„Nuit debout“ steht in Straßburg schon jetzt am Scheideweg

Nach rund 10 Tagen zieht sich in Straßburg die Bewegung „Nuit debout“ immer mehr in sich selbst zurück. Der Dialog mit der Eurometropole wirkte wie ein Flopp und eine sinnlose Kampfansage.

Schlechtes Wetter, wenig konkrete Ideen, Selbstüberschätzung - in Strassburg geht es "Nuit debout" ganz und gar nicht gut. Schade eigentlich. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Es regnete in Strömen, als der Präsident der Eurometropole Robert Herrmann am Dienstagabend zur Vollversammlung der Bewegung „Nuit debout“ auf dem Platz der Republik in Straßburg erschien. Der oberste Chef der Eurometropole war gekommen, um gemeinsam mit den Mitgliedern dieser Bewegung eine Lösung für einen schwierigen Zustand zu finden. Denn in den letzten Tagen hatten sich immer mehr Personen auf dem Platz eingefunden, die mit den gesellschaftlichen Themen nichts am Hut haben, sondern Party machen wollen. Was für die Außenwirkung dieser anfangs von hoher Sympathie getragenen Bewegung Gift ist. Der Dialog, dem sich Robert Herrmann stellte, erwies sich als geradezu pathetisch.

Innerhalb von 10 Tagen hat sich viel verändert bei „Nuit debout“ in Straßburg – und leider nicht zum Guten. Es beginnt bereits mit dem Format der Diskussionen, die plötzlich lauter, manchmal sogar aggressiv sind. Die Worte der- oder desjenigen, der gerade spricht, werden nicht mehr von den Umstehenden weitergetragen, und bei den Themen geht es nicht mehr um die eigentlichen Themen wie am Anfang, sondern nur noch um das Selbstverständnis der Teilnehmer. Und das ist teilweise ziemlich realitätsfern.

Es liegt nicht nur am Wetter, dass „Nuit debout“ in Straßburg keinen stärkeren Zulauf hat – nach 10 Tagen sollte man in der Lage sein, mehr sagen zu können als „es ist schön und wichtig, dass wir uns treffen“. Und „Nuit debout“ sollte nach 10 Tagen in der Lage sein, wenigstens einen Minimalkonsens zu finden, wie es weitergehen soll. Doch weder, was die eigene Logistik anbelangt, noch, welche Inhalte man transportieren will, ist klar. Klar ist nur, dass auf das Angebot der Eurometropole, den Platz der Republik abends und bis in die Morgenstunden zu nutzen, eine Art Kampfansage kam. Nämlich die Ankündigung, dass man weiterhin den Platz rund um die Uhr nutzen und damit faktisch besetzen will. Bei rund 100 Teilnehmern und Teilnehmerinnen ist das noch nicht einmal eine Drohung, sondern kommt eher der Aufforderung zur Räumung gleich.

Die Ankündigung, den Platz tagsüber und nachts „besetzt“ halten zu wollen, war eines der Ergebnisse der Vollversammlung am Dienstagabend. Dazu wurde beschlossen, dass man groß angelegte Begegnungen mit der Bevölkerung organisieren will, um dieser zu erläutern, was „Nuit debout“ eigentlich will. Dem Präsidenten der Eurometropole Robert Herrmann konnte man allerdings am Dienstagabend nicht mehr erläutern, als dass man „für das Volk kämpfen“ möchte. Dass die rund 100 Personen die repräsentative Demokratie ablehnen, ist völlig nachvollziehbar, da diese nicht funktioniert. Ob allerdings 100 Personen, die sich weder auf ein gemeinsames Organisationsformat, geschweige denn konkrete Inhalte einigen können, tatsächlich repräsentativ für „das Volk“ sind, ist mehr als fraglich.

In Straßburg ist „Nuit debout“ auf der Ebene der Nabelschau angekommen. Man schafft es nicht, den politisch motivierten Kern dieser Bewegung von denjenigen zu trennen, denen es um Dosenbier und Musik in Frühlingsnächten geht und genau daran kann „Nuit debout“ scheitern. Und man will es auch gar nicht, denn „die“ gehören zu „uns“ – und man nimmt sehenden Auges in Kauf, dass man selbst die Rechtfertigung für eine entsprechende Reaktion seitens der Stadt und/oder der Region liefert.

„Wir sind offen für jedermann“, sagen die „Nuit debout“-Aktivisten und das kann man ihnen glauben. Nur hat eben auch nicht jeder Bürger und jede Bürgerin Lust, zwischen nicht angeleinten Hunden durch eine Art Dauerparty zu laufen, bei der sich nach entsprechendem Alkoholkonsum auch mal die Aggressionen breitmachen. Da nützt es auch nicht, wenn sich ein fast zwei Meter großer Aktivist direkt vor Robert Herrmann aufbaut und ihm ins Gesicht brüllt, dass man eine friedliche Bewegung sei, die „gegen das Kapital und für die Menschen“ kämpft. Inhaltsleere Allgemeinplätze bekommt man schon von der hohen Politik ausreichend geboten.

Die „Vorschläge“, die sich Robert Herrmann anhörte, ohne mit der Wimper zu zucken, reichten von „überlassen Sie uns einfach dauerhaft ein Viertel des Platzes“ bis zu „wir wollen einen LWK-Anhänger haben, den wir in der Nähe aufstellen können, um unsere Sachen darin zu verstauen“. Dass Robert Herrmann diese Diskussion ruhig zu Ende führte, muss man ihm hoch anrechnen.

Der Vorschlag der Eurometropole, die nächtlichen Zusammenkünfte unter Einhaltung der Vorgabe zu gestatten, dass sich dort keine „rechtsfreie Zone“ entwickelt, wurde also abgelehnt. Was man sich vielleicht leisten kann, wenn man eine richtig große Bewegung mit Tausenden von Anhängern ist, aber mit 100 Leutchen, von denen noch ein Teil so verstahlt ist, dass es gar nicht mitbekommt, worum es geht? „Sie treffen ihre Entscheidungen und tragen Ihre Verantwortung und wir auch“, sagte Robert Herrmann und betonte, dass dies keinesfalls eine Drohung sein soll, sondern die Stadt und die Eurometropole gar keine andere Wahl haben, als möglichst die Interessen ALLER Bürgerinnen und Bürger abzubilden.

Ob es noch zum großen Austausch zwischen der Bevölkerung und „Nuit debout“ kommen wird, ist nicht sicher. Ebenso wenig wie klar ist, was man der Bevölkerung inhaltlich erzählen möchte. Denn das ist noch weniger klar als die Organisationsform, die man sich geben möchte oder auch nicht. Klar ist nur, dass man das Angebot der Stadt ablehnt und nun eben den Platz rund um die Uhr halten möchte. Was die Stadt nicht tolerieren wird. Die Zeichen stehen auf Sturm und „Nuit debout“ hat es versäumt, sich in den letzten 10 Tagen einen Sinn und Gegenstand zu geben, der irgendwie von außen nachvollziehbar wäre. Was dann wohl auch der Grund ist, warum es nicht gelungen ist, in diesen 10 Tagen die Massen zu mobilisieren. Denn wenn die Leute schon die Nacht zum Tag machen sollen, dann sollte man ihnen wenigstens sagen können, warum.

Dass sich „Nuit debout“ in Straßburg nicht auf die Reihe bekommt, bedeutet noch nicht, dass die ganze Bewegung gescheitert ist, ganz und gar nicht. Wer weiß, was sich noch in den anderen französischen und europäischen Städten tun wird. Doch mit jedem Tag, an dem sich keine auch noch so ungefähre Zielrichtung herauskristallisiert, wird es für „Nuit debout“ schwerer werden. Ändern könnte das nur „Nuit debout“ selbst – aber es sieht nicht so aus, als würde eine solche Zielrichtung von außen nachvollziehbar definiert werden. Eigentlich schade.

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