Mahler zum Neunten – Konzert der Straßburger Philharmonie

Die Straßburger Philharmonie wird die letzte Symphonie, die Gustav Mahler noch vollenden konnte, am kommenden Freitag, den 25. November, im PMC unter der Leitung von Vassili Sinaïski Leitung aufführen: Die „Neunte“ - ein Monument der Musikgeschichte.

Wenn ein Komponist sich einen Komponisten malt - Gustav Mahler, gemalt von Arnold Schönberg, 1910.-Foto: Gemälde aus dem Arnold- Schönberg-Zentrum, Wien

(Michael Magercord) – Ist die Nummer Neun Fluch oder Segen? Immer waren es diese Neunten, die auch die letzten werden sollten. Es wollte einfach nichts mehr werden mit der einer Zehnten. Besser, man versuchte gar nicht erst auf die gleiche Anzahl, wie die der heiligen Gebote zu kommen, und wenn doch, blieben die Versuche unvollendete Fragmente. Die Neunten umwehte oftmals der Geist der Endzeit, gleichsam aber wurden sie vielleicht schon in der Vorahnung, dass sie die letzten sein werden, die ersten unter ihren Werken. Die Neunten sind Abschluss und Neuanfang in einem, sie stießen das Tor auf zu etwas ganz Neuem, das noch lange Zeit als hochmodern gelten wird. Es oblag dann den Nachfolgern, das geöffnete Tor zu durchschreiten, und sei es nur, um am Ende dasselbe Schicksal zu erleiden wie ihre großen Vorgänger.

Beethoven machte den Anfang in der Folge der letzten Neunten, seine „Ode an die Freude“ ist zur Hymne Europas geworden. Franz Schubert folgte ihm, seine Neunte blieb lange die längste Symphonie, die jemals geschrieben wurde. Anton Bruckner tat es ihm nach, seine Neunte fasste seine Harmonietechniken zu einem musikalischen Testament zusammen, das er – in vorausschauender Ahnung? – direkt „dem lieben Gott“ gewidmet hat. Antonín Dvořaks Neunte kam ohnedies schon „Aus der neuen Welt“, die seinerzeit in Amerika verortet wurde. Und schließlich war es Gustav Mahler, der den Fluch der letzten Neunten nicht brechen konnte, der aber mit ihr ein musikalisches Monument errichtet hat.

Im Jahre 1909 nimmt der Komponist die Arbeit an seiner Neunten auf, ein knappes Jahr später ist sie fertig. Es sei ein „Schaffensrausch“ gewesen, schrieb er seinem Dirigenten, und entstanden ist daraus ein Rausch von Musik. Der erste Satz beginnt kaum merklich, wie aus dem Nichts, und genauso endet der vierte und letzte Satz in einem Verklingen im Nichts. Ist der Einleitungssatz mit einem „Leb wohl“ überschrieben, so soll der letzte Satz ein „Abschied für immer“ sein. Die fast eineinhalb Stunden Musik dazwischen zeitigen alles, was Gustav Mahlers Schaffen so einzigartig macht: der barocke Kontrapunkt in einer Verknüpfung mit modernen Dissonanzen.

Ist das die Musik des Industriezeitalters? Drückt sich in ihr der Wunsch aus, inmitten der nervösen Hektik verträumte Inseln des Rückzugs und der Ruhe zu finden? Das Publikum der Wiener Uraufführung, die Gustav Mahler nicht mehr erlebte, schien von der Musik allerdings eher überfordert zu werden. Die Reizüberflutung einerseits und anderseits die transzendente Sphärenklänge, „ersterbend“, wie es in der Spielanweisung heißt, lösten Verwunderung und Befremdung aus. Ganz anders die Kollegen: Arnold Schönberg erkannte in der Musik den Epochenbruch zur Moderne. Für Alban Berg ist es das „erste Werk der Neuen Musik“.

Im Nachhinein wurde eifrig interpretiert, nicht zuletzt in Bezug auf die Nummerierung der Symphonie. Mahler hätte mit ihr seinen Tod vorweggenommen, sagte einmal mehr Alban Berg, und Schönberg schrieb dazu: „Diejenigen, die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe. Vielleicht wären die Rätsel dieser Welt gelöst, wenn einer von denen, die sie wissen, die Zehnte schriebe“.

Heute könnte man diese „Ewigkeitsmusik“, so Mahler über sein Werk, als Vorwegnahme der Endzeitstimmung auf den derzeitigen Seelenzustand gleich der ganzen Menschheit beziehen. Damals folgte kaum zwei Jahre nach der Uraufführung der Erste Weltkrieg und in seiner Folge der Zweite, gleichsam als ein erneuter Dreißigjähriger Krieg. Erst danach sollte es einem Komponisten gelingen, den Fluch der Neunten zu durchbrechen. Dimitri Schostakowitsch schrieb seine 9. Symphonie im Jahr 1945, und sie war bestimmt für die Feierlichkeiten des Kriegsendes und des Sieges der Sowjetunion. Doch statt ein monumentales Werk zu schaffen, das der Monstrosität der Leiden und Opfer gerecht werden sollte, wurde seine Neunte ein heiteres, fast schon unverfroren leichtes, nur halbstündiges Werklein. Er wollte nicht, so seine Rechtfertigung, in die Falle der fast schon heiligen Nummerierung tappen. Ob es allerdings an dieser klugen Zurückhaltung lag, dass ihm danach noch sechs weitere große und monumentale Symphonien gelangen?

Doch allein diese Frage gehört wohl schon in dieselbe Kategorie nachträglicher Überinterpretationen, die auch schon die Werke von Gustav Mahler unweigerlich auszulösen vermochten. Aber wie könnte man sich gegen diesen Auslegungsreflex auch wehren, wenn doch die Musik so überwältigend ist, wie die seiner „Neunten“.

Konzert der Straßburger Philharmonie OPS
Gustav Mahler – 9. Symphonie

FR 25. November, 20 Uhr im Palais de la Musique et Congrès PMC
Straßburg, Stadtteil Wacken

Infos und Tickets unter: https://philharmonique.strasbourg.eu

Das folgende Konzert der OPS:

Bizet, Tschaikowsky Mussorgsky

Dirigent: Aziz Shokhakimov
Klavier: Alexandre Kantorow

DO 8. und FR 9. Dezember
im PMC um 20 Uhr

…und das alljährliche Weihnachtskonzert (Händel „Messias“) folgt dann am MI, 14. Dezember.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste