Ein französisches Phänomen – „La Rentrée“

Der Begriff stammt von „Rentrée des classes“, der Rückkehr der Schulklassen, der das Ende der langen Sommerferien darstellt. Und den Beginn eines erstaunlich langsamen Neustarts.

Zur "Rentrée" begrüßt Straßburg seine Studenten. Aber jetzt nur keine Hektik... Foto: Pierre Rudloff / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Die „Rentrée“ ist ein wichtiger Moment im französischen Kalender, denn theoretisch läutet er das Ende des Sommers ein. Theoretisch sollte das Land zu diesem Zeitpunkt wieder den Turbo zünden, nachdem die Monate Juli und August in Frankreich ausschließlich den Sommerferien gehören. Auf die man sich den Juni über schon mal intensiv vorbereitet hatte. Doch wer nun fröhliche und ausgeruhte Betriebsamkeit im Nachbarland erwartet, der wird enttäuscht.

Denn die „Rentrée“ ist ein Konzept, dass diese mehr als zweimonatige Auszeit des Landes noch ein wenig verlängert und eine Art Ausnahmezustand begründet, in dem man sich möglichst weit in Richtung Herbstferien hangelt und von das aus ist es auch nicht mehr weit bis zu Weihnachten.

Jetzt könnte man meinen, dass eine zweimonatige Auszeit dazu führt, dass ganz Frankreich hufescharrend in den Startlöchern steht, um mit neuer Dynamik und ausgeruht Vollgas in den Herbst zu geben. Das Gegenteil ist der Fall. Denn die Franzosen haben noch einen zweiten Begriff dazu erfunden – „le Blues de la Rentrée“. Die „Sommerferienende-Depression“. Denn nach Monaten des „Dolce Far Niente“ wieder in den normalen Jahresrythmus einzusteigen, das ist eine große Belastung.

Zum einen sind nach dem Urlaub die Haushaltskassen leer und zum Beginn des Schuiljahres macht eine ganze Industrie für Schreibhefte, Filzstifte, Zirkel und Schulranzen fast ihren ganzen Jahresumsatz und das wird für die Familien richtig teuer. Genau im falschen Moment. Das drückt aufs Gemüt, ebenso wie das erneute früh Aufstehen und regelmäßig zur Arbeit gehen. Die Aussicht, mehrere Wochen bis zu den Herbstferien warten zu müssen, tut ihr Übriges.

Bei der „Rentrée“ werden einmal mehr kulturelle Unterschiede deutlich. Während es in Deutschland Urlaub gibt, damit sich die Arbeitnehmer erholen und ausgeruht und konzentriert die zweite Jahreshälfte durcharbeiten, ist der Urlaub für Franzosen der eigentliche Lebenszweck des Jahres. Im Urlaub kann man leben, die Familie besuchen, mit den Kindern toben, am Strand liegen und eben einfach leben. Für Franzosen dient der Urlaub, anders als für Deutsche, nicht der Wiederherstellung der vollen Arbeitskraft, sondern dem Privatleben. Insofern ist auch der „Blues de la Rentrée“ nachvollziehbar, denn zu diesem Zeitpunkt tritt die Arbeit wieder ins Leben, flattern Rechnungen ins Haus und die tägliche Routine setzt wieder ein. Wenn das kein Grund für frühherbstliche Depressionen ist.

Zwar markiert die „Rentrée“ auch die Wiederaufnahme politischer Aktivitäten (versuchen Sie mal, im Sommer in einer französischen Behörde irgendetwas auf die Reihe zu bekommen…), doch wird das meist so organisiert, dass im September jede Menge Veranstaltungen stattfinden, bei denen es nicht allzu anstrengend, sondern eher repräsentativ zugeht. Große Arbeiten werden dann auch lieber auch den kurzen Zeitraum zwischen den Herbstferien und Anfang Dezember verlegt, wenn zum Glück die einen guten Monat dauernden Weihnachts- und Neujahrsfeiern beginnen. Also auf die Zeit zwischen Ende Oktober und Ende November. In diesen Wochen sollte man sich warm anziehen, denn dann laufen die Franzosen zu Hochform auf.

Natürlich haben die Franzosen mit dieser Jahresaufteilung Recht. Denn bei unseren Nachbarn geht es mehr um Lebensqualität als um das Funktionieren als kleines Rädchen im Arbeitsprozess. Offensichtlich schlummert in jedem französischen Arbeitnehmer eine Art kleiner Anarchist, der im Grunde seines Herzens nicht nur Arbeitnehmer, sondern vor allem Mensch ist. Da sehen wir Deutschen, denen es wichtig ist, Kräfte fürs Arbeiten in der zweiten Jahreshälfte zu sammeln, irgendwie blöd aus.

Sollten Sie beruflich oder auf anderer Ebene während der „Rentrée“ mit Franzosen zu tun haben, dann nehmen Sie in dieser Zeit Rücksicht auf Ihre französischen Ansprechpartner. Die denken nämlich gerade nicht an Dinge wie „Prozessoptimierung“ oder „Lean Management“, sondern träumen noch vom Rauschen des Meeres an der Atlantikküste. Und dabei sollte man sie möglichst nicht zu abrupt stören.

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