sind wir dran! Und zwar am Donnerstag oder Freitag, wenn die Straßburger Philharmoniker Gustav Mahlers Sechste Symphonie unter dem Taktstock von Josep Pons erklingen lassen.

Gustav Mahler: Sechste Symphonie (1906)
Straßburger Philharmonie OPS im Salle Érasme des PMC
DO 12. und FR 13. Dezember, 20 Uhr
Dirigent: Josep Pons

Informationen und Tickets unter:
www.philharmonique.strasbourg.eu

Weitere Konzerte im Dezember:
Joseph Haydn: Die Schöpfung
DO 19. Dezember, 20 Uhr – PMC
Opern und Operetten: Mozart, Offenbach, Wagner, Massenat, Lehár
DI  31. Dezember, 20 Uhr – PMC
MI 1. Januaur, 17 Uhr – PMC

Nächstes Mahler-Konzert: 4. Symphonie
DO 9. und FR 10. Januar, 20 Uhr – PMC

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