Recep Tayyip Erdogan versucht Europa zu erpressen

Die Türkei versinkt im totalitären Sumpf des Regimes Erdogan, der die Stirn hat, seine autoritäre Staatsführung eine „Demokratie“ zu nennen. Und nun beginnt er, Europa zu erpressen.

Auf der anderen Seite der Krim liegt - die Türkei. Die Krise um die Ukraine kann blitzartig zum Flächenbrand werden. Foto: NormanEinstein / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Die Welle der Verhaftungen in der Türkei geht weiter und auch der schreckliche Anschlag von Gaziantep nahe der syrischen Grenze wirft neue Fragen auf, denn ebenso wie bei den letzten Anschlägen in der Türkei ist Machthaber Erdogan wieder erstaunlich schnell dabei, vermeintlich Schuldige für den Anschlag beim IS zu benennen. Dass ihm das die letzten Reste der türkischen Opposition auch nicht mehr abnehmen, zeigt die Erklärung der Oppositionspartei HDP, die ihrerseits seit Wochen permanenten Repressalien ausgesetzt ist. „Wir verurteilen und verdammen diejenigen, die diese Attacke verübt haben und die Kräfte und Ideologien hinter ihrem Handeln“ – wer zwischen den Zeilen liest, versteht sofort, wo die HDP die Drahtzieher dieses feigen Anschlags auf eine kurdische Hochzeit vermutet.

Auch die Enthüllungen in Deutschland, nach denen das Regime Erdogan islamistische Organisationen von den Moslembrüdern in Ägypten bis zur Hamas unterstützt, auch die vom SPIEGEL veröffentlichten Erkenntnisse, nach denen alleine in Deutschland 6000 Spitzel des türkischen Geheimdienstes MIT aktiv sein sollen, nicht die internationalen Proteste nach der Verhaftung der Schriftstellerin Asli Erdogan – nichts von all dem hält das Regime in Ankara davon ab, den Druck auf die Europäer zu verschärfen. Die Forderung Ankaras, bis spätestens 2023 Vollmitglied in der EU sein zu wollen, klingt nur auf den ersten Blick zynisch. Diese Forderung ist der Auftakt zu einer Erpressung der Europäischen Union, die es in sich hat und gleich auf mehreren Ebenen stattfinden wird.

Zum einen hat sich die EU unter dem Druck Angela Merkels in einen fürchterlichen „Flüchtlingsdeal“ mit der Türkei eingelassen und die große Panik in Brüssel ist es heute, dass Ankara die Schleusen für die rund 2 Millionen Flüchtlinge in der Türkei öffnet und diesen quasi den Weg nach Europa ebnet. Die Unfähigkeit der Europäischen Union, eine gemeinsame, humanitäre und solidarische Lösung für die Flüchtlinge aus Syrien zu finden, kann sich schnell als Bumerang erweisen und ebenso schnell zu dramatischen Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland führen, zu denen sich die EU dann auch verhalten muss, ob sie es will oder nicht.

Zum anderen spielt die Türkei im immer bedrohlicher werdenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine ganz wichtige Rolle, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt. Zwischen der Krim (und dem Rest der Ukraine) und der Türkei liegt nur noch das Schwarze Meer – rund 300 Kilometer liegen zwischen der türkischen Küste und der annektierten Krim. Als NATO-Partner ist die Türkei natürlich ein ganz wichtiger Stützpunkt für NATO-Flugzeuge und Truppen, falls es zu dem befürchteten Angriff Russlands auf die Ukraine kommen sollte. Dass dies keine theoretisches, sondern ein höchst praktisches Szenario ist, bestätigte letzte Woche die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), im Grenzgebiet des Donbass, wo seit über zwei Jahren ukrainische Truppen und prorussische und von Moskau mehr oder weniger offen unterstützte „Separatisten“ kämpfen, hat sich in den letzten Tagen die Anzahl Verstöße gegen die Waffenruhe mehr als verdoppelt – die Spannungen an der Grenze sind greifbar und die Berichte, nach denen Moskau weitere Truppen an diese Grenze verlegt, mehren sich.

Ein erneuter russischer Angriff auf die Ukraine würde Europa weiter unter Druck setzen, vor allem, falls die Türkei als Partner der NATO ausfallen würde – und der Schmusekurs, den Erdogan und Putin gerade öffentlich inszenieren, lässt auch diese Option als nicht unrealistisch erscheinen. Die Ukraine hat Landgrenzen zu vier EU-Mitgliedsstaaten: Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen. Ein russischer Angriff auf die Ukraine, bei gleichzeitigem Stillhalten der Türkei (bzw. der Sperrung der türkischen NATO-Stützpunkte) würde einen solchen Konflikt mitten hinein nach Europa tragen. Und genau das weiß Erdogan natürlich.

Bis zum 100. Jahrestag der Staatsgründung… Die munter vorgetragene Forderung, die Türkei wünsche bis zum 100. Jubiläum der Staatsgründung Vollmitglied der EU zu sein, ist auch vor diesen beiden Drohkulissen zu sehen. Erdogan und Putin haben gerade eine übereinstimmende Interessenslage – Putin hätte in der Ukraine relativ freie Hand, falls er sich darauf verlassen könnte, dass die NATO nicht von der Türkei aus eingreifen kann und Erdogan nutzt die „Russland-Karte“, um die EU nicht nur mit der Flüchtlingsfrage, sondern sogar mit dem Frieden in Europa unter Druck zu setzen.

Im gleichen Zusammenhang sind auch die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland (und anderen europäischen Ländern) zu betrachten. Erdogan bringt seine Figuren wie in einem Schachspiel in Stellung und nutzt dabei geschickt die Unfähigkeit der Europäischen Union, sich irgendwie zu einer gemeinsamen Position zu diesen Fragen durchzuringen. Die Parallelen zu 1938 werden immer auffälliger – die Absichten Erdogans sind relativ gut ersichtlich und Europa? Macht die Augen zu und schaut lieber weg. In der Hoffnung, am Ende möge alles gut ausgehen. Die Chancen, dass alles gut ausgeht, stehen allerdings schlechter als seit langer, langer Zeit.

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