„Wir brauchen eine starke Verbindung zwischen den Institutionen und der Zivilgesellschaft“

Die Erste Quästorin des Europäischen Parlaments, die elsässische Europaabgeordnete Anne Sander, spricht über den „Distinguished Gentlemen‘s Ride“, der weltweit für Männer-Krankheiten sensibilisiert.

Anne Sander wünscht sich eine starke Anbindung der Zivilgesellschaft an die Institutionen. Foto: Bureau Anne Sander

(KL) – Seit vielen Jahren findet weltweit der „Distinguished Gentlemen’s Ride“ (DGR) in Form einer Motorrad-parade statt, bei der die Motorradfahrer in Anzug und Krawatte unterwegs sind. Das Ziel dieser spektakulären Aktion ist es, die Öffentlichkeit für Krankheiten zu sensibilisieren, die Männer betreffen und dabei Geld zu sammeln, um die Forschung an diesen Krankheiten zu unterstützen. In diesem Jahr, am 4. Juni, führt der DGR Strasbourg am Europäischen Parlament in Straβburg vorbei. Hierbei hat das Europäische Parlament den Organisatoren gestattet, entsprechende Fotos zu machen, die in die weltweite Reportage des DGR 2023 eingehen werden. Interview mit der Ersten Quästorin des Europäischen Parlaments, der elsässischen Europaabgeordneten Anne Sander.

Am 4. Juni organisiert der Straβburger Verein „Strasbourg Passions & Elégance“ zum zweiten Mal nach 2022 den „Distinguished Gentleman’s Ride“ in Straβburg: Eine Motorrad-Parade, bei der die Fahrer in Anzug und Krawatte gleichzeitig in mehr als 800 Städten auf der ganzen Welt unterwegs sind und dabei Geld für die Forschung zu Männer-Krankheiten sammeln. Zahlreiche Partner unterstützen diese Veranstaltung internationaler Dimension. Ist auch das Europäische Parlament mit diesem Anliegen solidarisch?

Anne Sander: Es handelt sich um eine erste Form der Kooperation und der Solidarität, ja. Sich für ein so wichtiges Anliegen mit dem Europäischen Parlament zusammenzutun, gibt der Veranstaltung eine Art Legitimität und ist eine Form der Unterstützung. Allgemein gesagt, beschäftigt sich das Parlament viel mit den Fragen der Gesundheit, ob es sich nun um Krebs oder andere Krankheiten handelt. Hier ist das Parlament immer sehr stark engagiert.

Der DGR ist das Gegenstück zum „Rosa Oktober“, der den Kampf gegen den Brustkrebs unterstützt. Wie wichtig sind solche solidarischen und von der Zivilgesellschaft getragenen Veranstaltungen für Sie?

AS: Sie sind für uns im Europäischen Parlament sehr wichtig, denn alle Entscheidungen, die wir treffen, haben zum Ziel, das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern. Bevor wir Entscheidungen treffen, tauschen wir uns mit den Bürgern aus und oft weist uns die Zivilgesellschaft auf Schwierigkeiten hin, auf die Notwendigkeit, gesetzgeberisch einzugreifen, und entsprechende Programme zur Finanzierung von Aktionen aufzulegen. Man kann auch sagen, dass die Zivilgesellschaft Druck auf das Parlament und die anderen europäischen Institutionen ausübt, indem gefordert wird, in bestimmten Bereichen aktiv zu werden. Es stimmt, heute kennt man fast überall den „Rosa Oktober“. Zu dieser Veranstaltung wird viel in allen Gemeinden kommuniziert. Aber der „Rosa Oktober“ ist nur eine Veranstaltung, und damit nur ein Teil unserer Arbeit in diesem Bereich. Man sieht natürlich, dass der DGR gerade immer mehr an Bedeutung gewinnt und dabei die gleiche Dynamik entwickelt wie die Veranstaltung, die im November von der Bewegung „Movember“ organisiert wird.

Für „Movember“ wurden wir bereits angesprochen und unsere Fraktion PPE hat hierfür eine Kommunikations-Kampagne organisiert. Damals haben sich die Europaabgeordneten mit einem falschen Schnurrbart fotografieren lassen. Ich finde, dass sich all diese Veranstaltungen komplettieren und in die gleiche Richtung gehen: Die Entscheidungsträger darauf aufmerksam zu machen, was alles im Bereich der Gesundheit noch getan werden muss, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Im Europäischen Parlament gehört die Gesundheit zu den wichtigsten Themen, insbesondere der Kampf gegen den Krebs. Wir haben aus dieser Frage eine der Prioritäten des aktuellen Mandats gemacht. In unserer Fraktion PPE waren wir in dieser Frage weit vorne, da sich unser Vorsitzende Manfred Weber, der eine sehr persönliche Beziehung zur Frage des Krebs hat, sehr stark für dieses Thema engagiert. Für die nächsten Jahre ist das Thema also eine unserer Prioritäten. Es gab im Europäischen Parlament einen Krebs-Ausschuss, der Vorschläge erarbeitet hat und mit diesen gehen wir weiter – mit der Finanzierung der Forschung, aber auch der entsprechenden Gesetzgebung.

Zählen die Männer-Krankheiten (Prostata-Krebs, Hoden-Krebs, Selbstmord-Prävention etc.) zu den Themen im Europäischen Parlament? Man weiβ, dass sich weltweit ein Mann pro Minute umbringt, was insgesamt 500.000 Selbstmorde pro Jahr bedeutet und dass drei von vier Selbstmorden Männer betreffen. Haben Sie das Gefühl, dass die Öffentlichkeit und die Institutionen dieses Problem in seiner ganzen Tragweite erkannt haben?

AS: Ich glaube, dass in diesem Bereich noch viel zu tun ist, insbesondere im Bereich der Männer-Krankheiten. Wir beschäftigen uns bislang mit dem Krebs in seiner Gesamtheit: für Frauen, Männer und Kinder, wir sorgen für die Prävention, Medikamente, Forschung… Wir beschäftigen uns also allgemein um Krebskrankheiten und es stimmt, bisher haben wir uns noch nicht spezifisch um Männer-Krankheiten gekümmert, auβer im Rahmen der Veranstaltung mit „Movember“. Was die Arbeit in der Dauer anbelangt, so glaube ich, dass im Bereich der Selbstmord-Prävention für Frauen, Männer und Kinder noch vieles zu tun ist. Bisher war das Thema noch keine Priorität der Europäischen Union. Selbst in den Mitgliedsstaaten ist hier noch viel zu tun. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir auch mit dem COVID zu tun hatten. In diesem Zusammenhang haben wir gesehen, wie verletzlich die Menschen sind und auch die Auswirkungen auf die geistige Gesundheit, die Psychologie der Menschen, die heute zu einem echten Thema wird, was vor dem COVID weniger der Fall war. Diese Arbeit muss nun auf europäischer Ebene geleistet werden.

Letzte Frage: In zehn Jahren hat die australische Organisation des DGR 37 Millionen Dollar sammeln können, die in Forschung und Prävention investiert werden konnten, eben durch die Stiftung „Movember“. Kann ein Projekt wie der DGR ein Beispiel für Projekte sein, die gemeinsam zwischen Zivilgesellschaft und öffentlichen Institutionen organisiert werden können?

AS: Ja, natürlich, und dies muss auch gefördert werden, da wir eine starke Verbindung zwischen der Zivilgesellschaft und den öffentlichen Einrichtungen brauchen. Ohne eine solche starke und dauerhafte Anbindung wäre es nicht möglich, solche Themen weiterzubringen. Diese Anbindung ist auch deshalb wichtig, da nach einer getroffenen Entscheidung diese auch der Zivilgesellschaft erklärt werden muss. Die Welt verändert sich und mit ihr auch die Prioritäten, weswegen es so wichtig ist, dass diese Verbindung ständig funktioniert und man sollte auch nicht vergessen, dass die Zivilgesellschaft eine echte Macht darstellt. Groβe Veranstaltungen zu organisieren, Leuchtturm-Projekte gemeinsam zwischen Zivilgesellschaft und Institutionen zu organisieren, multipliziert die Wirkung der Kommunikation. Man sieht ja heute deutlich, dass für eine Sensibilisierung die Kommunikation die Basis ist.

Vielen Dank, Anne Sander, für dieses Gespräch!

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