Ungerade Jahre in Zeiten des männlichen Kapitalismus

Männer sind in ungeraden Jahren im Juni häufig missmutig oder depressiv gestimmt: Es gibt dann kein Fußballgroßturnier. Wie bitte, werden Sie einwenden, seit Freitag läuft doch in Frankreich die WM! Ja okay, das stimmt zwar, aber...

Ob solche Neuerungen den Frauenfussball revolutionieren sollen? Können? Müssen?... Foto: Ohikulkija / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Das waren noch Zeiten.. „Mutter gibt eine wunderbare Flanke nach halb links“, ja nun aber „Laufen Erna, laufen“, doch „Erna ist nicht flink genug“. So kommentierte Wim Thoelke, Urgestein des ZDF-Sportstudios, im Jahre 1970 Filmausschnitte aus einem Spiel der Frauennationalmannschaft. Er konnte die Männer in Anbetracht der schlammigen Pfützen auf dem Spielfeld noch beruhigen: „Die Frauen waschen ihre Trikots doch selber.“ Höhö…

Klingt ulkig, aber es war eine ernste Sache. Denn damals hob der DFB das Verbot des Frauenfußballs auf und bahnte damit den Weg ins Heute: Frauenbundesliga, Frauen-Champions League, und schließlich seit 1991 offizielle FIFA-Frauenfußball- Weltmeisterschaften.

Dabei geht die Geschichte des Damenkickens noch weiter zurück. Als in und nach dem Ersten Weltkrieg die Männer fehlten, spielten vor allem in England und Frankreich die Frauen in den großen Stadien. Über 20.000 Zuschauer kamen, mehr als heute zu einem Spiel in der 1. Bundesligaspiel. Trotzdem behielt auch nach dem Anstoß ein Spiel des Frauenfußball in der öffentlichen Wahrnehmung immer etwas Anstößiges. Wie, um sich seiner Neugier und Bewunderung nicht schämen zu müssen , begleitete die Dribblings der Stürmerinnen und Paraden der Torfrauen ein ständiges hämisches Gelächter der Männer, höhö…

Das ist natürlich vorbei. Heute kann ein Mann ohne Scham zugeben, dass er Frauenfußball im Fernsehen verfolgt. Ich habe das jedenfalls schon mal erlebt, dass mir ein gestandenes deutsches Mannsbild ohne rot zu werden erzählte, er gucke beim Bügeln der Büroblusen seiner Frau Damenfußball… höhö – Tschuldigung, dieses dämliche Gegaffel ist mir jetzt nur so rausgerutscht. Dieses feiste Lachen wird mir ohnedies bald vergehen. Denn wenn die Fußballfrauen erst mal Ernst machen, also richtig, so wie die Männer, dann zittern nicht nur Männer und andere unverbesserlichen Gaffler, sondern der Kapitalismus mit ihnen. Sie wissen schon: dieses urmännliche System, wonach Leistung Geld ist und Geld Leistung.

Es gibt kaum etwas Kapitalistischeres als den Profifußball. Millionen werden für Menschen bezahlt, Millionen für Werbung ausgegeben, kaum ein Staat traut sich, hohe Steuern auf große Einkommen einzuführen, nur damit in ihren Ligen die Teuersten aller Teuren spielen können. Und das Wichtigste: diese millionenschweren Fußballer gelten als Vorbild. Als Vorbild nämlich, dass man Leistungsträger hoch bezahlen muss und gleichsam nur niedrig besteuern darf. Sonst hauen sie nämlich einfach ab und gehen dahin, wo sie genau das tun können: viel verdienen und wenig zurückgeben. Und weil im Umgang mit Top-Fußballern jeder noch so arme Schlucker dieses Gebaren einfach so hinnimmt, werden diese Spieler von jenen hofiert, die auch viel Geld verdienen und auch keine Steuern zahlen möchten, bei denen das aber nicht jeder arme Schlucker einfach so hinnehmen würde. Doch Dank des Vorbilds des Spitzen-Fußballers wird das Gebaren von Spitzenmanagern und Aufsichtsräten letztlich ebenfalls hingenommen.

Bisher klappt das hervorragend. Doch, ihr Kapitalisten, seht euch vor! Denn bald ist Schluss damit! Und zwar wegen des Frauenfußballs. An ihm wird dieser männliche Kapitalismus schließlich zugrunde gehen. Nämlich dann, wenn Fußballfrauen erst einmal genauso viel verdienen wie Männer. Lange kann das nicht mehr dauern, denn schließlich wird die Gleichbehandlung immer lauter gefordert. Und nach aller Erfahrung ist es dann auch bald soweit. Ja, und dann wird für ein Produkt, dass kaum jemanden interessiert, das kaum Geld einspielt oder Zuschauer anlockt, genauso viel bezahlt, wie für eines, dass Millionen umsetzen kann, und siehe: Das war’s dann mit der harten Logik des Kapitalismus. Dann wird es nie wieder so sein können wie 1989. Damals bekamen die deutschen Europameisterinnen nämlich als Siegprämie ein Kaffeeservice für zwölf Personen geschenkt. Also nicht der ganze Mannschaft, sondern jeder der Spielerinnen und ihre Trainerin ein komplettes Service!

