Sind wir Europäer noch ganz bei Trost?

Ein Bericht der Europäischen Kommission zeigt auf, dass mehr als ein Viertel der Europäer Vergewaltigungen „unter bestimmten Umständen“ für akzeptabel hält. Unglaublich.

Europa entwickelt sich gerade zurück ins Mittelalter. Wir waren schon einmal weiter als heute. Foto: Foreign and Commonwealth Pffice / Wikimedia Commons / OGL v1.0

(KL) – Es ist so einfach, auf die Verantwortlichen der europäischen Politik zu schimpfen. Dazu hat man ja auch mehr als häufig genug allen Grund. Doch nicht nur bei den Verantwortlichen setzt es immer wieder aus – auch die Europäer und Europäerinnen haben ab und zu einen ganz schönen Sprung in der Schüssel, wie eine Untersuchung der Europäischen Kommission zeigt – mehr als ein Viertel der Menschen in Europa hat „unter bestimmten Umständen“ Verständnis für Vergewaltigungen. Und da kann man nur noch den Kopf schütteln.

Anders als bei Wahlumfragen muss man diese Zahlen ernst nehmen – denn die Kommission ließ 27.000 Frauen und Männer in allen 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union befragen, was sie zum Thema sexueller Gewalt denken. Und die Antworten sind erschreckend. Sexuelle Gewalt ist laut diesem Bericht für mehr als ein Viertel der Menschen in Europa ist sexuelle Gewalt unter bestimmten Umständen „akzeptabel“ – so unglaublich das auch klingt. Dabei gibt es ein ebenso erschreckendes West-Ost-Gefälle – in einigen Mitgliedsstaaten im Osten der EU finden mehr als 50 % der Menschen sexuelle Gewalt nicht so richtig schlimm.

Wer Opfer von sexueller Gewalt wird, für die oder den geht das Leiden direkt weiter – denn selbst die Anerkennung des Opferstatus von sexueller Gewalt ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Denn ebenfalls fast ein Viertel der Europäerinnen und Europäer sind der Ansicht, dass Frauen „übertreiben“, wenn sie sich als Opfer sexueller Gewalt erklären. Sind wir in Europa wirklich dabei, uns zurück zu entwickeln?

Wem jetzt bereits langsam schlecht wird, dem werden auch die nächsten Zahlen dieses Berichts wenig Freude machen. Denn 11 % der Europäerinnen und Europäer sind der Ansicht, dass es straffrei bleiben sollte, wenn man einen Partner oder eine Partnerin zu sexuellen Kontakten zwingt. Und es geht grade weiter – 17 % der befragten Europäerinnen und Europäer finden, dass Opfer sexueller Gewalt diese selbst provoziert haben (in einigen baltischen Staaten sind mehr als 50 % der Befragten dieser Meinung!). Das Opfer wird also zum Auslöser der Straftat und ist damit quasi „selbst Schuld“. Und das im Jahr 2016!

Weiter geht’s mit den erschreckenden Zahlen. Für 12 % der Befragten ist sexuelle Gewalt dann „akzeptabel“, wenn der Täter unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen steht. Und wenn sich das Opfer aus freien Stücken in die Wohnung des Täters begeben hat, dann ist eine Vergewaltigung für 11 % der Befragten in Ordnung.

Wir sind gerade dabei, uns mit Vollgas zurück ins Mittelalter zu bewegen. Nicht nur, dass sich Europa gerade politisch in seine Bestandteile auflöst, dazu verlieren wir auch gerade den Bezug zu Werten, von denen man noch vor wenigen Jahren dachte, dass sie nicht mehr aus der Gesellschaft wegzudenken sind.

Der Bericht der Europäischen Kommission ist nicht gerade die ideale Bettlektüre – man sollte ihn aber trotzdem lesen. Und sich ein paar Gedanken darüber machen, was jeder von uns dazu beitragen kann, solche gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu bekämpfen. Denn solange der Prozentsatz derjenigen, die sexuelle Gewalt in jeder Form ablehnen, nicht bei 100 % liegt, darf sich niemand in Europa selbstzufrieden zurücklehnen.

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