Gewalt auf Europas Straßen

Wir bewegen uns auf immer unruhigere Zeiten in Europa zu. Gewalt wird immer mehr zum Stilmittel der politischen Auseinandersetzung und all das hatten wir schon einmal.

Wem nützen diese Auseinandersetzungen? Sicher nicht dem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Um es gleich vorweg zu sagen, die Gewalt auf der Straße ist nicht die einzige Gewalt in der Gesellschaft, da haben die „Gelbwesten“ durchaus Recht. Die Gewalt der Regierenden, die beispielsweise durch ihre Politik Tausende von Menschen zum Ertrinken im Mittelmeer verurteilen, die Gewalt der Regierenden, die zum Schutz der europäischen Waffenindustrie immer weiter Waffen in Krisengebiete liefern (und dort, wo es verboten ist, umgeht man das Embargo, indem man die Waffensysteme in Einzelteilen zum Zusammenbau vor Ort oder an Drittnationen liefert), die Gewalt der Regierenden, die durch ihre Austeritätspolitik Hundertausende, wenn nicht Millionen Europäer und Europäerinnen in die Armut getrieben haben und weiter treiben. Ja, auch das ist Gewalt und zwar heftige Gewalt. Aber – diese Gewalt wird von Menschen ausgeübt, die wir selber in die Positionen gewählt haben, in denen sie diese Gewalt ausüben.

Anders verhält es sich mit der Gewalt aus der Straße, die inzwischen ein gesamteuropäisches Problem geworden ist. Ob „Pegida“ in Deutschland, „Gelbwesten“ in Frankreich und auch Belgien, militante Demonstrationen in den Städten Zentraleuropas, Demonstrationen rund um den „Brexit“ – überall ist die Gewalt der Straße ein Thema geworden. Zu den Gewaltexzessen auf der Straße kommen nun auch gezielte Angriffe auf gewählte Volksvertreter, werden Abgeordnetenbüros beschmiert und zerstört (erst gestern wieder in Straßburg) und Gewalt scheint als Mittel der Meinungsäußerung immer mehr akzeptiert zu sein.

Doch was bedeutet diese Entwicklung hin zur Gewalt in unseren Städten? Eine solche Entwicklung ist immer der Vorbote für politisches Chaos und politisches Chaos ist sehr oft die Vorstufe für totalitäre Systeme. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die politische Auseinandersetzung nicht mehr über den Austausch von Argumenten, sondern über Slogans und gegenseitige Beleidigungen läuft, sind wir nicht mehr weit von der Situation entfernt, in der sich Freikorps und linksextreme Bewaffnete gegenüber stehen – und in solchen Situationen schreit das Volk in der Regel nach dem „starken Mann“. Das war in Deutschland in den 30er Jahren so, das ist heute in Ländern wie Brasilien oder Ungarn oder der Türkei nicht anders.

Diese Entwicklung zwingt die Regierungen zu hartem Durchgreifen. Denn die Gleichung „Gewalt = Gehör“ darf so nicht stimmen – was für die Regierungen eine echte Herausforderung ist. Einerseits dürfen sie die Unzufriedenen nicht ignorieren, andererseits dürfen sie auch nicht deren Forderungen en bloc akzeptieren, denn das wäre die Aufforderung für jeden zukünftig Unzufriedenen, das Land in Brand zu setzen, um das zu bekommen, was man fordert.

In unseren westlichen Demokratien besteht das Gewaltmonopol des Staats und das ist gut und richtig so. Der Gegenentwurf wäre Anarchie und der Zusammenbruch der staatlichen Systeme, unter anderem auch derjenigen Sozialsysteme, die diejenigen durchfüttern, die heute unsere Länder in Brand stecken. An diesem Gewaltmonopol des Staats darf nicht gerüttelt werden, allerdings beinhaltet dieses Gewaltmonopol auch eine Verpflichtung für die Regierenden, eine Politik zu führen, dass es gar nicht erst dazu kommt, dass fast 20% der Bevölkerung in Armut leben und vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt sind. Aktuell versagen sowohl die Regierungen bei der Erfüllung ihrer sozialen Aufgaben und gleichzeitig versagt der gesunde Menschenverstand, der eigentlich weiß, dass Gewalt keine Lösung für gesellschaftliche Probleme sein kann.

Wer nicht will, dass Europa einen „Faschismus 2.0“ erlebt, der muss jetzt vom Weg der Gewalt abrücken. Das gilt gleichermaßen für die Politik wie für die Demonstranten, die sich an diesen Szenen der hemmungslosen Gewalt berauschen und davon träumen, abgeschlagene Köpfe auf Lanzen durch die Straßen zu tragen. Doch im Moment sieht es so aus, als seien wir nicht in der Lage, das Geschenk der Demokratie, also der eigenen Gestaltung von Politik, richtig zu nutzen. Was nützt es, politische Änderungen zu fordern, gleichzeitig aber nicht wählen zu gehen und wenn, dann diejenigen immer wieder zu wählen, die genau dieses Schlamassel zu verantworten haben?

Wenn die Schärfe der Auseinandersetzungen weiter steigt, haben die Staaten gar keine andere Wahl, als diejenigen mit aller Härte zu bekämpfen, die sich offen als Feinde der Demokratie darstellen. Denn die Demokratie ist die Staatsform, die von der überragenden Mehrheit der Menschen gewünscht wird – und diese gegen ihre Feinde zu verteidigen, ist die Aufgabe des Staats.

Es ist an der Zeit, dass sich Regierungen und Protestbewegungen ihrer eigenen Rolle bewusst werden und aufhören, unsere Demokratien zu beschädigen. Man darf gespannt sein, ob irgendjemand noch zur Vernunft zurückkehrt. Wenn nicht, dürften wir in einigen Monaten echte Bürgerkriege erleben.

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