Man könnte natürlich auch versuchen, die ganze Veranstaltung attraktiver zu gestalten. Ich meine das natürlich nur rein sportlich. Also etwa die Schnelligkeitsdefizite der Frauen wettmachen, indem frau auf einem kleineren Spielfeld spielt. Und mit einem leichteren Ball, wie es zu Anfangszeiten des Damenfußballs war. Im Biathlon sind die Gewehre der Damen schließlich auch leichter, von den Kügelchen der Kugelstoßerinnen ganz zu schweigen. Außerdem könnte frau kürzere Halbzeiten einführen, wie beim Tennis, wo den Damen zwei Gewinnsätze genügen, die Herren sich aber mindestens über drei Sätze quälen müssen.

Aber ich weiß, so geht das heutzutage nicht mehr. Männer und Frauen sind gleich. Also auch die Bedingungen, unter denen sie sich abmühen. Würde man das konsequent zu Ende denken, sollte eigentlich die Geschlechtertrennung beim Sport ganz aufgehoben werden. Dann werden wir ja mal sehen, wer da dann noch irgendwas gewinnt, höhö… Tschuldigung, das Gegaffel ist mir so durchgerutscht, außerdem wäre da ja wieder purer Kapitalismus. Gut, mit Hormonkuren könnte der Gleichheit nachgeholfen werden. Oder eben mit Frauenquoten. Aber das ist gleich wieder Sozialismus, wobei erstaunlicherweise bei den ersten Dienerinnen des Kapitals damit nachgeholfen wurde. In Aufsichtsräten von DAX-Konzernen etwa hat die gesetzliche 30%-Quote dazugeführt, dass Frauen mit noch mehr Millionen bezahlt werden, als ihre männlichen Mitmillionäre. Es waren halt noch so wenige, die sich bewarben. Die Konzerne rissen sich anfänglich um die Damen, um die Strafzahlungen für die Quotenunterbietung zu vermeiden.

Kurz: Quoten im Fußball machen wenig Sinn, zumal sie trotz ihrer vermeintlichen Einfachheit ein ziemlich komplexes Mittel sind, das seinen gewünschten Zweck nur selten erreicht. Denn nur, weil eine Frau an der Spitze eines DAX-Konzerns steht, ist noch keine Putzfrau besser bezahlt worden. Und bei Profi-Mannschaften ist es ja heute schon so, dass Frauen durchaus mitspielen dürften, während für Frauschaften eine 100%-Quote gilt.

Auch für die andere Quote brächte das alles Nichts: Im Fernsehen nämlich werden in Frankreich von dieser Weltmeisterschaft der Frauen nur die Spiele der Französinnen in frei empfangbaren Sendern zu sehen sein und Deutschland nur die der DeutschInnen. Der Rest läuft im Internet als Livestream. Und ein besonders fieser Trick der Kapitalisten: Letzten Samstag wurden WM-Spiele der Frauen und die Nations-League der Männer zeitgleich im freien Fernsehen übertragen – Ergebnis: wieder war die Zuschauerquote bei den Männern höher, als eine Frauenquote jemals sein könnte, höhö… Tschuldigung, aber Sie müssen mir dieses ständige Gegaffel nachsehen, das ist sowieso nur so etwas wie die letzte Zuckung des Systems Mann im Kapitalismus.

Denn ja! Es gibt eine Lösung des Ausgleichs und sie wird nicht mehr lange auf sich warten lassen: Die Honorierung von Frauen und Männern wird gnadenlos angeglichen – und zwar auf den letzten, den allerletzten Heller. Fußballfrauen sind nun der Maßstab! Mit ihrem Gekicke hebeln sie die Logik des Kapitalismus endlich aus. Denn obwohl ihr mühevolles Abrackern nicht annähernd das einbringt, was die Fußballmänner einspielen, heißt es nun in der neuen Logik der postkapitalistischen Gleichbehandlung: Wir kicken wie die Männer, also steht uns genau dasselbe zu! Sie sagen: das Rackern an sich genügt als Anspruchsnachweis an der ganzen Beute, egal, ob das irgendwen interessiert, Hauptsache Rackern – und alle, Männer und Frauen, sagen: richtig so! Und das ist erst der Anfang. Ist die Logik des Kapitalismus erst einmal aus dem Denken und Handeln der Leistungssportler verbannt, wird alles möglich. Sogar das man das Rackern ganz sein lässt und gleich die Beute teilt – und wir sagen: Danke, liebe Fußballfrauen!

Und so ich nun voraus, dass wir es noch erleben werden: das Ende des Kapitalismus. Nämlich dann, wenn auch unsere Fußballherren genau wie die Damen nach ihren Endspielsiegen ein Kaffeeservice in den Stadionhimmel recken werden. Doch nun jeder nur noch eine Tasse!

Hier für Nostalgiker und andere Unverbesserliche ein Lehrstück aus den Zeiten, als der Kapitalismus noch ganz unbefangen männlich war.

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