Die Gratwanderung

Gesundheit oder Wirtschaft? Die Regierungen Europas versuchen, verständlicherweise, beide Konzepte aufrecht zu erhalten. Aber das wird so nicht gelingen.

Das Pflegepersonal ist jetzt bereits wieder am Anschlag - und wie wird die Situation in 4 Wochen sein? Foto: Alberto Giuliani / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wer immer die Idee der nächtlichen Ausgangssperren hatte, dem ist die Dankbarkeit der von der aktuellen Situation völlig überforderten Regierungen sicher. Denn zum einen ist die Maßnahme durchaus spektakulär, zum anderen stellt sie sicher, dass die Menschen weiterhin arbeiten gehen. Die Erwachsenen sollen arbeiten, die Kinder zur Schule gehen, damit die Eltern arbeiten können und ansonsten wird mehr oder weniger alles verboten. Nur – das Corona-Virus wird man so nicht besiegen können.

Die Annahme, man könne die Ausbreitung des Virus durch die nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 6 Uhr morgens eindämmen, setzt voraus, dass dieses Virus tagsüber inaktiv ist. Das ist es aber leider nicht. Daher verbreitet es sich gerade massiv weiter, denn in der Zeit zwischen 6 Uhr morgens und 21 Uhr abends drängen sich die Menschen nach wie vor in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants und Cafés, Geschäften und an ihren Arbeitsplätzen und dort verbreitet sich das Virus wie bisher.

Dabei steigen die Zahlen momentan exponentiell. Wie wenig wirksam die nächtliche Ausgangssperre ist, erkennt man gut in Frankreich, wo die 8 größten Metropolen bereits seit über einer Woche nachts wie ausgestorben sind – dies hat nicht verhindert, dass Frankreich am letzten Wochenende zum ersten Mal mehr als 50.000 Neuinfektionen an einem Tag (!) vermeldete.

Die berechtigte Angst, dass ein weiterer „Lockdown“ ungeahnte Schäden an der Wirtschaft und auch der psychologischen Verfassung der Bevölkerung zur Folge haben könnte, wird verhindern, dass die Politik erneut zum vollständigen „Lockdown“ bittet. Wahrscheinlicher ist ein Szenario, in den in einer zweiten Stufe der Beginn der nächtlichen Ausgangssperre auf 19 oder sogar 17 Uhr vorverlegt wird, Restaurants und Cafés werden wieder ganz schließen müssen (was in mehreren europäischen Ländern bereits der Fall ist) und sollte dies (erwartungsgemäß) nicht die gewünschten Ergebnisse zeitigen, dann wird es zu lokalen oder regionalen „Lockdowns“ kommen.

Am Ende des Tages hängt alles davon ab, wie wir uns verhalten. - Nein, niemand muss heute mehr jammern, dass seine oder ihre individuellen Rechte durch eine Gesichtsmaske oder Abstand zu den Mitmenschen beeinträchtigt seien. Angesichts der Entwicklung der Zahlen gibt es momentan in erster Linie eine Beeinträchtigung und das ist die durch das Corona-Virus, das die Weltgesundheit bedroht und tödlich verlaufen kann. Wer in einer solchen Situation auf nichts anderes kommt, als weiterhin das Risiko einzugehen, andere und sich selbst anzustecken, der ist ein verantwortungsloser Zeitgenosse.

Wir haben Monate mit Debatten, Demonstrationen und eitlem Geschwätz vertan, bei dem Rechtsextreme, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und andere verblendete Geiferer behaupteten, die Demokratie sei abgeschafft worden, man müsse sich gegen die „Corona-Lüge“ wehren und diese verstörten Menschen haben den Grundstein für diese „zweite Welle“ gelegt. Wenn man bedenkt, dass am letzten Wochenende erneut eine Demonstration von „Maskengegnern“ in Berlin aus dem Ruder gelaufen ist und diese Denkverweigerer damit erneut zur Verbreitung des Virus beigetragen haben, stellt sich auch die Frage nach der juristischen Bewertung dieser Demonstrationen. Irgendwann wird man nicht umhin kommen, diese Demonstranten wegen „versuchter Körperverletzung“ und anderen Strafbeständen zeitweise aus dem Verkehr zu ziehen.

Und so warten wir nun alle wie die Kaninchen vor der Schlange auf die nächsten erschreckenden Zahlen und die nächsten Verschärfungen der Maßnahmen. Doch statt einfach nur darauf zu warten, was als nächstes passiert, wäre es dringend angebracht, dass alle die Maßnahmen einhalten. Maske, Abstand, Händewaschen und Lüften – das ist wirklich nicht zu viel verlangt. Und wer meint, dass dadurch die Demokratie abgeschafft wurde, der sollte auch einen Besuch beim Psychiater einplanen…

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