Ein Jahr danach – Gedenken an „Charlie“

Vor genau einem Jahr fand in Paris ein feiger Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit statt. Die Titelseite der Sonderausgabe von Charlie Hebdo wurde gleich scharf vom Vatikan kritisiert.

"Charlie" ist ganz schnell von einer Geisteshaltung zu einem Modetrend verkommen. Schade. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Heute erinnert sich die Welt einmal wieder an „Charlie“, also an „Charlie Hebdo“, das französische Satiremagazin, das am 7. Januar 2015 zur Zielscheibe eines feigen Terroranschlags wurde, bei dem 12 Menschen getötet wurden, darunter die bekannten Karikaturisten Cabu, Wolinski, Charb, Tignous oder auch Honoré. Als Reaktion auf dieses Attentat empörte sich die westliche Welt, denn der Anschlag galt den in „Charlie Hebdo“ erschienenen Mohammed-Karikaturen und die gesamte westliche Zivilisation befand, dass es kaum ein höheres Gut als die Presse- und Meinungsfreiheit gäbe. Jeder trug einen Badge „Je suis Charlie“, doch nur ein Jahr nach diesem Anschlag scheint vieles von dem schon wieder vergessen zu sein, was man sich damals unter Schock gegenseitig versprach – die Verteidigung der Freiheit. So verwundert es auch nicht, dass der Vatikan das Titelblatt der Sonderausgabe von „Charlie Hebdo“ kritisierte, das Gott mit einer Maschinenpistole und blutigem Gewand zeigt, zusammen mit der Überschrift „Der Mörder läuft immer noch frei herum“. Das ist dann wohl wieder etwas zu viel der Presse- und Meinungsfreiheit.

Ein Jahr nach dem Mordanschlag auf „Charlie“ ist man wieder zur Normalität zurückgekehrt. Presse- und Meinungsfreiheit sind nur dann in Ordnung, wenn sie die eigene Meinung wiedergeben. So zumindest muss man die Kritik des Vatikans interpretieren, der sich über seine eigene Zeitung „Osservatore Romano“ zu einem Kommentar hinreißen ließ, den auch Fundamentalisten anderer Religionen so hätten schreiben können. Der „Osservatore“ schreibt von der „trügerischen Fahne eines kompromisslosen Laizismus“ und davon, dass „Gott zu nutzen, um Hass zu rechtfertigen“, eine Gotteslästerung darstelle. Der „Islamische Staat“ hätte das nicht besser ausdrücken können. Oder soll man die Einlassungen des Vatikans so verstehen, dass man gerne Satire zum Thema des Islam machen darf, nicht aber über den christlichen Glauben?

Nun interessiert es kaum jemanden, was die Haus- und Hofpostille des Vatikans zum Besten gibt, allerdings ist diese Kritik an „Charlie Hebdo“ auch ein Zeichen dafür, dass die westliche Welt in nur einem Jahr all das über den Haufen geworfen hat, was vor einem Jahr kurz als Erkenntnis durch die Köpfe der Menschen waberte. Nämlich dass die Freiheit der Meinung, der Presse und vor allem von Menschen, die anders denken als man selbst, ein schützenswertes, geradezu kulturelles Gut ist. Wie ernst man diese Erkenntnis selbst im direkt betroffenen Frankreich nimmt, erkennt man auch daran, dass die investigative und kritische Tagespresse wie die wichtigste französische Online-Zeitung „Mediapart.fr“ mit fiskalischen und juristischen Tricks und Kniffen ausgeschaltet werden soll. Wie gesagt, Pressefreiheit soll nur für die gelten, die unsere eigene Meinung abbilden…

Heute geht es „Charlie Hebdo“ zumindest wirtschaftlich gut. Das vor den Anschlägen vom wirtschaftlichen Kollaps bedrohte Blatt explodierte förmlich – die Sonderausgabe, die eine Woche nach dem Anschlag veröffentlicht wurde (und die Mohammed und die Überschrift „Alles ist vergeben“ zeigte), wurde in einer Auflage von 8 Millionen Exemplaren verkauft und die Zahl der Abonnenten des chronisch klammen Blatts kletterte von 10.000 auf über 200.000. Parallel dazu wurde „Je suis Charlie“ zu einem Modetrend, das auf T-Shirts, Kaffeetassen, Schlüsselanhängern und sogar Unterwäsche (!) prangte – mit „Charlie“ ließen sich gute Geschäfte machen. Doch dieser wirtschaftliche Erfolg kann niemanden in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ über den Verlust ihrer Freunde und Kollegen hinweg trösten.

Und wie geht es weiter mit den unabhängigen Medien? Wird sich irgendetwas ändern? Nein. Die Chance hierzu wurde vom gesamten Westen verpasst. Die Medienlandschaft wird weiterhin von großen Finanzgruppen beherrscht, „Information“ wird weiterhin durch „politische Kommunikation“ ersetzt und nach wie vor wird unabhängigen Medien jeder nur erdenkliche Stein in den Weg gelegt. Hätte man angemessen auf den Anschlag gegen „Charlie Hebdo“ reagieren wollen, dann hätte man eine Stiftung ins Leben rufen müssen, die mit ausreichendem Kapital versorgt neue, freie Impulse in die Medienlandschaft hätte geben können. Die von vielen verteufelten, weil nicht kontrollier- und steuerbaren Online-Medien hätten verstärkt entwickelt werden müssen, doch stattdessen ist man zum „Business as usual“ zurückgekehrt.

Viele gedenken heute der großartigen und mutigen Künstler und ihrer Kollegen, die am 7. Januar 2015 im Kugelhagel fundamentalistischer Terroristen starben. Doch die meisten von denjenigen, die heute ihren schon leicht angestaubten Badge „Je suis Charlie“ hervorkramen, sollten ihn lieber in der Schublade lassen. Denn die westliche Welt hat ihre eigene Botschaft nicht verstanden, die vor einem Jahr besagte, dass die Meinungs- und Pressefreiheit zu schützen, zu achten und zu entwickeln sei. Doch diese Botschaft wurde zum Jahrestag der Ermordung der „Charlie Hebdo“-Künstler ausgerechnet vom Vatikan wieder aufgehoben. Wie schade, dass die Welt von religiösen Extremisten aller Couleur bedroht wird.

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