Gewalt wird zum täglichen Phänomen

Eine Studie von „Welt am Sonntag“ zeigt, dass letztes Jahr die Anzahl Fälle häuslicher Gewalt massiv angestiegen ist. Aber wahrhaben möchte das niemand.

Häusliche Gewalt betrifft alle Alters- und Sozialschichten. Aber wie kann man diese Entwicklung kippen? Foto: Commonpersoon / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Nach der Veröffentlichung der Studie von „Welt am Sonntag“, die ihre Recherchen bei den Innenministerien der Länder und den Kriminalverfolgungsbehörden durchgeführt hatte, ging als erstes ein Aufschrei durch die Republik. „Nicht seriös“, lauteten die Vorwürfe, „unklare Datenerhebung“ und anderes konnte man lesen. Dabei werden seit Jahrzehnten Statistiken zu Fällen häuslicher Gewalt veröffentlicht, an denen man ablesen kann, dass das Leben auch im privaten Umfeld immer gewalttätiger wird. Dass die veröffentlichten Zahlen nur die Spitze des Eisbergs sind, das weiß man spätestens, seit es seriöse Untersuchungen über die Dunkelziffer im Bereich der häuslichen Gewalt gibt. Und die sind erschreckend.

Anlass zu dieser Untersuchung war der starke Anstieg von Fällen häuslicher Gewalt in Deutschland – 2022 wurden 179.179 solcher Fälle dokumentiert, was einen Anstieg von 9,3 % zum Vorjahr darstellt. Wenn man jetzt noch eine Studie der EU aus dem Jahr 2014 heranzieht, nach denen lediglich 14 % der Fälle häuslicher Gewalt zur Anzeige kommen, erkennt man, wie allumfassend das Problem der häuslichen Gewalt ist.

Wurden die Zahlen 2021 und 2020 noch unter dem Eindruck der Pandemie und der Lockdowns betrachtet, so kann das 2022 nicht mehr angeführt werden. Dass die Gewalt im häuslichen Bereich dennoch so stark ansteigt, muss also andere Gründe haben.

Die aktuellen Weltkrisen senken die Gewaltschwelle offenbar selbst im häuslichen Bereich ab. Seit der Ukraine-Krieg tobt und wir uns wieder einmal in Heldengeschichten und brutalster Gewalt wälzen, scheint Gewalt als Mittel der Konfliktlösung wieder hoffähig zu sein. Immerhin, täglich liest man von noch schlimmeren Gräueln als am Vortag, die Brutalsten sind plötzlich wieder die Helden und ein friedvoller Umgang miteinander ist einfach nicht mehr angesagt. Und das Martialische zieht auch immer mehr in die privaten Haushalte ein.

Natürlich ist häusliche Gewalt kein neues Thema. Doch es ist ein Thema, das immer bedrückendere Formen annimmt. Diese Entwicklung kleinzureden ist der falsche Weg, für den die Opfer zahlen müssen und die sind zu weit mehr als 80 % Frauen. Da nützt es nicht viel, einmal im Jahr am 8. März hehre Absichten zu erklären, während gleichzeitig viel zu wenig gegen diese galoppierende Gewalt getan wird.

Der einzig denkbare Ansatz ist die Erziehung, doch wird die Schule von der Aufgabe, die Haushalte zu befrieden, überfordert sein. Krieg, Korruption, eine sich verschlechternde persönliche Situation – all das ist Gewalt, die zu weiterer Gewalt führen wird. Das mag in Zeiten, wo man am Küchentisch über Haubitzen, Luftabwehr und Mobilisierungen schwadroniert, niemanden so richtig interessieren, doch scheint immer klarer zu werden, dass eine insgesamt gewalttätige Welt auch auf die privaten Haushalte abfärbt. Selbst Kleinkinder wachsen heute in einem Klima der Gewalt auf, die sowohl außen, wie auch im Familienkreis immer stärker präsent ist.

Je länger der Ukraine-Krieg und andere Konflikte andauern, je schwieriger die wirtschaftliche Lage der Haushalte wird, desto stärker wird sich die Gewalt auch im privaten Umfeld manifestieren. Mit Appellen gegen die Gewalt ist es schon lange nicht mehr getan – doch in Kriegszeiten will niemand Diskurse gegen die Gewalt hören. Was dann einmal mehr den Gedanken bestärkt, dass gerade Entwicklungen stattfinden, die wir nicht mehr einfangen können. Beunruhigend.

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