Die Besessenen – Auftakt der Opernsaison in Straßburg

Direktor Marc Clémeur stand der Straßburger Rheinoper acht Jahre vor. Nächstes Jahr wird Eva Kleinitz aus Stuttgart kommend das Haus übernehmen. Die letzte Saison scheint für den scheidenden Direktor auch zu einer Revue seiner erfolgreichsten Regisseure werden zu sollen.

L'Opéra du Rhin à Strasbourg présente la saison 2016/17 - avec un programme intéressant. Foto: Opéra National du Rhin

(Von Michael Magercord) – Nach acht Jahren an der Spitze der Rheinoper verlässt Marc Clémeur Straßburg, der zuvor die Oper in seiner Heimatstadt Antwerpen geleitet hatte. Ihm wird 2017 Eva Kleinitz folgen, die Rheinoper wird ihre erste Direktion sein. Ob sich damit mehr als ein Generationswechsel vollziehen wird?

Diese somit letzte Saison von Direktor Clémeur wurde jedenfalls noch einmal nach seinem bewährten Rezept zusammengestellt, und ein wenig scheint es auch, als sollte diese Spielzeit gleichsam eine Revue werden für jene Regisseure, die in den vergangenen acht Jahren im Straßburger Opernsaal Zeichen gesetzt hatten.

Den Auftakt wird am Mittwoch, den 21. September, die vom Schriftsteller Henry James inspirierte Oper „Turn of the screw“ von Benjamin Britten machen. Der deutsche Titel des Romans, „Die Besessenen“, trifft den Charakter des Werkes etwas genauer: Denn es ist eine unheimliche Geschichte um zwei Waisenkinder und ihre Gouvernante, wobei nie klar wird, wie viel von ihr tatsächlich passiert und wie viel nur den Hirngespinsten der Beteiligten entspringt. Das ist nicht nur eine hervorragende Vorlage für die Musik Benjamin Brittens, dem zum schlichten Pathos neigenden englischen Komponisten mit Herzenswärme, sondern ebenfalls der richtige Stoff für den kanadischen Regisseur Robert Carsen, der zuletzt mit Tschaikowsky „Pik Dame“ eine vielbeachtete Inszenierung vorlegt hatte. Robert Carsen hatte vor allem mit seinem Zyklus von fünf Opern des mährischen Komponisten Leos Janacek für Aufsehen in der französischen Musikszene gesorgt, und so ist – in Zeiten knapperer Kassen allemal – folgerichtig, dass passend zur Weihnachtszeit, auch sein „Märchen vom schlauen Füchslein“ noch einmal auf die Bühne gebracht wird.

Zum Rezept der Programmgestaltung der letzten acht Jahre gehörte immer auch eine Welturaufführung. Noch im September wird im Rahmen des Festivals Musica „Mririda“ des Marrokaners Achmed Essyad uraufgeführt. Auch er ein alter Bekannter in Straßburg, wenn auch seine Werke, die viel mit Elektronik durchsetzt sind, in die Kategorie „gewagt“ fallen. Vielleicht ist deshalb der Aufführunsgort kleiner gewählt: am 24. und 25. September im Auditorium des Konservatoriums.

Ein wichtiger Bestandteil der Saison ist auch immer ein Werk, dass besonders die Nachbarn von der anderen Rheinseite anlocken soll. In den letzten Jahren war Richard Wagner als Lockvogel auserkoren, dieses Mal ist es Richard Strauss. Salomé, die verführerische Schwiegertochter des Königs Herodes, steht pünktlich zum Frühlingsanfang auf dem Programm, entsprechend „heiß“ soll es in der Inszenierung von Olivier Py zu gehen. “Die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignet sich nicht für unsere Hofbühne”, hieß es noch 1905 in einem Ablehnungsschreiben des Librettos. 2016 wird man das gelassener sehen und Py wohl ziemlich locker. Der Regisseur hat seinen Hang zu heißen Szenen ja 2015 bei „Ariane und Blaubart“ unter Beweis gestellt.

Dass es auf der Straßburger Bühne allerdings nie wirklich schlimm zuging, dafür hatte Direktor Clémeur immer gesorgt. Denn wenn es eines bei ihm nicht gab, dann das, was man im Allgemeinen als das „deutsche Regietheater“ bezeichnet. Wobei nicht die Sorge vor der körperlichen Entblößung steht, sondern die Abneigung gehen das arrogante und aufgeblasene Getue mit offenen und versteckten Zeichen und Symbolen. Die Oper, so der scheidende Direktor, steht immer unter dem Verdacht, eine exklusive Kunst zu sein. Doch erst das Spiel mit aus dem Zusammenhang gestellten Zeichen, die auch letztlich zum eigentlichen Thema kaum etwas beitragen, macht das Theater exklusiv: Denn zu entschlüsseln sind diese Zeichen nur mit einem Wissensschatz, der nicht einmal denen zur Verfügung steht, die sich ihnen unentwegt aussetzen.

Eine junge Regisseurin, die die Kunst beherrscht, Zeichen zu setzen, die aber jeder verstehen und sich daran erfreuen kann, ist wiederum Mariame Clément. Sie hatte in der vergangenen Saison Wagners „Liebesverbot“ inszeniert und wartet im April 2017 mit der Barockoper „La Calisto“ von Cavalli auf. Das gleiche gilt für Kristian Frédric, der mit „Kay West“ vor zwei Jahren eine im positivsten Sinne ganz und gar triste Vorstellung abgab. Er wird im Juni als Regisseur den Schlusspunkt der Saison setzten mit zwei Kurzopern, die an einem Abend aufeinander folgen werden.

Zum Programmrezept gehörte auch immer ein selten aufgeführte französische Oper. „Die Jüdin“ von Fromental Haléy übernimmt im Februar dieses Part, und im Oktober 2016 schon wird das obligate italienische Werk, dieses Mal Donizettis „Liebestrank“, erklingen.

Das wäre sie also, die letzte Saison, und dann Vorhang zu für Marc Clémeur. Der Belgier wird ein erfolgreich geführtes Haus hinterlassen. Nicht nur, dass er mit der simplen Massnahne, deutsche Übertitel einzuführen, Publikum aus den Nachbarländern angezogen hat und auf  90-prozentige Auslastung der Plätze verweisen kann. Eine andere Zahl lässt besonders aufmerken: Straßburg hat das jüngste Publikum in Europas Opernhäusern. 30 Prozent der Zuschauer sind unter 26 Jahren alt. Und wohlgemerkt, das alles, ohne sich ihnen durch besonders jugendafine Mätzchen angebiedert zu haben. Standhaftigkeit und ein wenig Sturheit ist ja vielleicht nicht immer das schlechteste Rezept in der Kulturwirtschaft.

Benjamin Britten – The turn of the screw
Regie: Robert Carsen
Premiere 21. September 2016, 20 Uhr
zudem am 23., 25., 27. und 30. September in Straßburg
sowie am 7. und 8. Oktober in Mulhouse

Weitere Informationen und Karten unter : www.operanationaldurhin.eu

Vorschau auf die weiteren Premieren 2016/2017:

Ahmed Essyad
Mririda
Regie: Olivier Achard
24. September 2016

Gaetano Donazetti
Das Liebestrank
Regie: Julia Jones
21. Oktober 2016

Leos Janacek
Das schlaue Füchslein
Regie: Robert Carsen
11. Dezember 2016

Fromental Halévy
Die Jüdin
Regie: Peter Konwitschny
3. Februar 2017

Richard Strauss
Salomé
Regie: Olivier Py
10. März 2017

Francesco Cavalli
La Calisto
Regie: Mariame Clément
26. April 2017

Leoncavallo / Mascagni
Cavalleria rusticana / Pagliacci
Regie: Kristian Frédric
3. Juni 2017

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