Vom Kapitalismus lernen, heißt verlieren lernen

Die Berliner haben sich mit 56,4 Prozent für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen, im selben Wahlvorgang aber gleichzeitig mehrheitlich Parteien gewählt, die im Vorfeld sagten, sie würden das Ergebnis des Volksentscheids nicht umsetzen.

Fleißig gelernt und doch nicht gesiegt. Auf zum nächsten Versuch... Foto: Sammlung Stiftung Haus der Geschichte Bonn

(Michael Magercord) – Im Wohnungssektor gingen die Sorgen um, selbst dort, wo man es nicht vermutet: Die großen gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften in Berlin riefen ihre Mitglieder zur Ablehnung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ auf. So etwa auch der Erbbauverein Moabit EVM, der in Berlin weit über jene 3.000 Wohnungen unterhält, die die Initiatoren des Volksentscheids als Schwelle für die Enteignung eines Immobilienunternehmens festgeschrieben haben.

Es stimmt, auch Wohnungsgenossenschaften zahlen eine Dividende auf das eingelegte Kapital, sind also „renditeorientiert“. Allerdings wird diese Dividende an ihre Mitglieder gezahlt, die meist in den Wohnungen leben, mit denen der „Gewinn“ erzielt wurde; und meist geht es dabei um eine Pflichteinlagesumme von rund 1.000 Euro. Doch so manche von ihnen haben zusätzlich Teile ihrer Ersparnisse in ihre Genossenschaft eingelegt. Ein gutes Geschäft für beide: Die Genossenschaft muss weniger Kredite von der Bank einholen und die Genossen erhalten darauf eine Dividende, deren Höhe meist über dem Zins üblicher Spareinlagen liegt.

Natürlich zielt der Volksentscheid gar nicht gegen Genossenschaften, die zusammen genommen rund zehn Prozent aller Wohnungen in Berlin unterhalten. Es geht um die Immobilienhaie wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Akelius. Deren 240.000 Wohnungen, sollen vergesellschaftet und dann von der öffentlichen Hand verwaltet werden. Aber wie? Ein Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses aus dem Jahre 2019 bestätigt die Rechtmäßigkeit des Vorhabens: eine Vergesellschaftung der großen Konzerne verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Anders sehen das die Gutachter der Marktwirtschaftler aller Couleur: es sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in privates Eigentum und sowohl verfassungs- als auch europarechtlich nicht umsetzbar, und zwar wegen des Gleichheitsgrundsatzes, nach dem jedes Eigentum gleich zu behandeln sei, nachdem Grundsatz: alle oder keiner. Daher rührt auch die Sorge der Wohnungsbaugenossenschaften, sie würden aus eben diesen juristischen Gründen ebenfalls von der Vergesellschaftung betroffen sein, sollten die Konzerne Klage vor den Verfassungsgerichten erheben und schließlich Recht bekommen.

Aber vermutlich sind die Sorgen ohnedies unbegründet, denn es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, dass es überhaupt so weit kommt. Und das liegt nicht nur daran, dass der Volksentscheid nicht bindend ist und lediglich den Berliner Senat „aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind“. Auch am Geld würde dieses Projekt, wenn man es denn wirklich wollte, scheitern, obwohl die Rechnung für die Entschädigungszahlungen an die Konzerne mindestens 10 Milliarden Euro betragen würde.

Trotzdem: Dieser Volksentscheid wird nicht in eine Gesetzestat umgesetzt werden. Aber vor allem deshalb, weil die Bürger, die mehrheitlich dafür gestimmt hatten, im selben Wahlakt die Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus gestärkt haben, die sich von vornherein gegen den Entscheid ausgesprochen haben. Die einzige Partei, die uneingeschränkt für die Enteignung geworben hat, ist hingegen sogar von den Wählern geschrumpft worden: Die Linke verlor 1,6 Prozentpunkte und wird nun nur noch 24 statt bisher 27 Parlamentarier ins Gebäude des einstigen preußischen Landtags entsenden. CDU, FDP und die Führungsriege der SPD waren ohnedies dagegen; und die Grünen sind in dieser Frage gespalten, setzen aber mehrheitlich auf eine Selbstverpflichtung für Wohnungseigner, Mieten für fünf Jahre einzufrieren – quasi freiwilliger Fairtrade ausgerechnet von Immobilienhaien.

Nicht schlecht als Idee, aber eben nur ein Ideal. Und so einig man sich allenthalben in der Stoßrichtung auf eine Begrenzung der Miethöhe ist, so sehr wird dieser Volksentscheid ein symbolischer Akt bleiben; und er war es vermutlich ohnedies für die meisten, die für ihn stimmten und gleichzeitig für Parteien, die gar nicht beabsichtigen, seine nun einmal bloß unverbindlichen Vorgaben umzusetzen. Wie aber lautet schließlich die Botschaft, die von diesem Symbol nun ausgehen wird? Werden die Immobilienkonzerne, die ja meist an der Börse agierende Aktiengesellschaften sind, sich davon beeindrucken lassen? Zittern die Immobilienhaie jetzt und lassen Mieterhöhungen in Zukunft ausfallen? Oder aalen sie sich jetzt erst recht in der Gewissheit, dass es ohnedies nicht zu Enteignungen kommen wird?

Der Volksentscheid und seine absehbare Folgenlosigkeit ist eine Botschaft – und zwar an die Kapitalisten: Wir können machen, was wir wollen, egal was die Leute grummeln und wie wütend sie sind, wählen tun sie dann doch wieder so, wie es den Kapitalisten am besten in den Kram passt. Klar, jetzt erst einmal den guten Verlierer mimen, sich zerknirscht geben, Sätze sagen wie „Wir haben das Problem erkannt“, und dann sofort das Rezept nachschieben, wie sich das Problem nach alter Manier auch ohne Enteignungen lösen ließe: bauen, bauen, bauen – das erweitert nicht nur das Angebot und entspricht somit dem Geist der Marktwirtschaft, sondern ist auch noch gut für die Bauwirtschaft…

Und ach wie schön, die politischen Apologeten beten dieses Rezept immer wieder nach – mehr noch, sie beten es vor: Neubauten sollen’s allenthalben richten. Und es läuft, selbst die Grünen haben in den Kommunen auf die Verdichtung der Städte gesetzt. Klar, sie wollten damit die Zersiedlung ins Land verhindern, aber das Ergebnis ist wie von der Immobilienwirtschaft gewünscht: Sie bekommt beides, vollgebaute Stadtlandschaften und überbautes Bauernland in der näheren und mittlerweile auch fernen Umgebung der Metropolen.

Warum lief das also bisher so schief, wenn man das Gute – breites Angebot und damit sinkende Preise – erreichen wollte, und dann doch immer wieder das – sagen wir mal wohlwollend – weniger Gute herauskam? Weil es sich beim Bauen eben nur bedingt um einen Akt in der nackten Wirklichkeit handelt, sondern immer auch Symbolpolitik ist. Bauen ist die Arbeit am Symbol. Sicher, der ganze Beton mag ziemlich wuchtig und real daherkommen, doch letztlich sind Bauprojekte jeglicher Art der Ausdruck von gesellschaftlichen Glaubenssätzen, egal ob es sich dabei um Kathedralen oder Bürotürme handelt – und auch all diese Wohnschachteln, die seit einigen Jahren Land auf Stadt ab entstehen, drücken in erster Linie den Glauben an den „Markt“ aus und spiegeln natürlich auch die antizipierten Machtverhältnisse wider, die auf diesem Markt herrschen.

Und natürlich sind diese Bauten auch ein Symbol dafür, dass unsere Gesellschaften sich nur noch zu Symbolpolitik aufzuraffen vermag. Denn sind die Ursachen für die Miethöhen und Immobilienpreise nicht woanders ganz zu suchen, als bei Angebot und Nachfrage? Ein Grund ist sicher die Zinspolitik, denn auf der Flucht vor den Niedrigzinsen wandert das Geld in den Wohnungssektor. Aber nicht in den Niedrigmietensektor, dieses Geld hat nämlich Geduld und einen langen Atem. In Berlin locken, wie es im Immobilien-Report der Bank „Parisbas“ so schön heißt, die „langfristigen Mietsteigerungspotentiale“.

Der Grund für hohe Mieten liegt nämlich auch darin, dass die Löhne im Allgemeinen relativ hoch sind und die sonstigen Lebenshaltungskosten für Ernährung oder Kleidung relativ niedrig. Mieten reizen immer genau den Betrag aus, den die meisten Lohnbezieher nach der Befriedigung der unmittelbaren Grundbedürfnisse noch übrig haben – und das ist in den meisten Fällen nicht so wenig. Und genau diesen Betrag stopft die unsichtbare Hand des Marktes in die Taschen von Immobilienbesitzern. Selbstverständlich sind nicht alle davon gleich auch Haifische, aber grundsätzlich wandert das meiste Geld aus Mieteinnahmen in bereits die gut gefüllten Taschen. Geld – lässt man es ungeregelt umherziehen – bildet gerne großen Haufen, in denen es dann natürlich nur noch als Symbol und kaum mehr aus Zahlungsmittel für unmittelbare Bedürfnisse dient.

Und klar, dann ist da noch der Lebensstil. Neben all den anderen Zuwächsen an Konsum und Mobilität steigt ja auch die Wohnfläche pro Bewohner stetig – womit wir dann ja beim Übersymbol angekommen sind, das alle anderen überwölbt: Das seligmachende Wachstum, das ja nicht zuletzt in der Bundestagswahl alle Parteien –inklusive der Grünen– als Problemlöser im Munde führten. Wachstum ist das Symbol dafür, dass man sich aus der Wirklichkeit seiner direkten natürlichen Lebensumwelt verabschiedet hat – und wer, wie unsere Politiker, daran glaubt, der kann dann seine ganze Landschaft weiter getrost zubetonieren lassen. Ob es da dann noch eine so verführerische Aussicht ist, den Wohnungsbestand in Politikerhände zu übergeben? Und weil der Kapitalist, selbst wenn er verloren hat, weiß, dass sich letztlich niemand an den Kern der Debatte traut, sich also auch im Kern nichts ändern wird, hat der schwedische Immobilienkonzern Heimstaden umgehend nach dem Volksentscheid angekündigt, in Berlin 14.000 Wohnungen von Akelius zu kaufen.

Bleibt die Frage aller Fragen: Was tun? Vernunft annehmen und einen völlig irrealen Vorschlag unterbreiten: Denn das Vernünftigste –und schon deshalb leider derzeit völlig ohne jede Chance auf Realisierung– wäre es, die Wohnungen der großen Konzerne in gemeinnützige Genossenschaften zu wandeln. Aus Mietern werden „Nutzer“, die einen Anteil an ihren Wohnungen halten, die wiederum von einem gewählten Vorstand professionell verwaltet werden. Außer einer Erhaltungsrücklage, Kreditzins- und Dividendenausschüttungen an die Mitglieder oder auch sogar Investitionsmittel für Neubauten müssen die Mieteinnahmen nichts weiter erwirtschaften, vor allem keine Renditen für Aktionäre. Und mit all den Spekulationen am Wohnungs-„Markt“ haben Wohnungsgenossen nichts mehr zu tun.

Aber wie sollte eine Überführung der Wohnungsbestände funktionieren? Die Mieter werden kaum über das Geld für Entschädigungen verfügen, es müsste vom Staat kommen. Das hieße aber wieder, dass Politik in der einen oder anderen Richtung den Hebel an den Wohnungen hätte, also etwa bei einem politischen Wechsel den Bestand einfach wieder privatisieren könnte. Doch vielleicht bleibt diese schöne Idee der Genossenschaft aus anderen Gründen nur eine fixe Idee, denn es fehlt der gesellschaftliche Sockel, auf dem diese Form des gemeinschaftlichen Immobilienbesitzes ohne Eigentum, einst ruhte: Die Gründung von Genossenschaften um die vorvergangene Jahrhundertwende war das Ergebnis einer autarken und gut organisierten Arbeiterbewegung. Doch eine vergleichbar organisierte und schichtendurchgängige Bewegung –wofür auch immer die dann einträte– gibt es nicht mehr.

Und so wird wohl trotz des kurzen Aufruhrs in der Wahlkabine alles so bleiben, wie es unter den heutigen Bedingungen eben ist. Einmal kurz symbolisch Sieger gewesen, immerhin, aber eben auch nicht mehr. Was lernen wir daraus? Dass Siegen lange nicht alles ist, was es zu lernen gelte.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste