Nach der Gebietsreform ist vor der Staatsreform

Der neue Präsident der ostfranzösischen Großregion ACAL, Philippe Richert, organisiert gerade eine Art stiller Staatsreform – mit der in Paris niemand so richtig gerechnet hatte.

Philippe Richert stellt gerade die politische Landschaft Frankreichs auf den Kopf. Foto: Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Den Mann hält niemand mehr auf. Nachdem Philippe Richert bei den Regionalwahlen im letzten Dezember gerade noch auf der Zielgeraden seinen Konkurrenten Florian Philippot vom Front National abgefangen hatte, wurde er nicht nur der erste Präsident der riesigen neuen Region Ostfrankreichs „ACAL“ (Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne) gewählt, sondern gestern auch zum Präsidenten einer Vereinigung, die das Zeug hat, die V. Französische Republik aus den Angeln zu heben – die „Vereinigung der Regionen Frankreichs“ (ARF). Richert hat sich höchst geschickt in eine Position manövriert, in der er die politische Landschaft Frankreichs neu zeichnen kann. Und will.

Mit 62 Jahren ist Philippe Richert als Präsident der 13 neuen französischen Großregionen einer der mächtigsten Männer Frankreichs geworden. Denn anders als die bisherigen 22 kleineren Regionen Frankreichs haben die 13 neuen Großregionen ein echtes Gewicht gegenüber der Zentralregierung in Paris, für die bislang die Regionen eher so etwas wie „Erfüllungsgehilfen“ waren, nicht aber ernst zu nehmende Ansprechpartner, was die Gestaltung der Politik anbelangt. Und genau das will Richert ändern.

Richert wurde, da ist er stolz darauf, von seinen 17 Kollegen (in dieser Vereinigung sitzen auch noch vier Vertreter der französischen Überseegebiete, zusätzlich zu den 13 Präsidenten der Regionen) „per Akklamation“ gewählt, was erstaunlich ist, denn die 13 Regionen Frankreichs werden von Konservativen, Sozialisten und sogar Autonomisten (Korsika) regiert – dass man sich ohne weiteres auf den Kandidaten Richert verständigte, spricht dafür, dass sich der Elsässer sehr gut auf diese neue Aufgabe vorbereitet hat. Und in Paris dürfte man bei der Regierung jetzt den Atem anhalten, denn was Richert vorhat, dürfte den Sozialisten gar nicht gefallen. Denn Richert will die Rolle der Regionen und der Zusammenarbeit mit dem Staat grundlegend neu definieren – und das kann er auch, denn die neuen Regionen haben deutlich mehr Macht und politische Kompetenz, als das dem zentralistischen Frankreich Recht sein kann.

Was die ARF vorhat, nämlich den Regionen massives politisches Gewicht zu geben und die Regionen aus der Rolle der Verwaltung herauszuholen, ist eine kleine Revolution. Oder eigentlich eher eine große. Denn in Frankreich gilt es seit Jahrhunderten als schlimmes Verbrechen, die absolute Macht des Zentralstaats auch nur in Frage zu stellen. Und in der Geschichte Frankreichs haben die Regionen eigentlich noch nie echte Macht gehabt – grundsätzliche Entscheidungen fielen und fallen in Paris. Da ist eine Neudefinition des politischen Zusammenwirkens zwischen den Regionen und dem Staat, so wie es Richert vorhat und mit erstaunlicher Weitsicht in die Wege leitet, schon fast der Weg zur VI. Französischen Republik.

Als oberster Chef der 13 neuen Regionen wird auch in Paris niemand mehr an Richert vorbeikommen, vor allem dann nicht, wenn sich Paris wünscht, dass die neuen Regionen so funktionieren wie geplant. Insofern ist Paris sogar auf Richert angewiesen, denn wenn der Präsident der ARF nicht richtig mitzieht, dann kann die PS ihre nur schwer und gegen viele Widerstände aus dem Boden gestampfte Gebietsreform gleich wieder einpacken.

Jahrzehnte lang sah es so aus, als sei Frankreich ein kaum reformierbares Land. Die festgefahrenen Strukturen wirkten wie in Stein gemeißelt, doch plötzlich kommt Bewegung ins knirschende Gebälk. Dass dabei ausgerechnete der Konservative Philippe Richert zur entscheidenden Figur für die Frage wird, ob die PS mit ihrer Gebietsreform Erfolg hat oder nicht, ist erstaunlich. Die nächsten Monate werden für die politische Landschaft Frankreichs sehr interessant werden.

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