Winterspiele: Peking einen Korb geben

In zwei Tagen schaut die Sportwelt bitte nicht nach Peking. Hoffentlich ist Sport und keiner guckt hin. Das heißt ja nicht, man müsse ganz ohne Sport auskommen, es gibt ja noch lokale Ereignisse – eine Vorschau auf das Basketball Champions League-Spiel von SIG Strasbourg.

Winterspiele unterm Korb - SIG Strasbourg bietet das Kontrastprogramm... Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Dabei sein ist leider alles. Wer da mitmacht, macht mit, Herausreden ist nicht mehr als das: Herausreden, und zwar aus der Beteiligung an der bislang größten Propagandaveranstaltung dieses Jahrhunderts, den olympischen Winterspielen in Peking. Das gilt für alle: Funktionäre, Sponsoren, Sportler, Journalisten, übertragende Fernsehanstalten und letztlich auch für uns Fernsehzuschauer.

Und natürlich stimmt es: Das ändert nichts, ob wir zuschauen oder eben nicht. Die Propagandamaschine war in Gang gesetzt am Tag der Vergabe der Spiele nach Peking. Jeder Boykott würde ihr nun nutzen und den Regenten die Chance geben, sich ihre Regierten in eine Opferrolle hineinzusteigern zu lassen. Und bitte keine Illusionen: Diese Regierung, der ein gutes Fünftel der Weltbevölkerung untersteht, wird sich dadurch nicht von seinen Schandtaten abhalten lassen, weder in Ost-Turkestan, Chinesisch Xinjiang, noch in Hongkong – wo das Versagen der internationalen Gemeinschaft ganz besonders schmerzt, hat dort doch Peking einen nach dem Völkerrecht mit London abgeschlossenen internationalen Vertrag nahezu ohne ernsthafte Gegenreaktion der Völkergemeinschaft und besonders des demokratischen Westens mir nichts, dir nichts brechen können.

Und deshalb ganz klar: Man sollte sich bei den Boykottaktionen immer im Klaren sein, dass es dabei in erster Linie um die reine Seele der Boykotteure geht. Es gilt, die eigene Position zu sich selbst und seiner Werte zu festigen. Der Boykott ist eine Botschaft an uns selbst: bleiben wenigstens wir standfest und einem – zugegeben manchmal etwas naiven – humanistischen Ziel verschrieben. Die Kernfrage, die dahinter steht: Werden auch wir wie China? Tendenzen weisen dahin, dass auch über uns ein immer dichteres Überwachungsnetz über unsere persönlichen Informationen gespannt wird, das früher oder später zu einem Lenkunkssystem für das korrekte soziale Verhalten genutzt werden wird, so wie es in China mit dem sogenannten „Social Credit System“ schon heute getan wird. Und das schlimmste daran: So ein System wird in besten Absichten eingeführt werden, sei es zum Gesundheitsschutz, zur Erleichterung der Einhaltung gesunder Ernährungspraktiken, Hilfe zur gerechten Verteilung öffentlicher Güter. Das kann schnell in totalitären Strukturen enden, wenn man sich der eigentlichen Zielrichtung seiner hehren Werte nicht mehr sicher ist. Dieser Boykott hätte uns darin wieder etwas sicherer werden lassen.

Und so haben wenigstens wir Eurojournalisten unseren Boykott der absurden Pekinger Winterspiele an Orten, in denen schon sonst kaum Schnee fällt, als Sofasportler bereits angekündet. Keine Sendeminute der Olympiade mit uns! Jawoll! Und das sollte nur der Anfang sein. Denn am Jahresende kommt noch die Fußball-WM in Katar… naja gut, da liegen die Hürden doch etwas höher, Fußball ist noch mal ein anders Paar Stollenschuhe. Fußball und Eurojournalist, das ist so eine Sache, da muss sich der wahre Charakter noch beweisen – obwohl… also jetzt wo Katar versprochen hat, uns Deutschen Gas zu liefern, wenn Putin nicht mehr will, und meine Mutter ihr Heim mit Gas beheizt, und ehrlich, wer wollte schon verantworten, dass im kommenden Dezember das liebe Mütterlein im Kalten säße, also muss ich aus lauter Liebe und Verantwortungsbewusstsein wohl dann doch Fußball-WM gucken…

Bevor man sich also zu solchen geistigen Verrenkungen aussetzen muss, nur weil man von Sport nicht lassen kann, und weil es eben doch so spannend, so dramatisch, so tragisch, und auch so schön sein kann und der Seele guttut, den körperlichen Verrenkungen wahrer Könner zuzusehen, haben wir nun einen aktuellen Tipp parat: Die Basketballer von SIG Strasbourg.

Sie bieten uns nämlich genau das: Spannder, dramatischer und tragischer könnte die Ausgangslage für ihr nächsten Match nicht sein. Denn war Trainer LasseTuovi vor einer Woche noch so „stolz auf meine Jungs“, so packte ihn am letzten Wochenende das blanke Entsetzen. Denn hatten die „Jungs“, von denen ja so mache über zwei Meter groß sind, im Auswärtsspiel in der Champions League gegen den stärksten Gruppengegner in Litauen noch souverän gesiegt, haben sie drei Tage später in Straßbug in der heimischen Liga gegen das Tabellen-Schlusslicht Le Portel ziemlich arrogant verloren. Er nehme, so der junge finnische Trainer von SIG Strasbourg, diese Niederlage persönlich. Zu lax sei er mit den Jungs gewesen, habe ihnen zu sehr vertraut.

Ja, so ist das im Profisport. - Es ist eben, wie der Basketballphilosoph und Ex-SIG-Trainer Vincent Collet gesagt hat: „Auch Profisport ist Sport, alles ist möglich.“ Und er muss es wissen, denn Vincent Collet ist nicht nur nach wie vor Trainer der französischen Nationalmannschaft, sondern heute ebenso Coach vom derzeitigen Tabellenführer aus Paris. Das Grundproblem des Profisports hatte er schon vor Jahren, als es in Straßburg für ihn so gar nicht lief, auf den Punkt gebracht: „Wir bewerten Mannschaften nach der Qualität ihrer Individuen, aber wenn es an Altruismus, Opfergeist, kollektiven Intelligenz mangelt, wirst du niemals das Wesen einer Mannschaft erreichen“. Dazu kommt im europäischen Basketball, dass nur wenige der oft aus den USA kommenden Spieler den Vereinen kaum über eine Saison hinweg treu bleiben. Lasse Tuovi, ein guter Schüler von Collet, sieht diesen Mangel und versucht, Spieler als Identifikationsfiguren länger an SIG Strasbourg zu binden, was immerhin mit Jaromir Bohacik gelungen ist.

Nichtsdestotrotz glich diese Saison bisher einer Achterbahnfahrt: Der Anfang war zäh, dann lief es besser bis hinauf auf Platz 3 in der Liga und in die zweite Gruppenphase der europäischen Champions League BCL. Nun liegt man erst einmal auf dem 6. Platz, aber international läuft es nach Plan. Nach dem Sieg im Gruppen-Auftaktspiel kommt nun am Mittwoch die Mannschaft aus Teneriffa ins Elsass. Mit einem Sieg könnten sich die langen Jungs ersthaft nach dem Einzug in die TOP 16 strecken. Weiterer Gegner im Hin- und Rückspielmodus ist der ungarische Meister aus Szombathely, bevor dann im Mai die Viertelfinalspiele anstehen. Für Spannung ist gesorgt, wobei man nicht vergessen sollte, dass es auch einfach ein schönes Spektakel sein kann, diesem Sport zuzuschauen.

Gut, wir geben es zu, Profisport ist Profisport, die Clubs sind keine Wohltätigkeitsvereine und die vielen Ligen und Verbände veranstalten keine Kaffeekränzchen. Wir wissen um all die immer mieseren Tendenzen im Profisport, und die Perversion der Gehälter etwa im Fußball hat einem das Zuschauen schon ganz schön verleidet. Dass soetwas auch noch in gebührenfinanzierten öffentlichen Sendern gegen unfassbare Summen an Lizenzgebühren gezeigt wird, gehört schon in die Kategorie „Umverteilung von unten nach oben“.

Beim Basketball ist es noch nicht ganz so übel, wenn auch dort so manches Mal der Größenwahn Blüten treibt. So etwa in Strassburg mit den Planungen von SIG für eine neue und natürlich größere Arena. Covid-19 hat diese Tagträume erst einmal in die tiefe Nacht verlagert, denn wer wollte heute noch eine Fun-Arena mit Büros und Shoppingzonen hinzubauen, wo alleWeltdas Homeoffice zuschätzen gelernt hat und Büroflächen derzeit an jeder Ecke günstig zu mieten sind. Und um von dem anvisierten Bauplatz der SIG-Arena ins brandneue Geschäftsviertel Archipel 2 mit seinen Büro-Leerständen der Zukunft zu gelangen, muss man nur eine Strasse überqueren.

Ja, Sport ist eben… nein, nicht was sich jetzt darauf reimen würde, Sport ist nämlich wirklich manches Mal sehr faszinierend. Aber es ist eben gottlob auch nicht alles, wo man – wie in Peking – unbedingt dabei sein müsste. Doch was für ein wunderbares und letztlich noch ziemlich unschuldiges Extra an Spannung, Spielkunst und Gefühlen, wenn es heute Abend wieder durch die gute alte Rhenus-Halle in Straßburg schallt: „Jetztgeht’s los!“.

SIG Strasbourg – Iberostar Teneriffa
MI 2. Febraur 20 Uhr
Rhenus-Halle, Boulevard de Dresde
Tram E, Parlament Européen

Tickets unter www.sigstrasbourg.fr

Weitere Liga-Heimspiele im Februar
SA 12. Februar, 17 Uhr – Gravelines
DI 15. Febraur, 20 Uhr – Dijon
SO 20. Februar, 18 Uhr – Nanterre

Und in der BCL:
DI 8. März, 20 Uhr – Rytas Vilnius
MO 14. März, 20 Uhr – Falco Szombathely

HINWEIS:
Da war doch was? Klar, Corona. In Frankreich gilt: Geboostert musst Du sein, wenn die zweite Impfung über 7 Monate zurückliegt. Gestestet allein genügt nicht zum Einlass in öffentlich zugängliche Räume oder zu Veranstaltungen.

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