Gedenken ist wichtig – aber auch, wenn es um die Ursachen geht

Dass man des Schreckens des Krieges gedenkt, ist gut, richtig und wichtig. Doch wäre es genauso wichtig, würde man der Umstände gedenken, die solche Katastrophen überhaupt erst möglich machen.

Diese Tafel erinnert an den englischen Bombenangriff auf Freiburg am 27.11.1944. Aber niemand fragt mehr nach den Ursachen. Foto: Dr. med. Mabuse / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(PP) – Gestern gedachte man in Freiburg des fürchterlichen Luftangriffs der Royal Air Force, der am 27. November 1944 die Stadt in Schutt und Asche legte, 2797 Tote und 9600 Verletzte forderte und sich traumatisch ins kollektive Gedächtnis einprägte. Es gibt wohl kaum einen Ort in Europa (und anderswo), an dem es nicht ähnliche Traumata gibt und gab – und natürlich ist die Erinnerungsarbeit nicht nur wichtig, um das Trauma zu verarbeiten und irgendwann zu überwinden, sondern auch, um einen kollektiven Willen zu prägen, alles daran zu setzen, dass so etwas nie wieder passiert. Alleine – eine strukturierte Gedächtnisarbeit daran, was die Grundlagen der Entwicklung sind, die zu diesen Katastrophen führt, findet praktisch nicht statt. Was leider zur Folge hat, dass ähnliche Entwicklungen verschlafen werden und weiterhin jederzeit möglich sind.

Man sollte nicht vergessen, dass es diesen Luftangriff der Royal Air Force am 27. November um 19:58 Uhr nicht gegeben hätte, wären in Deutschland nicht die Nazis an die Macht gekommen. „An die Macht gekommen“, das klingt ein wenig nach einem bösen Zauberer, der –husch!- die bösen Nazis an die Macht brachte. Aber das stimmt nicht. Adolf Hitler und die NSDAP sind demokratisch gewählt worden, getragen von einer Mehrheit der Deutschen, die sich schnell daran gewöhnten, dass dieser von ihnen per Stimmzettel herbeigeführte Machtwechsel auch unangenehme Begleiterscheinungen hatte, die sich lange vor dem deutschen Aggressionskrieg äußerten.

So sah man lieber weg, wenn in jedem Straßenzug Nachbarn „abgeholt“ wurden, wenn Juden geschmäht, angegriffen und schließlich in Konzentrationslager verschleppt wurden – wobei es teilweise ziemlich schwierig war, vor diesen Gräueln die Augen zu schließen. So befand sich beispielsweise das KZ Dachau mitten in der kleinen bayerischen Stadt, umrahmt von Gasthöfen, der Kirche und anderen Gebäuden. Mitten in der Stadt! Wie kann man da behaupten, dass man „nichts mitbekommen“ habe?

Die Mechanismen von Faschismus, totalitären Systemen und Unterdrückung sind seit langer Zeit wissenschaftlich untersucht und analysiert. Doch fehlt es nach wie vor an Gelegenheiten und Symbolen, mit denen daran erinnert werden könnte, dass demokratische Wahlen noch lange keine Garantie dafür sind, dass sich Faschismus und Menschen verachtende Systeme entwickeln. Dass jedem Einzelnen vor der Wahlurne eine Verantwortung zukommt.

Geschichte hat die unangenehme Eigenschaft, sich zu wiederholen. Es sei denn, irgendwann wird der Gordische Knoten durchgeschlagen und die Menschen ändern ihre grundlegende Einstellung. Dass dies nicht der Fall ist, erleben wir gerade beim französischen Nachbarn, der politisch mit dem Feuer spielt.

Der rechtsextreme Front National, dessen xenophobe Tendenzen hinreichend bekannt sind, der Frankreich aus dem europäischen Kontext und der gemeinsamen Währung herauslösen möchte, eilt gerade von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Denn die Franzosen haben sich seit Jahren auf etwas verlegt, was sie „vote sanction“ nennen. Das bedeutet, dass sie bei Wahlen gar nicht zu dem Thema abstimmen, um das es in der jeweiligen Abstimmung geht, sondern Wahlen vorwiegend dazu benutzen, um es „denen da oben“ einmal richtig zu zeigen. Ergebnis: Die Umfragen sagen eine offene Stichwahl im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2017 zwischen dem konservativen Kandidaten und der rechtsextremen marine Le Pen voraus. Je nachdem, welcher Umfrage man glaubt, liegt mal der eine und mal die andere vorne.

Alleine die gar nicht mehr so theoretische Möglichkeit, dass in Frankreich jemand Präsident werden könnte, dessen politische Formation den Namen „Front National“ trägt, sollte uns, und vor allem die Franzosen, stutzig machen. Haben im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege und 40 Millionen Tote nicht ausgereicht, um uns beizubringen, dass man nicht mit dem demokratischen Feuer spielen darf? Dass eine Wahl keine „Abnickveranstaltung“ ist?

Gedenken ist gut und wichtig – aber erst dann sinnvoll, wenn man nicht nur die eigenen Wunden leckt, sondern gemeinsam daran arbeitet, nicht nur den Horror zu verhindern, sondern ihm von vornherein den Weg zu verstellen. Diese Art von Gedächtnisarbeit fehlt aber noch – es wäre an der Zeit, sie einzuführen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste