Das Wort zum Sonntag: Halleluja, steh mir bitte nicht bei

Vom Terroristen zum Christen – Stephen Lungu aus Zimbabwe missionierte letzte Woche das Elsass. Afrika rettet das christliche Abendland. Aber zum Teufel, ich bin nicht zu retten!

Halleluja, der ehemalige Terroriste Stephen Lungu beim Versuch der Rettung des Abendlands in Strassburg. Ob's geklappt hat? Foto: Michael Magercord

(Von Michael Magercord) – Am letzten Wochenende wurde das christliche Abendland gerettet. Zumindest wurde ein Versuch dazu unternommen. Zugeben, dazu gibt es derzeit viel zu viele Versuche, aber dieses Mal geschah es am Sonntag, und nicht Montag. Und es war nicht in Dresden, sondern in Straßburg. Und unser Retter des christlichen Abendlandes kommt nicht aus dem weitgehend heidnischen Sachsen, sondern aus Afrika. Die Straßburger Pfingstler-Gemeinde hatte eingeladen zu einer Begegnung mit einem Geretteten, der nun auch uns Europäer retten wird – na ja: soll. Und immerhin, die Bude war voll. Und was für eine Bude, der große Saal in dem großen Kongresspalast mit einer Kapazität von über tausend Zuschauern nämlich. Und Zauber gab es darin auch, Bühnenzauber zumindest. Gut mehr jetzt auch nicht, denn wir befinden uns ja nicht in Afrika, sondern mitten in Europa, im Elsass.

Eine zauberhafte Gospelgesangsgruppe in blauen Gewändern sorgte für den richtigen Einstieg, sie sang wunderbare Freundschaftslieder mit Titeln wie: „Ich bin ein Freund von Gott“, oder Thumbs-up-Hits, wie „Jesus is like:…“ und dann streckt man dazu den Daumen in die Höhe. Der stakte immer noch gen Himmel, als ER auf die Bühne kam, Stephen Lungu, der Mann, der laut seiner Straßburger Gastgeber da war, um die so ungläubig gewordenen Abendländer einen Nachmittag lang zu evangelisieren. Dazu musste er nur seine Geschichte erzählen, die Geschichte einer Bekehrung vom Terroristen zum Christen.

Und ja, zum Teufel: er erzählte sie gut. Unterhaltsam und mitreißend. Und es ist ja auch eine mitreißende Geschichte. Ein von der viel zu jungen Mutter und dem prügelnden viel zu alten Vater verlassenes Kind, Bandenkriminalität, Kindersoldat und Terrorist und nun, geläuterter Christ, der ein gutes Leben führt und allen schlechten Menschen, die ihm begegnet waren, verziehen hat. Ein Gefangener von Jesus sei er nun, und wir alle sollten uns gefangen nehmen lassen, rät er, denn dann können wir uns ändern und endlich gut und glücklich werden – „Halleluja!“

Im Saal immer wieder Lachen, wenn er einen Scherz macht. Raunen, wenn er eine Begebenheit aus seinem Leben erzählt, etwa schildert, wie er Jahrzehnte später zufällig seine Mutter wiedertraf. Und schließlich einmal sogar Jubel. Und zwar als der bullige schwarze Mann von seiner Zeit bei einem weißen Ehepaar berichtet, das ihn in der Hauptstadt Harare unter ihre Fittiche nahm, ihm zunächst Schuhe gab und dann die göttliche Lehre mit auf den Weg. Das allein reichte noch nicht zum Jubelsturm. Aber das finale Resultat des Wandels – denn wollte der zornige Jugendliche zuvor noch alle Weißen mit einer Kalaschnikow niederschießen, hat er als Erwachsener sie richtig lieb gewonnen: „I love you“, rief er den vom langen Winter noch ganz blassen Elsässern zu, „if you like it or not!“

Klar mögen wir das! Dann noch ein Gebet, ein Lied, und schon ist Schluss. Ist nun irgendwer Christ geworden, der es nicht war? Und wenn, sollte man hoffen, dass die nicht zuvor Terroristen waren, sondern es auch gefahrlosere Wege gibt, sich von Jesus gefangen nehmen zu lassen. Der Saal leerte sich schließlich christlich gesittet, es scheint, als habe heute zumindest niemand den umgekehrten Weg eingeschlagen – Halleluja…

So, jetzt aber Schluss mit lustig, denn nun zu mir: Was hatte ich da überhaupt zu suchen? Ich, der moderne Atheist, also einer, von dem Theologen sagen, er glaube zwar an keinen aus der Welt abstrahierten Gott, sehe aber ein, dass es selbst in seiner modernen Welt etwas Unerklärliches bleibt. Erschreckt von der Macht des Glaubens darf solch ein ungläubig Glaubender aber wohl trotzdem sein, heutzutage, wo diese Macht wieder mit Gewalt auf die Tagesordnung zurückdrängt. Ja, ich bin erschrocken, aber eben darüber, wie wenig es mich noch erschreckt, mich inmitten von Rettern des Abendlandes zu befinden. Habe ich mich etwa schon so sehr daran gewöhnt, dass es da etwas zu retten gibt?

Sind ja irgendwie alle ganz lieb, diese Retter und Geretteten im Kongresspalast. Jedenfalls ist es immer noch besser, sich bei der Rettung des Abendlandes von Afrika helfen lassen, als zum angeblich selben Zweck Hilfesuchende aus Afrika zu terrorisieren. Verwirrt bin ich aber, dass so viele Menschen meinen – egal ob letzten Sonntag in Straßburg oder Montag für Montag in Sachsen –, dass es überhaupt nötig ist, das Abendland zu retten.

Da hatte man doch immer gedacht, dass sich die abendländische Zivilisation schon in der Welt ganz gut zu verteidigen weiß und ihre Interessen ziemlich kaltblütig durchsetzt. Und nun steht man fast schon allein da, wenn man sagt: Lasst mich in Frieden, bei mir gibt es nichts zu retten! Sollte ich denn tatsächlich der letzte sein, der noch darauf vertraut, dass dieses Abendland unerschütterlich in der Welt verbleiben wird mit seinen vorchristlichen Errungenschaften der Demokratie aus Athen und dem Rechtsstaat aus dem alten Rom, und dem sein moderner Wertekatalog eine feste Burg ist? Na dann – Halleluja…

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