Marx oder Franziskus?

Bei der Antimissbrauchs-Konferenz im Vatikan überraschte Kardinal Reinhard Marx durch offene Eingeständnisse, während Papst Franziskus relativierte und einen ganzen Schritt zurück machte.

Kardinal Reinhard Marx macht sich für die Aufklärung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche stark. Foto: Wolfgang Roucka / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Was hat Papst Franziskus nur geritten, als er den massenhaften sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche mit althergebrachten Ritualen von Menschenopfern in verschiedenen, untergegangenen Zivilisationen verglich? Wollte er damit sagen, dass Gewalttaten an Kindern und Jugendlichen so etwas wie eine Tradition der Menschheit sind? Praktisch in unserer DNA eingebaut? Mit seiner Rede zum Abschluss der Antimissbrauch-Konferenz sorgte der Papst dafür, dass die guten Ansätze und Vorschläge in den Hintergrund rückten, die der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Marx und viele seiner Kollegen eingebracht hatten.

Mit einer für die katholische Kirche überraschenden Offenheit prangerte Kardinal Marx Machenschaften innerhalb der Kirche an: „Akten, die die furchtbaren Taten dokumentieren und Verantwortliche hätten nennen können, wurden vernichtet oder gar nicht erst erstellt.“ Und dann sagte er den Satz, den offenbar viele seiner Kollegen und in erster Linie der Papst selbst immer noch nicht richtig verstanden haben: „Nicht Transparenz, sondern Taten und deren Vertuschung fügen der Kirche Schaden zu“. Dass es nötig ist, einen solchen Satz zu sagen, zeigt, wie tief der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche verankert war und wohl auch immer noch ist.

Viele der Konferenzteilnehmer, Bischöfe und Kardinäle aus der ganzen Welt unterbreiteten konkrete Vorschläge, die nun geprüft und sinnvollerweise umgesetzt werden sollen. Doch für Kardinal Marx war es schon einmal wichtig, dass die Bistümer in der ganzen Welt eine ähnliche Einschätzung der Problematik haben. Viele der gemachten Vorschläge dürften allerdings an den Instanzen des Vatikans zerschellen – wie beispielsweise das Hinterfragen des „päpstlichen Geheimnisses“, das in einem Rechtsstaat nicht mehr zur Anwendung kommen sollte – doch genau das dürfte dem Vatikan überhaupt nicht schmecken. Denn so sehr sich Papst Franziskus in seiner Kommunikation als „der etwas andere Papst“ darstellt, so wird er von vielen Vatikan-Beobachtern in der Praxis doch eher als „Bewahrer“ betrachtet, der sich schwer tut, die Dinge, von denen er spricht, auch umzusetzen.

Die Forderung nach mehr Transparenz und der Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien in Fällen des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in der Kirche ist überfällig und klar, während der eigentliche Skandal ist, dass Jahrzehnte nach Beginn dieser Diskussion die Kirchenverwaltung immer noch in der Phase ist, in der man darüber debattieren muss, ob man weiterhin den Mantel des Schweigens über die zahllosen Fälle wirft oder doch bei der Aufklärung und Aufarbeitung dieser Fälle mitwirkt. Einsicht und Reue sehen anders aus.

Und das, was Kardinal Marx mutig ausgesprochen hat, nämlich die Manipulation von Unterlagen, das Fälschen von Beweisen und das Decken krimineller Machenschaften, scheint nicht etwa ein Phänomen aus längst vergangenen Zeiten, sondern immer noch die Realität in der katholischen Kirche zu sein. Es wäre an der Zeit, dass auf Worte Taten folgen. Und dafür sind, so Kardinal Marx, nicht nur der Papst, sondern auch die Bistümer gefordert. Damit nahm er auch gleich den Papst und dessen Rede in Schutz, in der er lediglich gehört haben wollte, dass “schon ein einziger Missbrauchsfall in der Kirche einer zuviel ist”. Wohl gesprochen. Und dass sich Reinhard Marx gegenüber seinem obersten Dienstherrn loyal verhält, wer will es ihm verübeln? Die Verantwortlichkeiten sind klar benannt worden, dann sollte ja jetzt einer zügigen Umsetzung nichts mehr im Weg stehen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste