Von der Verwendung von Symbolen

In Frankreich gehen jetzt die Geimpften und die Nicht-Geimpften aufeinander los. Das freut zwar den Präsidenten, führt aber auch zu abstrusen Meinungsäußerungen.

Wir sagen lieber nicht, was wir von diesem Mann halten, denn das wäre dann auch justitiabel... Foto: Courtesy Denis Kaufmann

(KL) – Am gestrigen Samstag demonstrierten überall in Frankreich zehntausende Menschen gegen die geplanten Covid-Zwangsmaßnahmen der Regierung. Auch, wenn die Proteste weitgehend (bis zum frühen Abend) friedlich blieben, so hatte man dennoch das Gefühl, als sei dies der Auftakt zur „Protest-Saison“ – denn die Demonstranten hatten durchaus unterschiedliche Anliegen. Während viele Menschen sehr ernsthaft ihren völlig berechtigten Zweifeln an der Impfstrategie und den verfügbaren Informationen äußerten, marschierten auch „Gelbwesten“ und andere Gruppierungen mit, denen es in erster Linie um den Protest und erst in zweiter Linie um die Impfkampagne ging.

Der Mann auf dem Bild ist wohl der Champion des schlechten Geschmacks und der geistigen Umnachtung dieses Wochenendes. Die Frage der obligatorischen Impfung von Pflegekräften und die Einführung eines „sanitären Passes“ mit der Ermordung von 6 Millionen Juden gleichzusetzen, bewegt sich hart an Rand dessen, was man vor Gericht debattieren sollte. Es sind Menschen wie diese, die eine ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung unmöglich machen. Leider sind diese geistigen Aussetzer keine Einzelfälle, ähnliche Dinge sieht man auch in den sozialen Netzwerken. Doch wer derart Symbole missbraucht, der ist als Ansprechpartner für gesellschaftliche Fragen schlicht nicht akzeptabel – solche Leute schaden dem eigenen Anliegen und dem ganzen Land.

Auch das Geschrei, mal lebe in einer Diktatur, ist geradezu lächerlich. Wir leben mitten in einer Pandemie, der Gegner ist klar definiert – das Coronavirus. In einer Diktatur wäre am Wochenende niemand auf die Straße gegangen, da die Demonstranten ansonsten wie in Belarus oder Hong Kong verhaftet worden wären. Nur – solches Geschrei und unsägliche Geschmacklosigkeiten wie das Tragen des gelben Sterns machen eine sinnvolle Auseinandersetzung unmöglich. Und damit schaden diese Leute auch all denjenigen, die aus absolut ernsthaften und zulässigen Gründen demonstrieren.

Doch eine solche Auseinandersetzung mit den Zweifeln und Fragen der vielen Demonstranten wäre auch das Mindeste, was die Regierung tun müsste. Das autoritäre Verkünden von Maßnahmen, gekoppelt mit Drohungen und der Stigmatisierung ganzer Berufsstände, bringt die Menschen auf die Straße und schafft dieses ungute Klima. Man sollte nicht vergessen, dass die verkündeten Maßnahmen stark denjenigen ähneln, die auch in anderen Ländern angekündigt worden sind, ohne solche Proteste auszulösen. Denn in anderen Ländern kommuniziert man ohne diese völlig sinnlose Pariser Arroganz, sondern für und mit den Menschen, die das sehr wohl zu schätzen wissen.

„Ach, die Revolte liegt halt in der DNA der Franzosen“, sagen manche. Aber der Grund für diese Proteste ist nicht etwa das französische Revoluzzer-Gen, sondern eben die unglaublich schlechte Kommunikation und die ebenso unglaublich arrogante Haltung dieser Regierung, die in vier Jahren nicht einen einzigen sozialen Konflikt im Dialog gelöst hat. Sie hat gar keine Konflikte gelöst, sondern erfolglos versucht, diese auszusitzen. Es ist immer das gleiche – entweder verschließen Macron & Co. von vornherein die Ohren, oder aber sie schicken bis an die Zähne bewaffnete Polizeikräfte.

So viel Verständnis man (auch als doppelt Geimpfter!) für die Zweifel der Nicht-Geimpften aufbringen kann, so ist das, was sie vorschlagen, schlicht zu wenig und nicht zielführend. Wenn Demonstranten alle Maßnahmen abschaffen wollen, Masken verbannen, Impfungen boykottieren, Barriere-Gesten ablehnen und dazu die Transformation der Gesellschaft in eine Art „gelbe Räterepublik“ fordern, dann fehlt selbst die Grundlage für einen ernsthaften Dialog. Doch für einen Dialog braucht es immer zwei – und momentan sind weder die Geimpften, noch die Nicht-Geimpften in einer Verfassung, ruhig und inhaltlich sinnvoll miteinander zu diskutieren.

Also wird auch diese Auseinandersetzung wohl auf dem einzigen Spielfeld ausgetragen werden, auf dem sich Präsident Macron wohl fühlt – auf der Straße. Er wird allerdings aufpassen müssen, dass diese Situation nicht umkippt. Denn das, was wir am Samstag in ganz Frankreich erlebt haben, war nur der Anfang einer neuen Protestbewegung, der sich immer mehr Menschen anschließen werden. Und offenbar hat Macron vergessen, dass bereits während der „Gelbwesten-Krise 2018-2020“ zeitweise 70 % der Franzosen Sympathien für diese Protestbewegung geäußert hatten. Seitdem ist das Protest-Potential in Frankreich noch einmal deutlich gewachsen. Ob es da so eine gute Idee der Regierung ist, erneut ein Armdrücken zwischen Staat und Bevölkerung zu suchen? Diskutieren, Erklären und Überzeugen wäre vermutlich besser gewesen…

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