Kleine Götter, große Teufel – ein Klotz am Rhein?

Die Hochkultur ist vom Virus aufs Eis gelegt. Zeit für den Blick auf das wirklich Wichtige und zur Einsicht in die geänderten Prioritäten für die Zeit danach – oder: Wer zum Teufel braucht in Straßburg ein neues Operngebäude?

Die Rheinoper zu Strasbourg - Samt und sonders Samt... Foto: Baden-Paul / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(Von Michael Magercord) – Nun wäre es so weit gewesen. Wie Sie, liebe Opernfreunde, es gewohnt sind, kündigen wir die Opernaufführung des Monats März an: in der Rheinoper Straßburg erleben Sie ab Samstag… Nichts. Nichts mehr. Jedenfalls vorerst. Alles ist abgesagt, auch der Ausflug in die indische Götterwelt der hinduistischen Urerzählung, der Mahabarata. Schade, hatte ich doch für Sie noch eine selbst erlebte Anekdote aus dem großen Land mit der alten Kultur parat, die genau zu dem ungewöhnlichen Thema der Oper gepasst hätte, nämlich zu all den Göttern und ihren Schlachten mit Herrschern, die sich für Götter halten – aber ach, sehr geehrte Liebhaber der Theatralik, das geht ja auch ohne Oper, denn war da nicht eben noch Wahlkampf in Straßburg?

Also noch einmal auf nach Indien? Ja, und zwar nach Badrinath. Hinauf ins Himalaya an den Oberlauf des Ganges. Am Ufer des Quellflusses liegt der Pilgerort, wo unter der Gletscherzunge des Nilkhanta ein Felsblock das Geheimnis der Beziehungen zwischen Göttern und Menschen offenbart. Dimri, ein junger Brahmane, führte mich hinauf und zeigte mir zwei Farbkleckse auf dem Stein, ein kleiner und ein großer: die Spuren von zwei Fußabdrücken. Einer stammt von Gott Vischnu, der andere ist von einem Teufel. Dimris Familie unterhält in Badrinath einen kleinen Tempel für die Göttin Lakschmi und er weiß, was uns dieser Stein und seine Farbkleckse sagen wollen: „Das ist der Beweis: Teufel sind riesig, doch Götter sind klein, so klein, dass sie in die Körper von uns Menschen schlüpfen können“. Die Mahabarata hatte also Recht, Menschen können sich wie Götter benehmen und doch von Teufeln verfolgt werden – und wir fragen uns nun, wer ist wer in diesem Stück, was wir Wahlkampf nennen?

Die Kultur und ihre Politik spielt im Kampf ums Rathaus kaum eine Rolle. Echte Ideen haben die Kandidaten nicht dazu, zumindest keine neuen. Muss ja vielleicht auch nicht sein, wenn’s doch halbwegs läuft und Straßburg auch so über ein für eine europäische Mittelstadt reiches kulturelles Angebot verfügt. Und doch, ein gewichtiges Projekt stand zur Debatte: die Oper von Straßburg. Dabei geht es um das Gebäude der Rheinoper. Die Klagen über die alte Substanz, Sicherheitsmängel und eingeschränkte Bühnentechnik wollen nicht abreißen. Eine Renovierung stünde wohl bald an, und da es um einen symbolischen Ort für die Stadt geht, geht es gleich ums Ganze: Umbau? Abriss? Neubau?

Die Frage nach der Zukunft der Oper liegt schon lange in der Straßburger Luft. Für Marc Clemeur, den einstigen Direktor, war es die größte Frustration in seiner bis 2017 andauernden Amtszeit, dass die Stadt zwar 30 Millionen Euro für den Neubau des Maillon-Theaters hatte, aber keinen Cent für Renovierung des alten Opernhauses. Stattdessen kursierte die Idee, eine brandneue Oper am Ufer des Rheins zu errichten, fünf Kilometer außerhalb des Stadtzentrums.

Und genau das, ein Neubauklotz, wurde nun im Wahlkampf erneut vorgeschlagen. Ex-Kulturbürgermeister und nun OB-Kandidat Alain Fontanel hält den Neubau für „unausweichlich“, wenn Straßburg seinen „Status als Kulturhauptstadt“ erhalten wolle – neben den Hauptstadttiteln für Weihnachten, Europa und die Liebe, versteht sich. Auch Ex-OB Catherine Trautmann scheint dieser Lösung gegenüber aufgeschlossen zu sein, die grüne Kandidatin Jeanne Barseghian wiederum spricht etwas kryptisch von einem „schönen experimentellen Projekt“ , einzig der Konservative Jean-Philippe Vetter steht in konservativer Manier zum historischen Bau in der Innenstadt.

Pläne für die Renovierung des alten Hauses gibt es, doch wie Marc Clemeur berichtet, konzentrierte sich das von der Stadt beauftragte Planungsbüro nicht auf die Sanierung der maroden Bühnentechnik, sondern auf die Sorge, das Publikum möge doch in Zukunft bitte etwas bequemer sitzen. Aber die dazu erforderliche Reduktion von 1150 auf 850 Plätze würden die Einnahmen aus den Eintrittskarten schmälern, sodass sich – ach, wie schade – das alte Gebäude nicht mehr wirtschaftlich betreiben ließe – ergo muss der Neubau her.

Natürlich ließe sich nun trefflich spekulieren, welche Motivationen – und wessen? – eigentlich hinter dieser Neubauwut in Straßburg während der letzten Legislaturperiode standen und ob da vielleicht so mancher großer Teufel die Stadtgötter vor sich herjagt. Uns Freunde des Singspiels interessiert ja in diesem Drama ohnehin nur das Schicksal der Rheinoper, und die ist immerhin 2019 „Oper des Jahres“  geworden. Und zwar in dem alten Gebäude und trotz der veralteten Bühnentechnik. Oder wegen? Weil man künstlerisch gerade dann innovativer ist, wenn nicht das volle Programm der Technik zur Verfügung steht? Aber ach, auch das ist nur Spekulation… und wo wir Gesamtkunstwerksfanatiker schon dabei, gleich noch eine Mutmaßung: Vielleicht hatte die Rheinoper die Juroren – und nicht nur die – auch deshalb in ihren Bann gezogen, weil zum Gesamtkunstwerk Oper auch ein stimmungsgeladener Aufführungsraum gehört? Hätte man mit einer Betonschüssel als Spielort diesen Titel vielleicht nicht geholt?

Wie gesagt: Spekulationen – wer kann schon in Köpfe von Experten schauen? Halten wir uns also an die Laien. Und von denen kommt oft ein Vorwurf an die Oper: Sie sei einzig etwas für die bürgerliche Elite. Viel Geld wird für sie verprasst, das dann den anderen Kunstformen fehlt, die dem Amüsement der Mehrheit dienen. Oper zwischen Putten und Samt – ach, wie elitär! Wie bitte? Elitär sind Betonklötze! Denn diese gleichsam raumgreifende wie leblose Architektur entspricht der Vorstellung von „Moderne“, die von einer ganz bestimmten Klasse von Menschen gehegt wird. Laien auch sie, aber ausgestattet mit der Macht, über unsere Lebenswelt maßgeblich mitzubestimmen.

„Das Anstrengendste ist die Auseinandersetzung mit dem politischen Rahmen“, bilanzierte Marc Clemeur am Ende seiner Zeit in Straßburg, ohne bestimmte Personen zu benennen. Doch da es nun einmal um öffentliche Gelder ginge, meinten Politiker, sie hätten sich auch mit dem Management der betroffenen Einrichtung zu beschäftigen: „Das ist ein dauernder Kampf, den man vor allem mit der jungen Generation von Politikern zu führen hat, die in der Oper eine elitäre Kunst zu erkennen meinen“. Wer sind in dieser Schlacht die Götter und wer die Teufel? Das zu bestimmen, bleibt natürlich jedem Beobachter selbst überlassen. Ich hätte jedenfalls einen teuflischen Vorschlag: Ab mit der ollen Oper in die neue 30-Millionen-Beton-Kaschemme des Maillon-Theaters! Eine Bahnhofshalle mit Kulturbetrieb genügt, wer braucht da noch einen Klotz am Rhein?

Nun ist die Hochkultur erst einmal auf Eis gelegt. Und der Wahlkampf auch. Kunst und Politik im Wartestand. Was wird werden, wenn sie wieder erwachen? Oder anders gefragt: Wie werden sich solche Debatten dann noch ausnehmen in Anbetracht der tiefen Krise, die wir derzeit erleben? Wird sie neue Prioritäten setzen? Statt Geld für neue Kulturpaläste vielleicht erst einmal für die Ausstattung von Krankenhäusern. Und werden wir alle etwas demütiger im Umgang mit dem, was wir alles schon haben? Ist das denn wirklich so schlimm für zwei, drei oder wenn es mal Wagner ist auch vier Stunden etwas beengt zu sitzen? Götter sind klein, nur die Teufel brauchen Riesensitze. Oder wird es in derselben Logik weitergehen wie bisher: nun erst recht Klotzen am Rhein – und sei es nur im Interesse der hiesigen Bauwirtschaft?

Nach all den Spekulationen, Mutmaßungen und Aussichten auf die Zukunft folgt zum Abschluss noch ein Geständnis: Ich bin ein armer Teufel, der trotzdem nur allzu gerne im Samt eines altertümlichen Musentempels versinkt und für ein paar Stündchen den elitären Großbürger mimt, während die wahren Mimen ihre göttliche Kunst darbieten. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, liebe Opernfreunde, Liebhaber des Singspiels und Gesamtkunstwerksfanatiker: Würde mir nur noch der Beton bleiben – ich wäre noch ein bisschen ärmer.

Hier das komplette Interview mit Marc Clemeur vom Juni 2017.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste