Kampf gegen Cannabis in Saint Ouen: Die Fehler der Prohibition

In den Ländern Europas kristallisieren sich Drogen-Brennpunkte heraus, die den Anwohnern das Leben unmöglich machen. Die Prohibition des Cannabis ist dabei die schlechteste Lösung.

Die Prohibition nützt immer nur diesen Herren. Doch Lernfähigkeit ist nicht gerade die Paradedisziplin der Regierenden. Foto: New York World Telegram and the Sun / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Es ist ein wenig wie mit der europäischen Flüchtlingspolitik – man erklärt den Menschenschmugglern ebenso wie den Cannabis-Dealern einen „heiligen Krieg“ und geht völlig darüber hinweg, dass es die eigene Politik ist, die diese Märkte überhaupt erst entstehen und blühen lässt. Doch während man in Deutschland wenigstens laut darüber nachdenkt, ob eine andere Politik nicht das Problem an der Wurzel lösen könnte, verfällt der französische Innenminister Bernard Cazeneuve in eine Art Pawlow‘schen Reflex – mehr Repression, mehr Verfolgung, mehr Geheimdienst, mehr Strafen. Womit der gute Mann nichts anderes erreicht als eine Intensivierung des Drogenkriegs, der heute schon die Einwohner des Pariser Vororts Saint Ouen erschüttert.

In Saint Ouen tobt ein brutaler Bandenkrieg, bei dem es um richtig viel Geld geht. Bei diesem Krieg balgen sich verschiedene kriminelle Gruppen um die besten Verkaufsplätze für Cannabis – ein Krieg, bei dem mittlerweile mit scharfer Munition geschossen wird. Kein Wunder, denn Schätzungen zufolge verdienen einzelne Dealergruppen bis zu 15.000 € am Tag. Vor wenigen Tagen nahm eine Gang eine Warteschlange von Cannabis-Kunden unter Beschuss, die bei einer rivalisierenden Gang „einkaufen“ wollte. Drei der Kunden wurden dabei verletzt. Eigentlich wartet man nur noch auf die ersten Toten.

Die Stadtverwaltung von Saint Ouen ist mit der Situation völlig überfordert. Saint Ouen ist inzwischen in ganz Frankreich dafür bekannt, dass man hier Cannabis kaufen kann – und die Kunden kommen nicht mehr nur aus dem Großraum Paris, sondern es hat sich eine Art Drogentourismus etabliert. Daran wird sich auch mit den von Cazeneuve angekündigten Maßnahmen nichts ändern. Im besten Fall sorgen diese Maßnahmen für eine Verlagerung des Problems an andere Orte, nicht aber für dessen Ende.

Inzwischen ist die Polizei auf der Suche nach einem Gangmitglied, das vor wenigen Tagen einen Konkurrenten mit einem Raketenwerfer (!) bedroht hat. Da stellt sich doch die Frage, warum man in Europa nicht nach Colorado oder Uruguay schaut, wo sich die Drogenkriminalität im Bereich der so genannten weichen Drogen praktisch in Luft aufgelöst hat, seit Cannabis dort legalisiert wurde. Zusätzlich ermöglicht die scharfe Trennung zwischen harten und weichen Drogen eine wesentlich wirkungsvollere und gezieltere Verfolgung von Banden, die mit tödlichen Drogen wie Heroin, Amphetaminen oder Kokain handeln. Die europäische Prohibition hingegen sorgt dafür, dass diese völlig unterschiedlichen Märkte weiter vermischt bleiben und dadurch die Hemmschwelle für Jugendliche, sich auch an tödlichen Drogen zu versuchen, entsprechend gering bleibt.

Genauso, wie sich die USA schwer taten einzuräumen, dass die Prohibition von Alkohol nicht durchsetzbar war, sondern im Gegenteil zum Aufleben krimineller Organisationen beitrug, genauso weigern sich die Europäer einzuräumen, dass man der Thematik „Cannabis“ mit der Strafverfolgung nicht mehr gerecht wird. Und – Europa entwickelt sich genauso, wie Chicago in den wilden Jahren der „Speak Easy“ – die Banden organisieren sich und verdienen jede Menge Geld dank dieser Politik.

Dabei weiß man in Europa, dass man nicht alles verbieten kann, was schädlich für die Gesundheit ist – immerhin werden Nikotin und der für die Volksgesundheit hoch gefährliche Alkohol frei gehandelt. Würden die Staaten den Handel mit Cannabis selbst in die Hand nehmen, gäbe es für die Gangs von Saint Ouen keine Existenzberechtigung mehr. Stattdessen wird jetzt wieder mehr Geld in die Hand genommen und am Tag, an dem brave Bürger bei einer Schießerei zwischen Gangs getötet werden, wird man noch härtere Repressionsmaßnahmen ergreifen – mit dem Ergebnis der Verknappung von Cannabis und einem Ansteigen der Preise. Und was wird dann passieren? Richtig – dieser illegale Markt wird noch lukrativer werden, sich weiter professionalisieren, wird noch gewalttätiger. Was Bernard Cazeneuve dann vorschlagen wird, ist klar: Mehr Polizei, mehr Mittel für die Geheimdienste und längere Strafen für erwischte Kiffer. Die Vorstellung, der Staat könne dieses Hase- und Igelrennen gewinnen, ist ziemlich blauäugig. Und ganz schön teuer.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste