Charlie Chaplin ist kein Weihnachtsmann – Adventsballett in der Rheinoper

Zwei Stücke wird die Rheinoper in Straßburg zur Adventszeit anbieten: Ein bereits schon einmal erfolgreich aufgeführtes Ballett über das Leben von Charlie Chaplin. Und eine Kammeroper für eine Stimme im Theater von Hautpierre.

Sich selbst im Blick - Charlie Chaplin schaut zu, wenn sein Leben in einem Ballett auf die Straßburger Bühne gebracht wird. Foto: Illustration von Paul Lanners, OnR

(Michael Magercord) – In der Adventszeit sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen. Nun könnte man sagen, dass das sowieso immer unser Platz sein sollte. Doch manchmal ist es hilfreich, sich als Stellvertreter mit einem einzigen Menschen zu befassen. Zumal, wenn es darum geht, durch die Kunst das Menschliche am Menschen zu betonen. Allerdings bleibt es trotzdem nicht erspart, gerade dann das Unmenschliche gleichsam mitzuentdecken. Die beiden Stücke, die die elsässische Rheinoper für diesen Advent ausgesucht hat, vollziehen die Darstellung des Menschenganzen an zwei ganz unterschiedlichen Menschenschicksalen und auf zwei völlig verschiedene Arten.

Das Leben des Charlie Chaplin als Ballett – ein Wagnis, an das sich Mario Schröder im Jahr 2010 in Leipzig gemacht hat. Mit Erfolg, wenn man sieht, auf wie vielen Bühnen in der Welt sein Tanzstück schon übernommen wurde. Auch im Elsass ist es nun bereits zum zweiten Mal zu sehen, hatte die Ballettabteilung der Rheinoper die gut eineinhalbstündige Choreografie doch schon 2018 im Programm.

Nicht die großen Filmerfolge der Titelfigur stehen im Mittelpunkt, sondern der Mensch und Künstler Charlie Chaplin. Und Visionär, denn in seinen Filmen konnte man immer wieder den scharfsinnigen Zeitbeobachter erkennen, ob es sich dabei um die Gefahren der Technologie oder der totalitären Politik handelte. Auf der Ballettbühne wird Charlie Chaplin durch sich selbst verkörpert, nämlich über seine Kunstfigur, den bemitleidenswürdigen Tramp, der mit Hut und Stock durch eine oftmals feindliche Welt watschelt, in der er auf seine Art große Rührung hervorruft.

Ganz ohne Bezüge zu den Werken des berühmten Filmregisseurs und Schauspielers und den Zeitumständen seines Lebens geht es selbstredend nicht, sich der Person zu nähern. Die Weltkriege sind präsent, wie auch in seinen Filmen, allerdings behält die Poesie bei der Gestaltung der großen und kleinen Szenen immer die Oberhand – wie es sich für ein Ballett nun einmal gehört, das uns auch in den Advent geleiten soll.

Im Mittelpunkt der Kammeroper, die am 3. Dezember in Colmar ihre erste szenische Aufführung erfährt, steht eine unbekannte Frau, die einzig durch ihr Tagebuch noch heute zu uns spricht. Die Studentin Hélène Berr war 21 Jahre alt, als sie mit ihren Aufzeichnungen begann, und zwar am 7. April 1942. Als Jüdin in Paris musste sie erleben, wie ihr Leben immer bedrückender wurde und es für sie schon bald keinerlei Normalität gab. Die bösen Ahnungen über Deportationen und Vernichtung schweben im Hintergrund, im Alltag nehmen die Beschränkungen zu. Die Universität und die geliebte Pariser Umgebung sowieso, aber selbst der nahe Stadtpark werden zur fernen Traumregion.

„Wir leben von Stunde zu Stunde, nicht mal von Woche zu Woche“, schrieb sie, und doch blitze immer wieder ihre Sehnsucht nach Schönheit der Landschaft und Literatur hervor. Auch der letzte Satz des Tagebuches, geschrieben am 15. Februar 1944, ist ein Literaturzitat: „Horror! Horror! Horror!“ in Anlehnung an Shakespeares Macbeth. Hélène Berr wurde in Bergen-Belsen ermordet. Das Béla Quartett gab beim Komponisten Bernard Foccroulle ein musikalisches Portrait in Auftrag, das das kurze Leben der jungen Tagebuchschreiberin in einem Monodrama für eine Mezzosopranistin wiedergeben soll. Nun wird es zum ersten Mal nicht nur die Musik erklingen, sondern eine Inszenierung auf der Bühne ist hinzugekommen.

Noch ein praktischer Hinweis: Die Kammeroper wird in Straßburg im Theater des Stadtteiles Hautpierre aufgeführt, mitten in einem der Brennpunktviertel der Stadt. Interessant dürfte es sein, wer sich darin schließlich einfinden wird: das übliche Opernpublikum, von dem vermutlich der allergrößte Teil erst anreisen dürfte und sich dort in eine ihm eher unbekannte Welt begeben würde, oder vielleicht doch der ein oder andere Stadtteilbewohner, für den vermutlich eher das Theater Neuland darstellen könnte? So oder so: ein Ausflug, der sich lohnen könnte.

Chaplin – Ballett von Mario Schröder

Eine Reprise des Tanztheaters aus dem Jahr 2010

Musik von Charlie Chaplin, Benjamin Britten, Samuel Barber und Richard Wagner

Opéra Straßburg

FR 8. Dezember, 20 Uhr

SA 9. Dezember, 20 Uhr

SO 10. Dezember, 15 Uhr

DI 13. Dezember, 20 Uhr

DO 14. Dezember, 20 Uhr

FR 15. Dezember, 20 Uhr

SA 16. November, 20 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu

Weitere Veranstaltung der Rheinoper

Le journal d’Hélène Berr

Kammeroper von Bernard Foccroulle für einen Mezzosopran, Klavier und Streichquartett

Szenische Welturaufführung

Comédie – Colmar

SO 3. Dezember, 15 Uhr

Mi 6. Dezember, 20 Uhr

FR 8. Dezember, 20 Uhr

Theater de Hautpierre – Straßburg

MI 13. Dezember, 20 Uhr

SA 16. Dezember, 20 Uhr

DI 19. Dezember, 20 Uhr

DO 21. Dezember, 20 Uhr

La Sinne – Mülhausen

FR 12. Januar, 20 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu

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