Wenn Information zur Ware wird

Die neue europäische Richtlinie zum Urheberrecht, die am Mittwoch mit großer Mehrheit im Europäischen Parlament verabschiedet wurde, kann üble Folgen haben.

Sie werden künftig mehr Zeit für Ihre Haustiere haben. Mit unbeschwertem Surfen im Internet ist es vorbei. Foto: CSIRO / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Die große französische Tageszeitung „Libération“ veröffentlichte gestern einen Text, in dem sie mitteilte, dass die eigene Redaktion zur Frage dieser neuen Richtlinie gespalten, ja, geradezu zerstritten sei. Während die Befürworter der Ansicht sind, dass diese Richtlinie die Rechte Kreativer, vom Schriftsteller über den Journalisten zum Fotografen, besser schützt und für eine bessere Entlohnung sorgt, gehen die Gegner genau vom Gegenteil aus – sie befürchten eine völlig neue und radikale Art der Zensur neuer und unabhängiger Medien im Internet. Denn künftig sollen Informationsinhalte, die über die großen Suchmaschinen und sozialen Netzwerke verbreitet werden, diesen vergütet und von diesen kontrolliert werden.

Die Kontrolle sollen sogenannte Upload-Filter übernehmen und die Medienverlage sind aufgefordert, Abkommen mit den großen Plattformen auszuhandeln, was die Vergütung anbelangt, die sie Google & Co. dafür bezahlen, bei ihnen referenziert zu werden. Ausdrücklich wird empfohlen, dass sich mehrere große Verlage zu Pool zusammenschließen, weil der Preis durch das höhere Volumen gedrückt werden kann. Dreimal darf man raten, wer letztlich die Kosten für die Entwicklung und Einführung dieser Filter tragen wird. Die Zeiten kostenloser Informationsinhalte dürften in der Form, in der wir sie kennen, vorbei sein.

Honorare für Kreativschaffende. Im Gegenzug sollen die künftigen Gebühren, die von den Content Providern erhoben werden, zum Teil dazu dienen, die Rechte von Kreativschaffenden zu stärken und diesen standardisierte Honorare zu zahlen, wenn ihre Inhalte auf den Plattformen und in den sozialen Netzwerken „legal“ und gegen Gebühr eingestellt und genutzt werden.

Die Rechte von Kreativschaffenden zu stärken, ist sicherlich eine gute Sache. Die weniger gute Sache dabei ist, dass es sich nur um die Rechte derjenigen Kreativschaffenden handelt, die im offiziellen Kreislauf unterwegs sind, also die großen Tagesmedien, die von den Labels vermarkteten Musiker, die bereits bei einem Verlag unter Vertrag stehenden Schriftsteller und ansonsten diejenigen, die es sich leisten können. Alle Kreativschaffenden, die nicht in den Mainstream-Medien angestellt sind, die sich nicht im Standard-Kulturbetrieb tummeln oder einfach Anfänger und/oder unbekannt sind, verschwinden von der Bildfläche. Und damit auch die Biodiversität der Meinungsfreiheit. Und damit ein Stück Demokratie.

Die Unabhängigen und Kleinen werden verschwinden. Diejenigen, die künftig aus den Suchmaschinen und sozialen Netzwerken verschwinden werden, sind diejenigen, die diese Art der Verbreitung am dringendsten nötig haben. Denn künftig wird es so laufen: Die großen Verlage werden sich zu den erwähnten Pools zusammenschließen, was keine Utopie, sondern in vielen Sparten bereits heute eine Realität ist. So gehören viele große Regionalmedien einer Handvoll Unternehmen, die von den Finanzmärkten abhängig sind. Diese Pools stellen eine enorme Marktmacht dar und werden zwei Dinge monopolisieren: die Präsenz in den Suchmaschinen und sozialen Netzwerken, also die Sichtbarkeit in der Welt von heute und dazu die Bandbreiten, die prioritär nach Umsatz zugewiesen werden. Und wer die Bandbreite hat, der kann seinen Kunden megaschnelle (und legale) Downloads, Streams und neue Dienste anbieten, die eben diese Bandbreite benötigen. Für kleine, unabhängige und Start-Up-Medien und andere Content Provider, die keinem dieser nun entstehenden Pools angehören werden, ist diese Entwicklung existenzbedrohend. Denn sie werden nicht sichtbar sein, schwierig zu finden, langsam im Laden und letztlich uninteressant.

Denjenigen, die einen „Schutz“ wirklich brauchen, wird er entzogen. Freie Content Provider erhalten selbstverständlich keine Vergütungen durch die großen Verlage, da sie dort ja nicht angestellt werden. Erfolgsstorys junger Künstler, die über Plattformen wie YouTube durch Klicks zu Weltstars wurden, gehören der Vergangenheit an. Freie Medien (wie Eurojournalist.eu) müssen ihren Platz in der Medienlandschaft über private Empfehlungen und pfiffige Marketingaktionen behaupten – denn über Google & Co. wird man sie nicht mehr finden. Die Demokratie gräbt sich selbst den eigenen Nachwuchs ab – profitieren werden die Suchmaschinen, Sozialen Netzwerke und Großverlage, die gerade dabei sind, dank der tatkräftigen Unterstützung des Europäischen Parlaments, einen ganz wichtigen Teil des Internets zu privatisieren.

Die neue Datenwelt funktioniert nach den Grundprinzipien des Raubritter-Kapitalismus. Wer künftig auf der Datenautobahn aktuelle Angebote nutzen möchte, muss wie auf einer richtigen Autobahn dafür Maut bezahlen. Und Big Business wird in diesem teilweise privatisierten Zweiklassen-Internet prächtig verdienen. “Teilweise” deswegen, weil man nicht einfach das Internet komplett übernehmen kann. Die Selektion wird über die Bereitstellung von Bandbreiten erfolgen: Wer zahlt, der hat; wer nicht zahlt, verschwindet im Nichts. So grausam wird die schöne neue Datenwelt, die erstaunlicherweise nach den ewig alten Grundprinzipien des Raubritter-Kapitalismus funktionieren wird.

Diese neue Richtlinie schafft faktisch die Meinungsvielfalt ab, denn nur derjenige wird seine Meinung noch in größere Kreise bringen können, der dafür bezahlt. Doch wer die Meinungsfreiheit abschafft, wer Information zur reinen Ware degradiert, der schafft damit auch die Demokratie ab, denn aus dem Konzept „Information“ wird das Konzept „Kommunikation“, das wiederum die Vorstufe zu den Konzepten „Manipulation“ und „Propaganda“ darstellt.

Ist es das, was wir wollen? Und das soll wirklich der Wille der 500 Millionen Europäerinnen und Europäer sein? Die Gleichschaltung der öffentlichen Information zum Nutzen der Aktionäre der digitalen und marktbeherrschenden Giganten? Die vollständige Verblödung der Bevölkerung und die Formatierung der Sichtweisen auf die Vorkommnisse dieser Welt?

Und einmal mehr fragt man sich, was nur 438 Europaabgeordnete dazu getrieben haben kann, dieser Richtlinie zuzustimmen. Immerhin 226 hatten verstanden, dass wir gerade dabei sind, Grundpfeiler unserer Gesellschaft an multinationale Konzerne der digitalen Welt zu verhökern und stimmten dagegen. Ach ja, 39 Europaabgeordnete hatten keine Meinung und enthielten sich folgerichtig bei der Abstimmung. Sie waren vermutlich nur da, um das Tagegeld zu kassieren. Mit solchen Entscheidungen rudert das institutionelle Europa immer weiter dem Abgrund entgegen. Merken wird man es erst, wie immer, wenn es zu spät ist.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste