Die Europäische Union war auch schon mal attraktiver…

Erst der Brexit und nun beendet die Schweiz die langen Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit der EU. Das Brüsseler Europa scheint nicht mehr zu überzeugen.

Ein wenig in Europa, ein wenig ausserhalb Europas - die Schweiz... Foto: Omarcoz / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Der Warnschuss kam am 23. Juni 2016. Beim Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU stimmte eine knappe Mehrheit der Briten für den Brexit, befeuert von populistisch-nationalistischen Parolen und die Reaktionen der europäischen Politik waren einstimmig: „Wir brauchen umgehend ein neues europäisches Projekt!“. Fünf Jahre später stellt man fest, dass nichts dergleichen lanciert wurde und schlimmer noch, dass sich niemand ernsthaft hingesetzt hat, um ein solches „neues europäisches Projekt“ zu entwerfen. Stattdessen gräbt sich der Brüsseler Beamten- und Lobby-Apparat immer mehr hinter verschlossenen Türen ein und verteidigt standhaft seine Funktionsweise, die nicht nur in den wichtigen Fragen unserer Zeit geradezu hilflos erscheint, sondern sich auch Lichtjahre davon entfernt hat, was die rund 500 Millionen Europäerinnen und Europäer bewegt. Und nun beendet die Schweiz die langen, zähen Verhandlungen um ein Assoziationsabkommen mit der EU.

Nach 18 Verhandlungsrunden, die sich über Jahre hinzogen, schließt die Schweiz das Dossier. Die Eidgenossen verspüren keine Lust, sich der Forderung der Europäischen Kommission zu unterwerfen, die eine Einhaltung ihrer Normen und vor allem, die Anerkennung der höchsten Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs fordert. Doch eine „Lösung“ ist das auch nicht. Mitten in Europa, umgeben von EU-Mitgliedsstaaten, ist die Schweiz nun „ein wenig drin“ und ziemlich viel „draußen“.

Die Zeiten, in denen eine EU-Mitgliedschaft als ein erstrebenswertes Ziel erschien, sind offenbar vorbei. - Angesichts des Versagens des wohl größten Papiertigers der Welt dürfte das niemanden mehr wundern. In die EU wollen nur noch Staaten, denen es finanziell so schlecht geht, dass sie sich von einer Mitgliedschaft die Mittel für den Aufbau oder Wiederaufbau ihrer Länder versprechen. Von „Werten“ oder „Wertegemeinschaft“ spricht niemand mehr, da diese „Werte“ inzwischen von den Brüsseler Lobbys fast vollständig ausgehebelt worden sind. Dabei wäre es durchaus möglich, das neoliberale und teilweise menschenverachtende institutionelle Europa, das die Handschrift der Schäubles, Junckers & Co. trägt, zu verändern. Alleine, es fehlt der Wille der Lobbys, die in der aktuellen Konfiguration das von Europa erhalten, was sie wollen.

Was aber bedeutet das Ende der Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel? Sind die Schweizer plötzlich Europa-Feinde geworden? Nein. Natürlich wird die Schweiz nicht im Herzen Europas isoliert werden, doch wird es immer mehr Handelshürden geben und die Reaktionen seitens der Politik, aber auch der Industrieverbände aus der Grenzregion, sind eindeutig – man befürchtet, dass sich die Beziehungen immer schwieriger gestalten werden. Dazu kommt, dass sich mitten in Europa eine EU-Außengrenze befindet und das ist auf Dauer auch kein guter Zustand.

Nur – mit Druck und Drohungen macht Brüssel die EU auch nicht attraktiver. Das, was die EU wieder zu dem machen könnte, was sie eigentlich sein soll, ist eine tiefgreifende Reform der Institutionen und eine echte Bürgernähe. Doch daran hat das „Brüsseler Europa“ wenig Interesse. Dort, wo neben 33.000 EU-Beamten ungefähr die gleiche Anzahl Lobbyisten in Brüssel unterwegs ist, schätzt man dieses „Europa der verschlossenen Türen“ sehr. Denn dort kann man schalten und walten, wie man will, Entscheidungen treffen, die von der Mehrheit der Europäerinnen und Europäer nicht gewünscht sind, dafür aber die finanziellen Interessen von „Big Business“ zufrieden stellen.

Dazu kommt das elende Prinzip der Einstimmigkeit, mit dem sich die EU seit Jahren selbst lähmt – sie ist nicht einmal in der Lage, massive Verstöße gegen die Grundprinzipien der EU zu sanktionieren. Und obwohl die EU eine der weltweit größten Wirtschaftsmächte darstellt, ist sie im Konzert der internationalen Politik nicht viel mehr als ein Zwerg. Dass sich die EU nach all den Jahren der politischen Lähmung immer noch weigert, ein Reformprojekt anzugehen, ist jämmerlich und manövriert sie immer mehr ins politische Abseits.

Nur – die EU sollte mehr sein als ein willfähriger Erfüllungsgehilfe der Interessen der Groß-Finanz und –Industrie. - Die EU sollte mehr sein, als eine Festung für eben diese Interessen, die sich eingeigelt hat und mit ihrer Grenzschutzagentur „Frontex“ einen erbarmungslosen Kampf gegen Flüchtlinge im Mittelmeer führt. Die EU sollte mehr sein als die Organisation, die Chemiekonzernen die Verwendung von Umweltgiften erlaubt, für die dieselben Konzerne auf anderen Kontinenten Millionen-Strafen zahlen müssen. Die EU sollte mehr sein als eine Organisation, die bei schwersten Verstößen gegen Menschenrechte lediglich ihrer „Besorgnis“ Ausdruck verleiht. Die EU sollte mehr sein als eine Organisation, die die größten Konzerne der Welt von Steuern freistellt, gleichzeitig aber nicht gewillt ist, die Not von rund 20 % der Europäer zu lindern, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Die EU sollte endlich das werden, was ihre Gründungsväter gewollt hatten – der Hort der Menschenrechte, eine Wertegemeinschaft, die auf den Prinzipien des Rheinischen Humanismus basiert, ein Kontinent der Solidarität.

Dass die EU nun offenbar immer unattraktiver wird, darf kein Grund dafür sein, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Die Europa-Gegner, zumeist ewig gestrige Nationalisten und Populisten, täuschen sich – die EU muss nicht etwa abgeschafft, dafür aber von Grund auf reformiert werden. Nach wie vor ist die Mehrheit der Menschen in Europa FÜR ein gemeinsames Europa, aber eben nicht für das, was in Brüssel produziert wird.

Wenn es gelingt, tatsächlich ein „neues europäisches Projekt“ aufzusetzen, dann wird die EU auch wieder attraktiver – für die Schweiz, für Großbritannien, aber auch für die Millionen Europäerinnen und Europäer, die von Europa träumen. Dem „echten“ Europa.

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