Für Unentschlossene: das Grundeinkommen ist wählbar…

„Das Grundeinkommen ist wählbar!“ heißt der Slogan des „Bündnis Grundeinkommen“ (BGE), das sich bundesweit zur Wahl stellt, aber ist dies auch wirklich wählbar? Eurojournalist hat bei einem Treffen der bereits Entschlossene in Göttingen einen Nachmittag lang mitgehört – ein Plädoyer für eine unentschlossene Stimme für die offene Debatte um die Rolle des Menschen in der postindustriellen Gesellschaft.

André Presse, Ökonom, hält in Göttingen einen Vortrag zu den wirtschaftlichen Fragen des Grundeinkommens und versucht, das ohnehin Unvermeidbare zu legitimieren. Foto: facebook BGE - Bündnis Grundeinkommen

(Von Michael Magercord) – „Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen“ – so werden Revolutionen gemacht, jedenfalls im 21. Jahrhundert, in dem durch die Digitalisierung Millionen von Arbeitsplätzen wegfallen werden. Götz Werner, der Gründer der Drogeriekette „dm“, weiß es, und viele andere auch: eine Art von bedingungsloser Grundversorgung wird es in Zukunft geben, allein weil es im digitalisierten Kapitalismus keine ausreichende Erwerbsarbeit mehr geben wird. Frage ist nur, ob man die unausweichliche Übergangsphase gesittet hinbekommt? Wenn nicht, werden alle Werte der Aufklärung zusammen mit dem Kapitalismus untergehen: muss es denn erst zu echten Revolutionen oder rechtspopulistischen Putschen kommen?

Klingt vielleicht ein bisschen drastisch, aber so ähnlich lauten die Szenarien, die beim einem Treffen der Parteimitglieder mitschwangen: Grundeinkommen oder Sintflut, ist die Alternative, scheinen so manche der bereits Entschlossene überzeugt zu sein. „Wir sind ja schon überzeugt“, stellt Götz Werner zu Beginn seines Vortrages fest, „wir erkennen die Zeichen der Zeit, aber die anderen Menschen müssen wir liebevoll aufwecken“. Überzeugen kann man keinen Menschen, das muss sich jeder selbst, weiß der Vordenker des Grundeinkommens, man könne nur einen Denkanstoß geben und den Kontext präsentieren.

Und wie sonnenklar der Kontext doch ist: die Verluste von Arbeitsplätzen lässt die industrielle Erwerbsarbeitsethik unrealistisch werden, und ein Grundeinkommen zu beziehen, ist letztlich ein latent in allen Menschen schlummerndes Bedürfnis. Man muss nur dafür sorgen, diesen Gedanken zuzulassen. Nichts weniger als eine kopernikanische Zeitenwende für das soziale Bewusstsein steht an, denn alle wissen, dass unser Lebensstil nicht haltbar ist. Das macht zunächst Angst, nur das Grundeinkommen bietet eine angstfreie Alternative: für die Grundbedürfnisse ist – wie immer es mal wird – gesorgt.

Keine schlechte Perspektive, Frage bleibt: wann denn nun? Die Revolution ist erst einmal vertagt, die Partei BGE stellt sich brav zur Wahl, doch die Chancen auch nur aus den sogenannten „Sonstigen“ hervorzuragen, ist eher theoretisch. Was tun die Revolutionäre in so einer Situation? Sich Mut zu sprechen und gleichzeitig für die theoretische Grundlage ihrer Überzeugung sorgen. Und somit chargierte der Nachmittag in Göttingen zwischen einer Gruppentherapiesitzung und einem Seminar für Volkswirtschaftslehre.

Ob sie sich durch die Örtlichkeit anregen ließen? Im Eurythmie-Saal der Waldorfschule singen sich die BGEler Mut an: „Raus aus alten Schuhen“ der Refrain, sich „selbst neu erfinden“ – dank Grundeinkommen natürlich – die Botschaft. Fröhlich schallend offenbart sich da aber ein erstes grundsätzliches Dilemma, welches die bereits Überzeugten mit ihrer eigenen Idee haben: sie meinen, alle Menschen seien wie sie, Leistungsfrustierte nämlich, die etwas für sie Richtiges leisten würden wollen, ehrenamtlich vielleicht, aber in den bestehenden Verhältnissen nicht dazu in der Lage sind.

Dem befreienden und gemeinschaftsfördernden Singsang folgt die Theorie und damit das zweite Dilemma: André Presse, langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter von Götz Werner am Instituts für Entrepreneurship in Karlsruhe und nun wohl so etwas wie der Chefökonom des BGE, sorgte für ein VWL-Seminar. Die Kurven und Kullern auf der Schultafel sollten dabei folgenden Umstand klarmachen: Alles Geld fließe nämlich letztlich in den Konsum. Denn egal, ob es nun direkt verkonsumiert wird oder über Löhne und Bankeinlagen, die zu Krediten werden: die gesamte Wertschöpfungskette löst sich letztlich in privates Einkommen auf und wird zu Konsum, dessen Wert sich im Preis der jeweiligen Güter und Dienstleistungen ausdrückt.

Wozu das Ganze? Um zu zeigen, dass die Umsatzsteuer der Punkt wäre, an dem Wertschöpfung am besten besteuert wird. Mit einer Mehrwertsteuer von 50 % wäre das Grundeinkommen finanziert, wenn man gleichzeitig die Einkommenssteuer wegfallen ließe. Die zahlt sowieso nur die Mittelschicht und nicht die wirklich Wohlhabenden, die aber wiederum wesentlich mehr und teurer konsumieren. Und die Waren werden durch die hohe Mehrwertsteuer trotzdem nicht teurer, da ja nun der Einkommenssteueranteil aus dem Preis gerechnet werden kann.

Und wozu soll das nun gut sein? Um das Grundeinkommen zu finanzieren, das ja auch die Wohlhabenden bekommen. Ja, auch die, die es gar nicht bräuchten! Denn die kriegen es heute sowieso, nämlich durch den Grundfreibetrag in der Einkommenssteuer. Aus heutiger Sicht wäre also nur der Grundeinkommensanteil von jenen zu finanzieren, die heute nicht an den Freibetrag rankommen. Das betrüge gerade einmal 22 Milliarden Euro, ein finanzpolitischer Klacks also, und wenn man die Ersparnisse in der Finanzverwaltung auch noch herausrechnet sowieso.

Kreise und Kullern auf der Tafel und die frohe Botschaft der Finanzierbarkeit obendrein – aber worum geht es dabei nun wirklich? Um Legitimation: mit einem komplett durchgerechneten Modell soll die noch etwas utopisch klingende Idee glaubwürdig und wählbar werden – und schon steckt man im nächsten Dilemma. Denn ja, da hat man zwar das süße Gefühl wie in einem VWL-Seminar, dass sich die Welt mit Modellrechnungen in ein Tafelbild bannen ließe.

Aber gleichsam greift die schale Ernüchterung um sich, dass dies nicht gelingen wird. Denn kaum ist eine Methode ersonnen, muss man sich schon wieder neue Instrumente einfallen lassen, um sie gegen die Widrigkeiten der Realität zu schützen. So soll dann eine zusätzliche „Umlaufsicherung“ dafür sorgen, dass das liebe Geld auch wirklich konsumiert wird, sobald alles aus Konsumsteuern bezahlt werden wird, sprich: dem Sparer soll turnusmäßig von dem Geld was abgezwackt, das er nicht ausgibt oder investiert. Und noch gewichtiger: weltweit müsste schließlich das System greifen, sonst hauen die potentiellen Sparer einfach ab. Auf seine Weltumspanntheit ist bekanntlich schon das marxistische Modell hinausgelaufen – und daran in der Praxis gescheitert.

Die Umweltbewegung hat diese Rechnerei zur Legitimierung ihrer Ideen schon lange durchgemacht, bevor sie ministrabel wurden. Und heute argumentieren ausgerechnet die Ökos, die einmal angetreten waren, der ökonomischen Logik eine ökologische entgegenzusetzen, mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, wenn sie mal wieder innovativ sein wollen. Letztlich aber entwerten sie ihre Idee durch die stetige Rechnerei nach den Formeln der Produktlogik und haben sich nun völlig in der Magie der Ökonomie verfangen.

Warum bloß müssen ausgerechnet die Wirtschaftswissenschaften immer wieder zur Legitimierung herhalten? Moderne Zeiten eben, in denen Tafelbilder aus Kurven und Kullern die Welt erklären sollen. Die Ökonomie gleicht eher einer magischen Beschwörung als einer Tatsachenanalyse. Ausgerechnet ein Bonmot von Götz Werner hilft die magischen Tatsachen wieder zurechtzurücken: Es sei nämlich, so der – laut Manager Magazin von 2013 – Euro-Milliardär, kein Zufall, dass das Aufkommen des Papiergeldes mit dem Verschwinden der Alchemie einherging. Anders könnte man auch sagen: seit man aufgegeben hat, aus Dreck Gold zu machen, macht man aus Scheiße Geld. Aber so würde sich der geistreiche Unternehmer niemals ausdrücken.

Deshalb bringt uns auch eher ein Bonmot von André Presse wieder auf die Spur: das heutige Arbeitsrecht, so weiß der quasi Chefökonomen des BGE aus zuverlässiger Quelle zu berichten, leite sich aus dem römischen Mietrecht für Sklaven ab. Es würde Zeit, dass sich die Aufklärung endlich auch in der Arbeitswelt vollziehe. Und darum geht es wohl im Kern, wenn man über das Grundeinkommen spricht: die Arbeit aus den Zwängen der industriellen Produktionsarbeit überführen in die eigentliche Magie der Moderne, nämlich in die Freiheit des Individuums.

Ah, wie schön! Das Grundeinkommen als Freiheitsgarant! Die revolutionären Magier haben ein Zaubermittel gefunden, endlich, und glaubt man ihnen, taugt es noch für etliche Wunderdinge mehr: lokale Wirtschaft stärken, die Kreativität fördern und für den gemeinschaftlichen Zusammenhalt sorgen – und natürlich auch noch für Gerechtigkeit. Doch gerade auf diesem Feld der absoluten Werte wird ausgerechnet das Grundeinkommen mehr Fragen aufwerfen, als es lösen wird. Zumindest dann, wenn das Denken derer, die Gerechtigkeit fordern, den Mustern folgt, in denen sie heute noch erlegen sind. Gerechtigkeit, wie sie sie meinen, also einen Ausgleich zwischen arm und reich, nach Möglichkeit auch noch global, entspricht jedenfalls nicht dem Gießkannenprinzip, das sie mit Grundeinkommen fordern.

Haben die Revolutionäre eigentlich verstanden, was sie da lostreten? Beschwört das Grundeinkommen wirklich die Gemeinschaft? Vermutlich käme es wie immer: würde das Grundeinkommen eingeführt, wird die Revolution zunächst ihre eigenen Kinder fressen. Denn im Grunde verfolgen diese Revolutionäre einer zutiefst liberalen Idee, und wenn sie das nicht begreifen, befinden sie sich in guter – oder schlechter? – Gesellschaft, denn selbst die sogenannten „Liberalen“ haben das noch nicht erfasst.

Aber Götz Werner. Zumindest redet er seinen Mitstreitern ins individuelle Gewissen. Das Grundeinkommen darf keine Ideologie werden, sondern eine Idee bleiben, die vor allem beim Individuum und seinen Bedürfnissen ansetzt. Es gehe darum dafür zu sorgen, dass sich jeder so entwickeln kann, wie es ihn drängt. Mehr nicht. Drängt es ihn nicht? Egal, sobald das Grundeinkommen die Grundbedürfnisse sorgt, ist ein jeder für seine persönlichen Eskapaden selbst verantwortlich.

Aber, wendet jemand ein, wenn man denn nun ein tolles Projekt hat, wofür man dann auch mal etwas mehr Geld bräuchte als das Grundeinkommen, dann müsste der Staat das doch einem doch auch noch bereitstellen? Nein, sagt der einstige Unternehmer, dann müsse man sich eben einen Sponsor suchen oder einen Kredit aufnehmen, wie im richtigen Leben. Beim Grundeinkommen gibt es nur eine entscheidende Frage, die wiederum jeder Empfänger für sich beantworten muss: in welchem Bewusstsein genießen die Menschen ihr Menschsein? Trennen sie weiterhin Freizeit und Arbeitszeit? Oder sagen sich die Menschen: Nein, es gibt nur Lebenszeit, und jeder Minute davon ist so kostbar wie die andere.

Klingt nicht übel, keine Frage, aber was wählt man denn nun eigentlich, wenn man dem „Bündnis Grundeinkommen“ seine Stimme gibt? Keine Regierung, keine Minister, ja wohl nicht einmal Abgeordnete. Die dazu erforderlichen fünf Prozent der Stimmen zu erreichen, ist eine wohl noch größere Vision, als das Grundeinkommen selbst. Denn eine grundeinkommensähnliche Grundversorgung wird es in der ein oder anderen Form geben, geben müssen Anbetracht der zu erwartenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Das dämmert sogar den anderen Parteien, nur sperren sie sich noch gegen die letzte Konsequenz. Die Linke kämpft sich noch an Marx ab, die SPD ist Hartz IV noch überfordert, die FDP immer noch neo und nicht liberal.

Den Grünen stünde ein Grundeinkommen vielleicht noch am besten zu Gesicht, als Partei, die immerhin die unabdingliche ökologische Frage gegen viele Widerstände in die Gesellschaft getragen hatte. Aber nein, man diskutiere noch darüber, heißt es aus der Bundestagsfraktion. Und die CDU? Alt-Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth, verlautet es aus gut unterrichteten BGE-Kreise, hätte sich bereits bei der Kanzlerin für das Grundeinkommen stark gemacht. Merkt man nur nicht. Deshalb gibt es für die Apologeten der Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen noch keine Wahlalternative zum Bündnis BGE. Man muss diese Idee nun endlich auch politisch stärken, denn was nicht mehr passieren darf, ist das, was sich im Straßburger EU-Parlament vergangenen Februar abgespielt hat: dass nämlich die Abgeordneten per Stimmenmehrheit schon allein die Debatte darüber verweigert haben.

Und was bekommt der Wähler von einer – wie es auf der Homepage heißt – „Partei wider Willen“? Wenn’s gut läuft, eine lebhafte Debatte über ein wirtschaftlich-soziales Instrument, das vielleicht niemals Realität werden wird, aber allein durch seine diskursive Präsenz für die notwendige Veränderung der Haltung des Menschen in der überproduktiven Erwerbsarbeitsgesellschaft sich selbst gegenüber. Das Grundeinkommen ist vielleicht nicht einmal eine Idee oder Vision, sondern eine auf der Analyse der Verhältnisse basierende Notwendigkeit. Es wird kommen, in der ein oder anderen Form: Hartz 4 ohne Folter, ALG 2 ohne Bedürfnisprüfung, Garantierente für alle. So groß ist der mentale Schritt ja nicht, den man dazu machen muss, denn es gibt ja schon Grundeinkommen in der Form der Altersrente. Es geht nun um die Ausweitung seiner Geltungszone.

Und wozu das alles nun wirklich? Um letztlich den Kapitalismus erträglicher zu machen und ihn somit weiter aufrechtzuerhalten – und wer wollte das nicht? Wer will nicht volle Regale und permanente Innovationen? Nur ohne Mitmachzwang, ohne Stress, zumindest ohne Angst vor dem sozialen Komplettabstieg. Und mit mehr Entfaltungsmöglichkeiten jenseits des Erwerbs. Ja, das wär’s.

Und dann noch dies: Ist es nicht auch eine wunderbare Vorstellung, samstags im Fußballstadion oder vorm Fernseher zu sitzen und zu wissen, dass die kickenden Jungmillionäre letztlich mich dafür bezahlen, dass ich meine Zeit damit verbringe, ihnen zuzugucken? Schon allein deshalb dieses Mal: Bündnis Grundeinkommen BGE!

Weitere Informationen:
Facebook BGE: https://de-de.facebook.com/buendnis.grundeinkommen/
Netzwerk Grundeinkommen: www.grundeinkommen.de

 

 

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